Marken, Produkte und Dienstleistungen mit allen Sinnen erfahrbar machen
Wer den druckfrischen Hausprospekt von THERAmed aufschlägt, erblickt auf Seite 5 eine junge Frau in Sportbekleidung, die eine Hantel stemmt und dabei entspannt in die Kamera lächelt. Die Frau ist Mitglied im THERAmed Gesundheitsstudio und das Fitnessstudio, in dem das Foto gemacht wurde, gehört zum Zentrum für Therapie und Gesundheit im oberfränkischen Bad Staffelstein.
Das Angebot des mittelständischen Unternehmens mit rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern richtet sich an zwei recht unterschiedliche Zielgruppen: Ambulante Rehabilitation für Menschen mit orthopädisch-neurologischen Krankheitsbildern und Prävention für solche, die entsprechenden Beschwerden durch regelmäßige Bewegung und gesunde Ernährung vorbeugen möchten. Das Bewegungskonzept richtet sich speziell an gesundheitsorientierte Menschen der Generation 60plus. Der neue Hausprospekt soll beide Gruppen ansprechen: „Wir sind mit dem ersten Ergebnis sehr zufrieden und zuversichtlich, dass das auch auf die Kunden wirkt“, erklärt Diplom-Sportwissenschaftler und Fachwirt für Prävention und Gesundheitsförderung Michael Jerutka, der bei THERAmed unter anderem für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist.
Ist diese Zuversicht berechtigt? Inwiefern teilen aktuelle und potentielle Kundinnen und Kunden diese Einschätzung? Vermittelt der Hausprospekt die gewünschten Selbstbilder? Wird er tatsächlich beiden Zielgruppen gerecht? Gemeinsam mit Wahrnehmungsforschern der Universität Bamberg hat Jerutka nach Antworten auf diese Fragen gesucht: THERAmed nimmt an dem Projekt „Multimodales Marketing für KMU“ des Lehrstuhls für Allgemeine Psychologie und Methodenlehre teil, das noch bis Mai 2017 unter der Leitung von Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Claus-Christian Carbon läuft. Dabei handelt es sich um ein Weiterbildungsangebot, das speziell auf die Bedürfnisse von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zugeschnitten ist. Ziel ist es, die teilnehmenden KMU durch die Vermittlung von aktuellen Erkenntnissen aus der Wahrnehmungs- und Werbepsychologie, bei der erfolgreichen Präsentation ihrer Marken, Produkte und Dienstleistungen zu unterstützen. Die Universität Bamberg, der Freistaat Bayern und der Europäische Sozialfond finanzieren das Projekt mit Fördergeldern von insgesamt 180.000 Euro.
Mehrere Sinnesmodalitäten zu einem stimmigen Gesamteindruck vereinen
Neben dem Visuellen Marketing – also der Zielgruppenkommunikation mit Text und Bild – geht es beim Multimodalen Marketing um das Zusammenspiel unterschiedlicher Sinneseindrücke bei der Gestaltung von Werbemitteln: Ein Werbeprospekt wirkt nicht nur durch seinen Inhalt und sein Layout. Er spricht auch Tast- und Geruchssinn an. Diese Sinneseindrücke transportieren Botschaften, die mit den Aussagen in Wort und Bild übereinstimmen oder davon abweichen können: Eine Werbebroschüre für Naturkosmetik zum Beispiel, die nach Lösungsmittel riecht, wirkt wenig vertrauenswürdig, auch wenn sie optisch ansprechend gestaltet ist.
An dem Projekt nehmen neben THERAmed noch zwölf weitere Betriebe aus der Region teil. Alle durchlaufen zunächst eine Online-Phase, in der Grundlagen und aktuelle Erkenntnisse aus der Wahrnehmungsforschung und der Werbepsychologie vermittelt werden. Daran schließen sich Präsenzworkshops an, in denen die Wahrnehmungsforscher die Inhalte des Online-Kurses gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf unternehmensspezifische Anforderungen im Marketingbereich übertragen – wie etwa die Evaluation des Hausprospekts bei THERAmed.
