Das Fach Wirtschafts- und Innovationsgeschichte
Wirtschaftsgeschichte als Bindeglied zwischen Wirtschaftswissenschaften und Geschichtswissenschaften
Wie der Name bereits andeutet, steht das Fach Wirtschaftsgeschichte als Bindeglied zwischen den beiden Disziplinen Wirtschaftswissenschaften und Geschichtswissenschaften. Diese traditionelle Form der Interdisziplinarität war von je her ein typisches Merkmal des Faches, das seinen besonderen Charakter und sein besonderes Erkenntnispotential ausmacht.
Gegenstand der Betrachtung ist die wirtschaftliche Entwicklung in historischer Perspektive. Da das Wirtschaftsgeschehen als Teil des gesellschaftlichen Ganzen zu sehen ist, wurde die Bezeichnung Wirtschafts- und Sozialgeschichte zur allgemein üblichen. Ziel ist es, bei der Analyse historischer Gegebenheiten so weit wie möglich auf wirtschaftswissenschaftliche Methoden und Ansätze zurück zu greifen. So standen lange Zeit Elemente der Preis-, Konjunktur- und Wachstumstheorie im Fokus des Forschungsinteresses – mit der Konsequenz, dass quantitative statistische Methoden, nicht selten in Kombination mit mikroökonomischen Betrachtungsweisen, in den Vordergrund traten.
Je komplexer aber der Untersuchungsgegenstand umrissen wird, desto schwieriger wird ein quantitativer Zugang. Die Analyse von Globalisierungsprozessen und weltwirtschaftlichen Verflechtungen erfordert immer mehr einen umfassenden Ansatz aus makroökonomischer Perspektive. Deshalb zeichnet sich derzeit die stärkere Betonung qualitativer Analysen ab. Diese Tendenz unterstreichen auch neue Fachbezeichnungen, wie etwa Wirtschafts- und Umweltgeschichte oder so wie hier in Bamberg Wirtschafts- und Innovationsgeschichte, die neben dem allgemeinen Gegenstand besondere Schwerpunkte definieren.
Nicht zuletzt als Konsequenz der fortschreitenden Globalisierung mit ihren weit reichenden gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen hat die jüngere ökonomische Theorie die Bedeutung von Innovationen für das Wirtschaftswachstum stärker betont und damit die Fragen aufgeworfen, wie Innovationen entstehen, wie sich Innovationen in einer Volkswirtschaft oder zwischen Volkswirtschaften ausbreiten und welche Auswirkungen von Innovationen und von der Technologieentwicklung auf den sozialen und kulturellen Wandel zu erwarten sind. In diesem Zusammenhang wird auch historischen Innovationen verstärktes Interesse entgegen gebracht.
In einen derart breit definierten Handlungskontext gestellt, bietet das Fach Wirtschafts- und Innovationsgeschichte zahlreiche Anknüpfungspunkte an verschiedene Fachdisziplinen, die weit über die traditionelle Verbindung Wirtschaftswissenschaften - Geschichtswissenschaften - Sozialwissenschaften hinausgehen. Durch das Miteinbeziehen von Elementen, die den Wirtschaftsprozess, das soziale, politische, geographische und kulturelle Umfeld tangieren, erscheint das Vernetzungspotential außerordentlich hoch. So können wirtschaftshistorische Aspekte und Perspektiven den Erkenntnisgrad in den vernetzbaren Disziplinen ausweiten und bereichern. Denn in der heutigen globalisierten Welt, in der Spezialisierung zur unabdingbaren Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg geworden ist, gewinnt die Wirtschaftsgeschichte mit ihrer, sowohl in zeitlicher als auch in faktischer Hinsicht breiten Perspektive, zunehmend an Bedeutung: Ihr breit angelegter Horizont bietet eine im Vergleich zum Spezialisten übergeordnete Perspektive und wird zur Basis für ein fundiertes Urteil in aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragestellungen und kann eventuell sogar eine konkrete Politikberatung unterstützen.
