Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joas referierte beim Theologischen Forum 2018/2019.

Im Rahmen des Theologischen Forums im Wintersemester 2018/2019 unter dem Titel Verzauberung der Welt beleuchtete Hans Joas, Ernst-Troeltsch-Professor für Religionssoziologie an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, am 25. Januar 2019 die Entzauberungsthese Max Webers kritisch in Blick auf die gegenwärtigen Prozesse von Religionen in Gesellschaften treffend beschreibt. In kurzer Form stellte er hier die Grundthesen aus seinem Buch »Die Macht des Heiligen: Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung« vor.

Der Vortrag von Prof. Joas gliederte sich in drei Teile. 1. Joas erläuterte zunächst seine Sicht auf die Debatte um die Säkularisierungsthese, die davon ausgeht, dass Religiosität weltweit abnimmt. 2. Davon ausgehend stellte der Religionssoziologe eine kritische Relecture von Webers Rede von »Entzauberung der Welt« vor. 3. Abschließend entwarf Joas einen Vorschlag zur Alternative der Beschreibung der Prozesse, die Religionen in der gegenwärtigen Zeit vollziehen.

Die Grundlage der Monographie »Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung« bildete für Joas ein Missverständnis in der Debatte über die Säkularisierungsthese in den letzten Jahrzehnten: Dass Religiosität zwangsläufig mit der Zunahme von Modernisierungsprozessen abnimmt. Zum einen differenzierte Joas die These, dass Religionen eine Schwächung im Vergleich zur früheren Zeit erleben. Denn neben dieser unbestreitbaren Tatsache vor allem für Westeuropa, kann festgestellt werden, dass in anderen Teilen der Welt eine Revitalisierung von Religionen ausgemacht werden kann. Zudem trifft die Säkularisierungsthese in besonderer Weise auf die USA nicht zu – obwohl sich hier radikale Modernisierungsprozesse vollziehen. Ähnliches lässt sich etwa für Südkorea sagen. Zum anderen schlug Joas auf der Basis differenzierter Betrachtung zur Stellung der Religion in der modernen Gesellschaft vor, die Gründe für Prozesse des Schwindens oder Erstarkens von Religion zu erforschen. Der Religionssoziologe vertrat hier die These, dass die Entwicklung einer Religion eines bestimmten Landes weniger an die allgemeinen wirtschaftlichen und technischen Modernisierungsprozesse gebunden ist, sondern vielmehr mit der politischen Positionierung eben der führenden Personen der Religion zusammenhängt.

Aus diesem Grund kritisiert Joas die Gleichsetzung der Entzauberungsthese von Max Weber mit der Säkularisierung. Weber, so Joas, verwendet den Begriff der Entzauberung „konfus“ und unscharf – vor allem, weil er nicht genügend zwischen expliziten Weltbildern und präreflexivem Weltverhältnis unterscheidet. Eine ausführliche Untersuchung aller Textstellen, in denen Max Weber den Begriff Entzauberung verwendet (insgesamt nur 17) zeigt nach Joas, dass Weber den Begriff der Entzauberung im Sinne sowohl von „Entmagisierung“ als auch von „Entsakralisierung“ versteht und ihn schließlich auch als Chiffre für den Verlust von Transzendenzvorstellungen einsetzt. Doch keine dieser drei Bedeutungen lässt sich mit Säkularisierung gleichsetzen. Zugleich aber, so Joas, gibt es neue Magisierungen, neue Sakralisierungen, neue Sinndeutungen, die auch in modernen Gesellschaften unübersehbar sind.

Vor diesem Hintergrund sucht Joas nach einer Alternative zur Entzauberungsthese. Allerdings geht es dabei nicht um einen gegenbegriff, sondern um die Rekonstruktion eines Spannungsfeldes mit drei Polen: der Dynamik immer neuer Sakralisierungprozesse, den Transzendenzvorstellungen, deren Wesen darin besteht, dass nichts in der Welt aus sich heraus für heilig befunden werden dürfe, und der immerwährenden Gefahr von kollektiver Selbstsakralisierung, der jedes gläubige Kollektiv von Menschen ausgesetzt ist.

Hinweis

Diesen Text verfasste Simon Scheller. Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.