Studientag 2014 - Berichterstattung

Sexualität und Theologie – „total verklemmt“?

Sind die Normen des kirchlichen Lehramts nur veraltete, lebensfremde Regeln, die Jugendlichen von heute nichts mehr zu sagen haben? Wie denkt Theologie Sexualität heute und wie kann sie darüber mit den Menschen ins Gespräch kommen? Diese Fragen standen angesichts des Themas des diesjährigen Studientags des Instituts für Katholische Theologie der Universität Bamberg im Raum, der am 26. Februar 2014 stattfand. Der Einladung zu diesem besonderen „Schnuppertag an der Uni“ unter dem Titel „Total verklemmt? – Sexualität als Thema der Theologie“ waren rund 370 Oberstufenschülerinnen und -schüler mit ihren Religionslehrkräften aus dem gesamten Erzbistum gefolgt: aus Bamberg, Bayreuth, Coburg, Forchheim, Hof, Hollfeld, Kronach, Nürnberg und Pegnitz. Sie erwartete an diesem Tag ein Programm aus Kurzvorträgen von zwei Theologieprofessoren, einer Seminarphase zusammen mit Studierenden und einer abschließenden Podiumsdiskussion zwischen Schülerinnen und Schülern sowie Professoren (Fotos vom Studientag finden sich am Ende dieses Beitrags).

In ihrer Begrüßung zeigte sich die Prodekanin der Fakultät Geistes- und Kulturwissenschaften, Prof. Dr. Susanne Talabardon, sichtlich überrascht ob des bis auf den letzten Sitzplatz voll besetzten Vorlesungssaals im neuen Gebäude der Universität in der Markusstraße. „So wie man sich eigentlich gerne auch den Besuch einer Vorlesung wünschen würde“, schwärmte sie. Talabardon, die Professorin für Judaistik an der Universität Bamberg ist, leistete im Rahmen der Begrüßung einen ersten Einstieg in das Thema: Immer wenn Sexualität und Theologie mit der Bibel in Verbindung gebracht würden, sei ein erster Bezugspunkt die Erzählung von der Schöpfung. Dabei sei dieser Text jedoch gar nicht so stark mit dieser Thematik aufgeladen, vielmehr erzähle er von dem menschlichen Bedürfnis nach Zweisamkeit, während der „Sex“ hier eher aufgrund der Nacktheit hineininterpretiert werde.

Daran knüpfte im Anschluss die Hinführung von Prof. Dr. Konstantin Lindner an. Der Religionspädagoge griff dazu das berühmte Deckenfresko Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle mit der Erschaffung Adams auf: Diese war –  entgegen der ursprünglichen, heute wieder zu sehenden Darstellung – jahrhundertelang mit einem Lendenschurz versehen, um Adams nackte Scham zu verbergen. Das könne, so Prof. Lindner, die Frage aufwerfen: „Hat die Kirche ein Problem mit Sexualität?“ Vielleicht aber könne gerade die Rückversetzung des Gemäldes in den Originalzustand im Zuge der Restaurierung als Symbol dafür gedeutet werden, dass die Kirche auch in dieser Frage nicht stehengeblieben ist. Bereitschaft für einen neuen Zugang zum Thema belege zudem die jüngst veranlasste weltweite Umfrage des Vatikans zum Thema Familie: Anhand der Ergebnisse für Deutschland, die Prof. Lindner schlaglichtartig beleuchtete, sei unter anderem zu erkennen, dass viele Gläubige die kirchliche Sexualmoral als unzeitgemäß einschätzen, gerade was die Fragen nach vorehelichem Geschlechtsverkehr oder Homosexualität betreffe. Diese Problemanzeige werde auf der Bischofssynode im Oktober 2014 in Rom thematisiert. Zugleich stellten derartige Beobachtungen eine Herausforderung für die Theologie dar, die aufgefordert ist, das Thema "Sexualität" aus wissenschaftlich-theologischer Perspektive zu reflektieren.

