Gesamtbewertung

Beide Gedenktafeln passen sich schlüssig in die Erinnerungskultur der Zeit der frühen 1920er-Jahre ein, indem sie die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg und seine Gefallenen – im wahrsten Sinne des Wortes – in Stein meißeln. In der Tat schossen überall in Deutschland (wie in allen am Weltkrieg beteiligten Nationen), getragen meist von lokal-gemeindlichen Initiativen, Gedenktafeln und sogenannte Kriegerdenkmäler aus dem Boden.

Ihnen allen gemeinsam ist die ehrende Erinnerung an den Einsatz der im jeweiligen Heimatort für ihr Vaterland Gefallenen, die bewusst in die Öffentlichkeit getragen ist: ein Phänomen, das sich auch für andere Kriege des 19. Jahrhunderts, etwa die „deutschen Einigungskriege“, markant feststellen lässt.

In diesem Kontext sollte für Deutschland die sogenannte Dolchstoßlegende mitgedacht werden, die bereits kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs aufkam und sich zu einer massiven Hypothek der jungen Demokratie entwickelte. Mit ihrer Hilfe versuchten vornehmlich führende Militärs und politisch rechtsstehende Kräfte die faktische Kriegsniederlage des Deutschen Kaiserreichs zu verbrämen und deren Ursachen auf die junge Weimarer Demokratie und deren parlamentarische Vertreterinnen und Vertreter abzuwälzen. Die deutschen Armeen seien demnach, „im Felde unbesiegt“, durch politisches und gesellschaftliches Hintertreiben an der „Heimatfront“ im Stich gelassen worden. In solch ambivalenter Gesamtatmosphäre, bestimmt durch den extremen Spannungsbogen zwischen demokratischen Aufbaubemühungen und dem Blick zurück in vermeintlich goldene Kaiserzeit, war es ein Leichtes auch die Erinnerung an die militärischen Toten des Ersten Weltkriegs gewissermaßen zu transzendieren.

Gerade Gedenktafeln bzw. Kriegerdenkmäler der frühen 1920er-Jahre sprechen hinsichtlich ihrer Bildsymbolik und ihres Textprogramms eine deutliche Sprache: Indem sie das Motiv des Opfertodes, das sich unter anderem aus christlich-biblischem Impetus speist, mit jenem des soldatischen Heldentodes mischen, erfahren die Gefallenen im Nachhinein eine Art höhere Weihe. Geradezu exemplarisch finden sich diese Tendenzen am Beispiel der beiden untersuchten Gedenktafeln. Sinnstiftend ist einmal der Opfertod Jesu, der „sein Leben hingibt für seine Freunde“, ein andermal der Heldentod Siegfrieds, der die Lebenden mahnt, dass sie „für Unwürd’ge nicht geblutet“.

In beiden Fällen geht es um Legitimation und Sinnstiftung eines Krieges, der als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ Millionen von Menschen das Leben kostete. Mag insbesondere die Gedenktafel im ehemaligen Alten Gymnasium (U 5) mit Körners Zitat durchaus auf zarte Anfänge einer entstehenden deutschen Demokratiebewegung anspielen, so propagiert sie eben auch den militärischen Einsatz gegen Napoleon, dessen Expansion Europa (und vor allem die deutschen Staaten) massiv bedrohte, als leuchtendes Vorbild, das notfalls auch den „Heldentod“ einkalkuliert. Just in solchem historischen Kontext liegen bekanntlich auch die Wurzeln dessen, was in propagandistischer Verzerrung als deutsch-französische „Erbfeindschaft“ seinen langen, dunklen Schatten auf Europa vorauswerfen sollte.

