Big Brother is watching? (Bild: Photocase)

Prof. Dr. Edna Ullmann-Margalit (Bild: Tamar Margalit)

- Monica Fröhlich und Georg Schmidtgen

Die Kamera in der Küche

Philosophisches Nachdenken über Beobachtung, soziale Normen und Sauberkeit

Was passiert, wenn in einer Gemeinschaftsküche eine Kamera installiert wird? Wie verhalten sich Betroffene, welche Argumente für und wider eine der Sauberkeit dienenden Überwachung werden ausgetauscht? Die international anerkannte Jerusalemer Philosophie-Professorin Edna Ullmann-Margalit analysierte einen aktuellen „Vorfall“.

Was dieser Vorfall mit Politikwissenschaft zu tun hat, wurde schnell deutlich: In Ullmann-Margalits Vortrag „We the Big Brother or The Curious Incident of the Camera in the Kitchen“ ging es um die Grenzziehung zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit, um die Entstehung sozialer Normen sowie um die moralischen Folgen unterschiedlicher Formen der Durchsetzung von Normen.

Wie privat ist eine Uni-Küche? Warum überhaupt Privatheit?

Angesichts einer fast schon allgegenwärtigen Überwachung im öffentlichen Bereich ging Frau Ullmann-Margalit zunächst den Fragen nach, ob eine Kamera in einem halböffentlichen Raum wie einer universitären Gemeinschaftsküche dieselbe Legitimität genieße wie die Überwachung öffentlicher Bereiche, und ob überdies die Gewährleistung von Sauberkeit ethisch vergleichbar sei mit der Gewährleistung von Sicherheit vor kriminellen Handlungen. Warum und wie weit beeinträchtigt das Aufstellen einer Kamera in einer Küche am Arbeitsplatz eigentlich die persönliche Privatsphäre der beobachteten Mitarbeiter?

Das oft in Debatten über Überwachungstechniken vorgebrachte Argument, die Leute sollten sich nicht über derlei Instrumente aufregen, es sei denn, sie hätten etwas zu verbergen, wurde hier einer kritischen Betrachtung unterzogen: Es unterstelle, dass der Wunsch nach Privatsphäre identisch sei mit der Tatsache, etwas zu verbergen zu haben.

Um wessen Würde geht es?

Anschließend betrachtete Frau Ullmann-Margalit die asymmetrische Situation von Beobachtern und Beobachteten, die nicht nur zu Unsicherheit und damit zu einem eingeschränkten Bewegungsraum für die Beobachteten führe. Sie machte deutlich, dass auch die Beobachter, also diejenigen, die die Übeltäter zur Ordnung rufen sollen – etwa durch Bloßstellung – in eine moralisch schwierige Lage gebracht werden. Die Komplikationen für das Zusammenleben für alle, die hieraus entstehen, können dazu führen, dass die Lösung des Problems  schlimmer ist als das Problem selbst.

Wer entscheidet, wer ist verantwortlich?

Schließlich ging es noch um die Frage, wie und von wem die Entscheidung über die Aufstellung einer Kamera zur Überwachung der Sauberkeit überhaupt hätte getroffen werden dürfen. Kann jeder, der sich belästigt fühlt, so etwas tun? Oder hat die Universitätsleitung bzw. die Institutsleitung die alleinige Befugnis, solcherlei Entscheidungen zu treffen? Oder sollten die von einer potentiellen Überwachung betroffenen Personen selbst über diesen Punkt mittels demokratischer Verfahrensweise entscheiden? Und wenn ja: Mit einfacher Mehrheit, oder sollte es so etwas wie Minderheitenschutz geben?

In ihrer Eigenschaft als Direktorin des Center for the Study of Rationality hat Ullmann-Margalit die Kamera wieder entfernen lassen. Obwohl, so ihre Zusammenfassung der Auseinandersetzung, eine deutliche Mehrheit der Mitarbeiter für die Installation der Kamera gewesen sei. Eine Mehrheit allerdings, die allein das Küchenproblem im Blick hatte und sich kaum über die Nebenwirkungen der möglichen Lösungen dieses Problems den Kopf zerbrochen habe.