Tagung der Oswald-von-Wolkenstein-Gesellschaft zum Thema „1450-1520. Abbrüche, Umbrüche, Aufbrüche“

Brixen, 08.–11. Juni 2022
Organisation: Prof. Dr. Ingrid Bennewitz/Prof. Dr. Bernd Bastert (Bochum)

Wenn das gesamte 15. Jahrhundert als literarischer Zeitraum der „Konsolidierung und Neuordnung“ (Cramer) bezeichnet worden ist, dann gilt das für die Jahrzehnte zwischen ca. 1450 und ca. 1520 umso mehr. Denn die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts ist geradezu janusköpfig, sie erweist sich als ein großes Laboratorium der deutschen Literatur. Während einige Gattungen und Register, etwa der Artusroman oder die Sangspruchdichtung, an das Ende ihrer Überlieferung bzw. Produktivität gelangen, verändern sich andere, teilweise unter Rückgriff auf ältere Genres, und entwickeln für die vernakulare Literatur neuartige Formate (z.B. den Prosaroman oder die Liederbücher), während wieder andere neu entstehen, so etwa die vom Frühhumanismus beeinflussten Übertragungen lateinischer und erstmals auch italienischer Werke in die Volkssprache, die tatsächlich eher als Übersetzungen denn als Adaptationen gelten können. Mit der Reformation beginnt dann auch literarisch in vielen (nicht in allen) Bereichen ein neuer Aufbruch. Das Verständnis von Übersetzung scheint sich insgesamt zu verändern und neu definiert zu werden. Von kaum zu überschätzender Bedeutung ist zudem der in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auf allen Gebieten mit Vehemenz einsetzende Medienwechsel von der Handschrift zum Druck, der – trotz manifester Beharrungstendenzen und unter-schwelliger Kontinuitäten – die Literaturproduktion in der Volkssprache beschleunigte und zugleich neu organisierte. Nun erst entstand so etwas wie ein Buchmarkt. Kennzeichnend ist darüber hinaus ein in vielen Bereichen konstatierbarer „Zug zur Summe“ (H. Kuhn), der sich auf die Lieddichtung ebenso erstreckt wie auf Epik und Romanliteratur, die in mehreren Unternehmungen nach Sammlungsprinzipien vereinigt wurden, die immer noch einer genaueren Analyse bedürfen. Ein wesentliches Ziel besteht nicht zuletzt darin, dass auf den ersten Blick vielleicht unübersichtlich erscheinende Feld genauer zu kartieren und zu systematisieren.