Wovon sprechen wir, wenn wir von lehramtlicher Sexualmoral sprechen?

Um eine Diskussionsgrundlage für den weiteren Verlauf des Studientags zu schaffen, erläuterte Prof. Dr. Thomas Weißer vom Lehrstuhl für Theologische Ethik im ersten Kurzvortrag Geschichte und Grundlinien der kirchlichen Sexualmoral. Er machte dabei deutlich, dass und wie das katholische Lehramt heute über Sexualität spricht: Ein wesentlicher Kernpunkt und zentrale Norm sei die ausschließliche Verlagerung des sexuellen Vollzuges in den Bereich der Ehe im Hinblick auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommen als naturales Moment und auf die Liebe als personales Moment. Jede andere Sexualpraktik, die dieser Norm nicht entspreche, gelte demzufolge als unsittlich, auch wenn mittlerweile die personale Dimension der Sexualität stärker in den Fokus genommen werde.

Jesus Christus: Mehr als ein Mann!

Mit dem zweiten Kurzvortrag rückte der neue Inhaber des Lehrstuhls für Fundamentaltheologie und Dogmatik, Prof. Dr. Jürgen Bründl, einen anderen Aspekt des Themas in den Blickpunkt: die Körperlichkeit. Kann Gott einen menschlichen Körper haben, leben, leiden und sterben? Warum brauchen auch die vom Tod Auferstandenen einen Leib? Prof. Bründls These dazu lautete, die Wirklichkeit Gottes in der Welt und die Wirklichkeit der Erlösung des Menschen in seiner Auferstehung könnten nur als körperlich-leibhafte Wirklichkeit glaubwürdig behauptet werden. In diesem Zusammenhang also mache die Systematische Theologie Sexualität zum Thema. Im Weiteren ging der Theologe auf die Frage ein, welche Rolle Körperlichkeit, Geschlecht und Geschlechtszuschreibungen in unserer Gesellschaft spielen und wie stark diese Konstruktionen auch negativ bis in das Privatleben des Einzelnen hinein wirken könnten. Aufgabe der systematischen Theologie sei es deshalb, in Bezug auf das Thema Sexualität und Körperlichkeit eine geschlechter-sensible Rede zu entwickeln und auf Grenzen des Geschlechts-Konzepts hinzuwiesen: Denn die starke Betonung männlicher Körperlichkeit im Hinblick auf die Erlösung sei nicht haltbar und auch Jesus sei als der Christus mehr als ein männlicher Mensch. Eine Überbetonung des Männlichen verkürze die Rede vom Auferstandenen.

„Den Eros entgiften“

Im dritten Statement griff unterzog Prof. Dr. Thomas Weißer die kirchliche Sexualmoral einer theologisch-ethischen Reflexion. Dabei wies er darauf hin, dass zwar viele kirchliche Regeln zur Sexualität als idealisierend und damit eventuell von manchen als moralisch irrelevant angesehen werden, Normierung an sich aber zu Sexualität dazugehöre, weil sich menschlich verantwortete Sexualität nicht von selbst versteht, sondern immer auch von den Partnern „verhandelt“ werden müsse. Auch heutige Menschen brauchen Orientierung im Bereich der Sexualität. Ins Zentrum theologischer Ethik rückt daher in den letzten Jahrzehnten die Reflexion auf die Sexualität von der Beziehung her. Hier sei dann auch die kirchliche Sexualmoral aufgrund ihres personalen Moments der Sexualität anschlussfähig: Dieses könne für Sexualmoral heute den Orientierungsrahmen bilden, sodass eine Ordnung der Sexualität nicht mehr per se auf natural begründete Gebote oder Verbote zurückgreifen müsse; ein Konzept also, welches Sexualität nicht mehr rein im Bereich der Ehe und damit in deren Zweckzuschreibung (Zeugung und Erziehung von Nachkommen) ansiedelt, sondern stärker den Aspekt der partnerschaftlichen Liebe (Treue, Geborgenheit) berücksichtigt. Dieses Konzept, so Weißer, der sich dabei auf die Thesen des Theologen Martin Lintner und dessen „Plädoyer für eine tragfähige Sexualmoral und Beziehungsethik“ bezog, sei dazu geeignet, den „Eros zu entgiften“, also von einer leibfeindlichen Sicht auf Sexualität Abstand zu nehmen und zu einem positiven und lebensnahen Beitrag der Theologie zur Sexualität zu werden.

