Menschen denken nicht gern, vor allem in Drucksituationen wird oft vorschnell auf bewährte Lösungen zurückgegriffen (Bild: Photocase)

Psychologen und Praktiker treffen sich seit rund 20 Jahren in Bamberg, um über die Optimierung von Produktentwicklungsprozessen nachzudenken. Ein aktuelles Projekt heißt BEMAP und wird in Kooperation mit der TU Darmstadt und der TU Delft durchgeführt (Bild: Reimer Bierhals)

Eine Ära geht zu Ende: Umringt von Umzugskisten stand Dietrich Dörner Rede und Antwort (Bild: Pressestelle)

- Martin Beyer

„Menschen denken überhaupt nicht gern!“

Ein Gespräch mit Dietrich Dörner über die Psychologie der Produktentwicklung und aktuelle Projekte

Eine Ära geht zu Ende, eigentlich gleich zwei. Emeritus Dietrich Dörner räumt sein Büro im Marcus-Haus, gleichzeitig veranstaltete sein Institut für Theoretische Psychologie vom 25. bis 26. Juni das letzte interdisziplinäre Symposium „Psychologietransfer in die Produktentwicklung“ in Bamberg. Wir sprachen mit dem Leibniz-Preisträger. 

Im Sport ist es mittlerweile gang und gäbe: Psychologen werden engagiert, um die Aktiven auch „mental“ punktgenau fit zu bekommen. Wichtig sind dabei vor allem der Umgang mit Drucksituationen und gruppendynamische Prozesse. 

Weniger bekannt dürfte sein, dass es bereits seit rund 20 Jahren einen regelmäßigen Dialog zwischen Ingenieuren und Psychologen gibt, wie man die Entwicklungsphase eines neuen Produkts optimieren kann. In Kooperation mit der TU München, der TU Darmstadt und der Universität in Delft (Niederlande) trafen sich halbjährlich Ingenieure, Psychologen und Konstruktionslehrer in Bamberg, um über die menschlichen Denkprozesse in der Praxis der Produktentwicklung nachzudenken. Aus diesem Austausch heraus entstanden zahlreiche von der DFG geförderte Forschungskooperationen, deren Abschluss das aktuelle BEMAP-Projekt darstellt (einen weiteren Artikel finden Sie hier...). Zum letzten Treffen waren unter anderem auch Firmenvertreter von Airbus, DaimlerChrysler, Westinghouse und Hilti in die Domstadt gereist.

Dr. Petra Kohler von der DaimlerChrysler AG stellte etwa die Tätigkeiten des Teams „Psychologie“ in der DaimlerChrysler-Forschung vor und beschrieb die Ziele, Inhalte und die ersten Erfolge des Planspiels „Desert Construction“, welches verwendet wird, um „weiche“ Faktoren erfolgreicher Teamarbeit zu erfassen.

Mit der Verabschiedung von Emeritus Prof. Dr. Dietrich Dörner sowie der damit verbundenen Auflösung des Instituts für Theoretische Psychologie wird der fächerübergreifende Dialog über die Frage, wie sich psychologische Erkenntnisse in der Produktentwicklung nutzen lassen, in Bamberg wahrscheinlich nicht mehr fortgesetzt.

Dieser Dialog wurde 1985 von Dörner angeregt, der mit seinen Forschungsarbeiten menschliche Denkprozesse beim komplexen Problemlösen unter die Lupe genommen und unter dem Schlagwort „Die Logik des Misslingens“ typische Denkfehler erläutert hatte. Seit 22 Jahren trat die Expertenrunde zweimal im Jahr in Bamberg zusammen, um das Vorgehen von Ingenieur-Gruppen zu optimieren und somit wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis zu übertragen.

Wir sprachen mit Dietrich Dörner über das (vorläufige?) Ende der Symposien und über seine weiteren Pläne.

Herr Dörner, wie geht es mit dem Dialog zwischen Psychologen und Produktentwicklern weiter nach dem Ende des Instituts für Theoretische Psychologie?

Das ist eigentlich noch recht unklar, es hängt vor allem davon ab, wer mein Nachfolger wird und wann dieser seine Arbeit in Bamberg aufnimmt. Es kann durchaus sein, dass es noch einmal ein Treffen in Bamberg geben wird, das ist aber derzeit nicht abzusehen. Es war so oder so eine sehr lange, sehr fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Maschinenbauern, Konstruktionslehrern der TU Darmstadt und der TU München und Bamberger Psychologen. Hier waren zwei Bereiche zusammen, die vorher selten zusammengearbeitet hatten. 

Was bleibt von dieser Zusammenarbeit?

Eine wichtige Erkenntnis: Es braucht eine individuelle Ausbildung der Ingenieure. Man kann nicht von der festen Konstruktionsmethode ausgehen, alles muss den Umständen angepasst werden, dem Produkt, aber auch den Persönlichkeiten der jeweils konstruierenden Ingenieure.

Was ist mit Gruppenprozessen?