Im ersten Präsenzworkshop entwickelten die Diplompsychologen Stefan Ortlieb und Thorsten Schmittlutz, die das Projekt federführend betreuen, gemeinsam mit Jerutka ein Soll-Profil. Das beschreibt, wie THERAmed von seinen Kundinnen und Kunden aber auch von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wahrgenommen werden möchte. Dieses Profil bildete die Grundlage eines Fragebogens mit dem 11 Angestellte, 17 Kundinnen und Kunden sowie 20 Studierende der Universität Bamberg befragt wurden. Allen Studienteilnehmenden wurde zunächst der neue Hausprospekt überreicht. Nachdem sie sich damit vertraut gemacht hatten, wurden sie gebeten, ihren persönlichen Eindruck zu beschreiben. Durch den Abgleich des Soll-Profils mit den Bewertungen der verschiedenen Zielgruppen lassen sich Verbesserungsbedarfe identifizieren. Die Ergebnisse dieser Studie wurden im zweiten Präsenzworkshop analysiert und interpretiert. Diese folgten in weiten Teilen dem vorab definierten Soll-Profil, so dass die Überlegungen bei der Erstellung des Prospektes bestätigt wurden. Positiv beurteilt wurden vor allem der Gesamteindruck, die Farbgestaltung und die Qualität der verwendeten Fotos. Dass es sich bei den Fotomodellen tatsächlich um Mitglieder, Patienten, Kundinnen und Kunden sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter handelt, wurde als sehr authentisch empfunden, auch wenn Befragte vereinzelt anmerkten, dass die jungen, sportlichen Trainerinnen und Trainer eher die gesundheitsbewusste Klientel als die Reha-Patienten ansprechen. Ein Kritikpunkt war allerdings das Format. Durch die Größe (DIN A4) und die Ausrichtung im Querformat litt die Handhabbarkeit und der Prospekt musste zum Lesen entweder geknickt oder auf einen Tisch gelegt werden.
Im Dialog mit THERAmed und den anderen Unternehmen, führt Ortlieb aus, „werden wir immer wieder auf neue, interessante Fragestellungen und Anwendungsmöglichkeiten aufmerksam. Oft lassen sich mit etwas Feedback und kleinen Veränderungen in der Außendarstellung große Effekte erzielen. Dies kommt vor allem kleinen und mittleren Unternehmen zugute, die nicht über ein großes Marketingbudget verfügen.“
Weitere Kooperation im Gespräch
Die Zusammenarbeit bringt nicht nur den Wissenschaftlern neue Erkenntnisse, sondern eröffnet auch den teilnehmenden Unternehmen neue Perspektiven. Dass das gelungen ist, glaubt auch Michael Jerutka. Für das Unternehmen habe die Evaluation „ein sehr positives Feedback" gebracht und gezeigt, dass die Einflüsse der Wahrnehmungsforscher auf die Gestaltung der Broschüre „sich mehr bemerkbar gemacht haben, als ich es gedacht hätte", berichtet Jerutka. Angetan sei er von der Zusammenarbeit mit der Universität. „Ich habe erstmals richtig wahrgenommen, was an der Universität Bamberg alles geboten ist und vor allem, was die Wissenschaft in die Praxis transferieren kann." Besonders wichtig sei es gewesen, erklärt er, „dass die Universität bei den Befragungen auf Ressourcen zurückgreifen konnte, die wir in der Form nicht gehabt hätten." Es sei eben etwas anderes, Rückmeldung von Personen zu bekommen, die das Unternehmen unvoreingenommen sehen, als sich nur auf die Eindrücke von Angestellten und Kunden zu stützen. Aufgrund der positiven Erfahrungen möchte Jerutka die Kooperation mit den Bamberger Wahrnehmungsforschern fortsetzen – zum Beispiel im Rahmen eines geplanten Folgeprojekts zur Förderung von Kreativität und Innovation in kleinen und mittleren Unternehmen.