Folgt man Astrid Erll als einer der besten Kennerinnen des Diskurses, so sind „Erinnerungskulturen“, als deren Ausdruck auch die beiden untersuchten Gedenktafeln gelten müssen, „historisch und kulturell variable Ausprägungen von kollektivem Gedächtnis“ (Erll, 2008, S. 176). Sind jene ursprünglich als ehrendes, identifikations- und sinnstiftendes Element konzipiert und entsprechend realisiert worden, so irritieren sie den heutigen Betrachter gerade dadurch in Duktus, Stil und Botschaft.

Da eben das „kollektive Gedächtnis“ unserer Gesellschaft in weiten Teilen nicht mehr damaligem Zeitgeist entspricht, sollte es nachgerade Aufgabe heutiger politischer Bildung sein, solche Produkte ihrer Zeit entsprechend kritisch zu hinterfragen und deren Logik(en) in größere historische Zusammenhänge zu setzen. Dementsprechend zeigt sich historisches Lernen etwa zu Gedenktafeln des Ersten Weltkriegs nicht nur im Verstehen der damals relevanten Zeitumstände (gemäß Rankes Diktum „Wie es eigentlich gewesen ist“), sondern auch in der bedachten Entwicklung einer Orientierung schaffenden Urteilskompetenz. Dass vor allem wertende Urteile hier durchaus ambivalent ausfallen können, ist im Rahmen der Befassung mit Erinnerungskultur hinreichend bekannt. Auch die Bamberger Gedenktafeln liefern hierfür allemal ein prägnantes Beispiel.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Quellen:

Bamberger Tagblatt, 01.08.1921.

Bamberger Volksblatt, 07.11.1921.

Bayer. Lyzeum Bamberg. Hochschule für das philosophische und das katholisch-theologische Studium. Bericht über das Studienjahr 1916/17. Bamberg 1917.

Bayer. Lyzeum Bamberg. Hochschule für das philosophische und das katholisch-theologische Studium. Bericht über das Studienjahr 1917/18. Bamberg 1918.

Bayer. Lyzeum Bamberg. Hochschule für das philosophische und das katholisch-theologische Studium. Bericht über das Studienjahr 1918/19. Bamberg 1919.

Bayer. Lyzeum Bamberg. Hochschule für das philosophische und das katholisch-theologische Studium. Bericht über das Studienjahr 1919/20. Bamberg 1920.

Jahres-Bericht des Alten Gymnasiums in Bamberg für das Schuljahr 1921/22. Bamberg 1922.

Theodor Körner: Zwölf freie deutsche Gedichte. Leipzig 1813.

Literatur:

Allgemeines Künstlerlexikon – Internationale Künstlerdatenbank - Online (http://www.degruyter.com/db/akl, Abruf: 27.11.2018).

Christian Chandon, Universitätsarchiv Bamberg 2017; URN: in: https://doi.org/10.20378/irbo-52217.

Astrid Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. In: Ansgar Nünning, Vera Nünning (Hg.): Einführung in die Kulturwissenschaften. Theoretische Grundlagen – Ansätze – Perspektiven. Stuttgart 2008, S. 156-185.

https://fredericia.de/geschichte/ (Abruf: 23.11.2018).

khg.bodyhey.com/index.php/informationen-2/oberstufe/19-beispielbeitraege/joomla/48-das-joomla-projekt (Abruf: 28.11.2018).

khg.bamberg.de/index.php/schulleben/schulprojekte/1-weltkrieg/59-spurensuche (Abruf: 15.05.2019)

Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf ein verdienstvolles wissenschaftliches Projekt, das von einem P-Seminar des Kaiser-Heinrich-Gymnasiums Bamberg in den Jahren 2015 bis 2017 (Leitung: Dr. Christa Horn) durchgeführt und in dessen Rahmen ein historischer Rundgang ("Auf den Spuren der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Bamberg") konzipiert wurde. Dieser thematisiert u.a. auch die Gedenktafeln der U2 und U5 und richtet dabei besonderes Augenmerk auf das individuelle Schicksal der auf den Tafeln jeweils aufgelisteten Gefallenen.