Darauf haben wir zuerst gar nicht geachtet. Vorerst stand der Einzelfall im Mittelpunkt, dann hatte sich Dr. Petra Badke-Schaub gegen einige Widerstände bei uns durchgesetzt, und sie hatte Recht: Denn Ingenieure sind immer eingebunden in Gruppen. Man kann aber nicht sagen, dass Gruppenarbeit generell gut wäre, Einzelarbeit generell schlecht. Gruppenarbeit ist gut für die Kritik von fertig vorliegenden Entwürfen, auf neue Ideen und Einfälle zu kommen ist aber oft besser möglich in Einzelsituationen, bevor die Gruppe alles zerredet. Hier ist ein Wechselspiel nötig, alles zu seiner Zeit, wie es in der Bibel heißt.

Gibt es einen klassischen Fall, was schief laufen kann bei einer Produktentwicklung?

Leute gehen oft zu methodisch vor, und zwar mit Lösungen, die sich vorher bewährt haben, auf neue Probleme aber nicht mehr passen. Ein Beispiel: Die Ariane 5 ist bei einem Testflug explodiert, weil man ein gut funktionierendes Computerprogramm eingebaut hat, was bei den Vorgängern keine Probleme bereitet hat. Nur: Hier musste es viel länger laufen,  das hatte man nicht bedacht. Das ist der Fehler des Methodizismus, den würde ich hier hoch ansetzen, gerade unter Zeitdruck werden die alten Lösungen übernommen, also das, was sich schon bewährt hat, ohne den neuen Kontext zu beachten.

Haben Menschen Schwierigkeiten, langfristig zu denken?

Menschen denken überhaupt nicht gern. Das gilt besonders für schwierige Situationen und für Situationen unter hohen Zeitdruck. Dann werden fertige Modelle übernommen, ohne die veränderte Gesamtsituation zu beachten. Dieses Verhalten ist schwer ausrottbar, aber vielleicht ein bisschen doch.

Gab es anfangs große Berührungsängste zwischen den Ingenieuren und den Psychologen?

Nein, das war nicht schwierig, im Gegenteil. Die Zusammenarbeit kam ja gerade dadurch zustande, dass die Ingenieure auf uns zukamen! Die entscheidenden Impulse kamen von Prof. Dr. Gerhard Pahl von der TU Darmstadt und von Prof. Dr. Klaus Ehrlenspiel von der TU München. Aber auch wir Psychologen mussten uns ändern, unsere übliche Methodik, Untersuchungen nach dem Versuchsgruppen-Kontrollgruppen-Prinzip zu planen und die Ergebnisse statistisch auszuwerten, funktionierte nicht; wir mussten Einzelfälle und einzelne kritische Ereignisse untersuchen.

Wer arbeitet von den Bamberger Psychologen noch an dem Projekt mit?

Das sind vor allem Petra Badke-Schaub, Ilona Schuster und Reimer Bierhals mit dem BEMAP-Projekt. Es kommen auch viele Diplomarbeiten aus dem Bereich. Ich selbst bin als „hauptamtlich Wirkender“ zeitweise ausgestiegen, als ich den Leibniz-Preis bekam. Ich habe mich dann auf andere Projekte konzentriert.

Als Psychologie wird man scheinbar immer gebraucht, neuerdings vor allem auch im Sport. Wann kann Psychologie missbraucht werden?

Sie können jedes Küchenmesser missbrauchen. Psychologie kann aber nur in bestimmten Situationen stark missbraucht werden, vor allem in diktatorischen Systemen. Dann haben die Menschen keine Ausweichmöglichkeit, wenn sie jemand psychisch unter Druck setzen will. Wichtig ist hier vor allem das Selbstwertgefühl der Menschen. Darauf zielen alle Foltermaßnahmen ab. Das Selbstwertgefühl wird dadurch zerstört, dass Handlungen keine Folgen mehr haben, die Menschen werden isoliert und von allen äußeren Einflüssen ferngehalten. Dagegen kann man allerdings auch angehen: Dietrich Bonhoeffer hat in der Haft Kirchenlieder rekapituliert, um sich eine Selbstbestätigung zu beschaffen, Konrad Lorenz hat in russischer Kriegsgefangenschaft den „Faust“ nachgedichtet. Man kann da aus der Psychologie sehr leicht etwas ableiten, aber dazu reichen eigentlich schon Alltagsbeobachtungen, eine Alltagspsychologie.

Was werden Sie weiterhin tun, welche Projekte stehen noch an?

Ich konzentriere mich hauptsächlich auf ein Projekt, das ist weiterhin der „Bauplan der Seele“. Wir sind gerade dabei, Gruppenphänomene zu erklären, Massenpaniken, Bürgerkriege, revolutionsähnliche Situationen. Die wichtigste Untersuchung gilt aber der Aufklärung des geheimnisvollen Begriffs des Bewusstseins. Außerdem schreibe ich ein Buch über die psychologischen Grundlagen der Übernahme von Ideologien. Das Erstaunliche ist ja, dass deren Grundannahmen, und das gilt auch für Religionen, gelinde gesagt sehr seltsam sind, sehr bezweifelbar. Die Ideologien und der Glaube leben unter einem Verbot des Zweifels, die Wissenschaft unter dem Gebot des Zweifels. Dazu wird noch viel zu arbeiten sein!