Seminarphase

An diesem ersten Teil, in dem die Jugendlichen bereits eine Form des universitären Lehrvorgangs erfahren durften, schloss sich eine Seminarphase an. In dieser konnten die Oberstufenschülerinnen und -schüler unter Anleitung von Studierenden die gehörten Statements  in Arbeitsgruppen nochmals aufarbeiten, vertiefen und durch eigene Fragen miteinander und mit den Studierenden ins Gespräch kommen. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie Theologie und Jugendliche über das Thema Sexualität positiv miteinander ins Gespräch kommen und voneinander lernen können.

„Und die Kirche sind WIR“

Nach einer kurzen Pause mit einer kleinen Stärkung, die die Schulabteilung des Erzbistums Bamberg gesponsert hatte, fanden sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Studientags nochmals im großen Hörsaal ein, um mit einem Experten-Gespräch die Thematik abschließend zu diskutieren und ihre Thesen aus den Arbeitsgruppen einzubringen. Dabei vertraten vier ausgewählte Sprecherinnen und Sprecher die Schülerschaft. Ihren Fragen und Meinungen stellten sich die beiden Professoren Weißer und Bründl. Prof. Lindner moderierte das Gespräch, in dem deutlich wurde, dass auch viele der anwesenden Schülerinnen und Schüler die kirchliche Sexualmoral in Frage stellen, dieses Thema aber auch sehr eng mit der Frage einhergeht, wie Kirche in der Welt Verantwortung übernimmt (Prof. Weißer). „Und die Kirche sind WIR“, konkretisierte Prof. Bründl in diesem Zusammenhang, und rief damit die Schüler und Schülerinnen dazu auf, nicht von einer Kluft zwischen „den Gläubigen“ und „der Kirche“ auszugehen, sondern sich klarzumachen, dass alle Gläubigen an der Gestaltung von Kirche teilhaben sollten – auch hinsichtlich der Frage, wie Sexualität verantwortlich gedacht und gelebt werden kann.

„Geht verantwortungsvoll miteinander um“

Sehr persönlich endete die Podiumsdiskussion: Margarete Will-Frank, Sekretärin am Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts, nutzte die Gelegenheit zu einem Statement. Sie selbst habe in ihrer Jugend Sexualität als ein von Schuld und Angst beladenes Thema erfahren, Jugendliche heute dagegen seien zu beneiden für die weitgehend vorhandene Freiheit von derartigen Gefühlen. Für ihre Aufforderung an die anwesenden Schülerinnen und Schüler, angesichts dieser Freiheit verantwortungsvoll mit der eigenen Sexualität umzugehen, erntete Will-Frank großen Applaus und sie setzte damit den passenden thematischen Schlusspunkt eines gelungenen Studientags.

Der besondere Dank von Prof. Lindner galt zum Abschluss seinem Lehrstuhlteam – insbesondere der wissenschaftlichen Assistentin StRin Katharina Köppl –, das den Studientag vorbereitet hatte. Beeindruckt zeigte er sich vom großen Engagement vieler Theologie-Studierender, welche trotz anstehender Prüfungen und Praktika in ihren Semesterferien freiwillig eine Arbeitsgruppe betreuten.

Hinweis

Diesen Text verfasste Andreas Fleischer. Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.

Impressionen: Studientag 2014 (Fotografin: Jenny Wehrl)