Nur wenige Beispiele sollen das grundsätzliche Vernetzungspotenzial des Faches Wirtschafts- und Innovationsgeschichte verdeutlichen:
Im Bereich der Standortökonomie kann zum Beispiel die Frage gestellt werden, warum das süddeutsche Finanzzentrum im 19. Jahrhundert in München und nicht in Augsburg oder Nürnberg entstanden ist und welche (Standort) Faktoren die im Zuge dieser Entwicklung verstärkten Unternehmensansiedlungen in den Bereichen Banken, Versicherungen und Börse begünstigten.
Regionalökonomische und geographische Fragestellungen analysieren zum Beispiel die Ursachen für die Etablierung spezieller, regional abgegrenzter Wirtschaftsräume oder Gewerbezentren, bzw. die Ursachen für deren Niedergang, so etwa die Geschichte der Oberpfälzer Eisenindustrie in der frühen Neuzeit. Aktuell ist in diesem Zusammenhang auch die Beurteilung der qualitativen und quantitativen Innovationsleistung einer Wirtschaftsregion im Verhältnis zu deren Prosperität in langfristiger historischer Perspektive: Welche Faktoren haben sich verändert und welche Wirkungen gingen von diesen Veränderungen aus? Konnten stabile Faktoren einen kontinuierlichen Wachstumspfad sichern? Aktuelle regionalökonomische Fragestellungen können so vor einem fundierten historischen Hintergrund diskutiert werden.
Mit den Kommunikationswissenschaften zusammen mit der Wirtschaftsinformatik kann die Untersuchung der Geschichte von Kommunikationswegen und Kommunikationsmedien verbinden. Besonders betont wird die Informations- und Kommunikationstechnologie, deren Entwicklungsgeschichte ebenso wie deren ökonomische, gesellschaftliche und kulturelle Auswirkungen.
Im Rahmen der Institutionenökonomie kann gefragt werden, welche gesamtwirtschaftlichen Konstellationen die Entstehung neuer Unternehmensformen oder neuer Institutionen begünstigten. So interessiert zum Beispiel im 19. Jahrhundert die Interdependenz zwischen der Qualität des Kapitalmarktes und der Verbreitung des Finanzierungsinstruments „Aktiengesellschaft“ oder die Entstehung des modernen Genossenschaftswesens oder die Formierung und Ausweitung von Interessenverbänden und Kartellen.
Ein möglicher wirtschaftshistorischer Ansatzpunkt im Bereich der Sozialpolitik wäre die historische Fundierung aktueller Fragen der Alterssicherung in privaten und staatlichen Modellen sowie die Fundierung aktueller Fragen des Gesundheitswesens durch die Analyse der im Laufe der Geschichte wechselhaften Interdependenz zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Auch schichtspezifische Untersuchungen gehören hierher wie etwa die besondere Rolle des freien Unternehmertums mit der Herausbildung des Unternehmertyps für die Innovationsleistung einer Branche oder einer speziellen Region.
Eingebunden in den interdisziplinär vernetzten Dialog, kann die Wirtschafts- und Innovationsgeschichte hilfreiche Beiträge leisten. Denken in Systemen erleichtert und fundiert die Ursachenanalyse und macht Zusammenhänge und Dynamiken sichtbar, die monokausalen Lösungsansätzen verborgen bleiben. Die Systeme umfassen nicht nur geographisch relevante Faktoren, sondern auch die Summe aller relevanten qualitativen Umfeldfaktoren. Auf der Basis der Innovationstheorie sind Innovationssysteme zu definieren, die am historischen Fallbeispiel anwendbar werden. So lässt sich zum Beispiel die wirtschaftliche Entwicklung einer Region im historisch langfristigen Kontext analysieren. Internationalisierung und Globalisierung als moderne Schlagworte kennzeichnen den breit gefächerten Analyserahmen und gehen mit Ihren Konsequenzen für die Intensivierung des Faktoraustausches und damit des Wettbewerbs gleichzeitig als wesentliche Determinanten in die Untersuchungen ein.