Sonderweg oder zuverlässige Kooperation? Großbritannien lässt sich nicht so einfach unter den „europäischen Arm“ klemmen (Bild: Photocase)
Über Kunst und Kultur nach 1945 in Großbritannien referierten die Villa-Concordia-Stipendiatin Louise Welsh (rechts) und Toby Thacker aus Cardiff. In der Mitte Gastgeberin Christa Jansohn...
...hier neben dem Vertreter der Hanns-Seidel-Stiftung, Reinhard C. Meier-Walser (Bilder: CBS)
Es wurde auch „genetworked“ in den Seminarräumen von Kloster Banz
Zwischen Nostalgie und Zukunft
„Großbritannien – Inselstaat im Spannungsfeld zwischen Amerika und Europa, Nostalgie und Zukunft“, so lautete der Titel der am 25. und 26. Januar durchgeführten Expertenkonferenz in Kloster Banz. Zum zweiten Mal kooperieren hierfür das Centre for British Studies unter der Leitung von Prof. Dr. Christa Jansohn und die Hanns-Seidel-Stiftung, vertreten durch Dr. Reinhard C. Meier-Walser, miteinander. In diesem Jahr lag der Schwerpunkt auf Londons Rolle als „schwieriger Partner“ der EU und Verbündeter der USA sowie auf einigen kulturellen Prozessen nach 1945. Geladen waren 36 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Provenienz, Studierende, Mitglieder der Deutsch-Britischen Gesellschaft, Mitarbeiter des British Council und des Britischen Generalkonsulats. Die interdisziplinäre Tagung widmete sich am ersten Tag ausschließlich den geschichtlichen und politischen Themenbereichen, am zweiten dann der britischen Literatur, Musik und dem Film.
Dritter Weg
Den Eröffnungsvortrag hielt Prof. Dr. Roland Sturm, Politikwissenschaftler an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er skizzierte die politische, die wirtschaftliche und die soziale Entwicklung Großbritanniens von der Nachkriegszeit bis heute, gegliedert in drei Leitbilder: Nachkriegskonsens, Thatcherismus und Dritter Weg.
Nach dem Verlust des Empire kam nach dem 2. Weltkrieg die Wirtschaftskrise – hohe Staatsschulden, ein Regierbarkeits- und Legitimationsproblem waren nur einige der Konsequenzen. In dieser Situation wurde Europa als Chance gesehen. Unter Margaret Thatcher vollzog sich hingegen ein Wertewandel. Europa galt nicht mehr als Chance, vielmehr als Bedrohung des wirtschaftlichen Reformmodells. Doch der extreme Liberalismus führte zu einer mangelnden wirtschaftlichen Kohäsion, zur Entfremdung von Randregionen. „Die Unlösbarkeit des Nordirlandkonflikts wurde virulent, der Niedergang öffentlicher Leistungen unaufhaltsam“, so Sturm.
Die Dritte-Weg-Politik der New Labour-Regierung sollte von einem allumfassenden Zentralismus in Wirtschaft und Gesellschaft zu einer aktiven, sich selbst regulierenden Bürgergesellschaft führen. Die defizitären Zustände vermochte sie aber größtenteils nicht aufzuheben. Der kurze Überblick der inneren Geschichte deutet bereits auf eine gewisse Sonderstellung Großbritanniens in politischer und ökonomischer Hinsicht hin. Diese wird noch deutlicher, bedenkt man die geographische Lage der zwar europanahen, aber doch vom Kontinent getrennten Insel. Die Mittlerrolle der Monarchie zwischen USA und Europa bedeutet einen enormen Balanceakt und führt zwangsläufig zu einer latenten Unzugehörigkeit zu beiden Kontinenten.
Der Anti-Europäer
„Seit mehr als einem halben Jahrhundert hat Großbritannien in der europäischen Bewegung die Rolle des Bremsers gespielt – oft sehr geschickt kaschiert, aber immer effizient. Wenn die Europäische Union jemals zum globalen Akteur werden will, muss sie London vor die Wahl stellen: entweder konstruktiv mitzuarbeiten – oder zurückzubleiben.“ Dies schreibt Egon Bahr, früher außenpolitischer Sprecher der SPD, in seinem vor wenigen Monaten erschienenen Artikel „Der Anti-Europäer“. Reinhard C. Meier-Walser, Vorsitzender der Akademie für Politik und Zeitgeschehen, argumentierte in seinem Referat über „‚Awkward partner?’ Großbritannien und Europa“ gegen Bahr und dessen Behauptung, in Tony Blairs Denken spiele die EU keine Rolle und er versuche alles, um die Handlungsfähigkeit der EU zu blockieren.
Meier-Walser ging vor allem auf Blairs federführende Rolle in der Kosovo-Krise ein: „Großbritanniens Premier forderte ein klares Handeln der NATO gegenüber Slobodan Milosevic und sorgte für Konsens innerhalb der EU.“ Und so bleibt das Verhältnis des Inselstaates zu Europa ambivalent, was auch die anschließende, lebhafte Diskussion nur unterstrich. Britische Politiker treten regelmäßig als Mahner vor einem europäischen Zentralismus auf, der den Nationalstaaten Eigenständigkeit rauben könnte. Großbritannien beteiligte sich weder am Schengen-Abkommen noch an der Wirtschafts- oder Währungsunion. Das Fortleben negativer Stereotypen im Hinblick auf die EU in der Bevölkerung spielt ebenso eine Rolle. Ähnlich wie das in den britischen Massenmedien propagierte negative Deutschlandbild die Deutsch-Britischen Beziehungen prägt. „‚Stille Allianz’? Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland“ war dann auch das anschließende Thema von Prof. Dr. William Paterson von der University of Birmingham – ein fundierter Überblick zur Geschichte der Haltung der zwei Länder zueinander.
Projektion des „British way of life“
Am Beginn des zweiten Tages standen die am 10. Mai 1945 im BBC gesprochenen Worte Thomas Manns: „Hörer! Wie bitter ist es, wenn der Jubel der Welt der Niederlage, der tiefsten Demütigung des eigenen Landes gilt! Wie zeigt sich darin noch einmal schrecklich der Abgrund, der sich zwischen Deutschland ... und der gesitteten Welt aufgetan hatte!“ Prof. Dr. Gabriele Clemens’ (Universität Hamburg) und Dr. Toby Thackers (Cardiff University) Ausführungen über britischen und amerikanischen Film beziehungsweise Musik in Deutschland nach 1945 zeigten Parallelen in der Vorgehensweise der Besatzungsmächte und Diskrepanzen in der Rezeption ihrer Kunst durch die deutsche Bevölkerung auf. Das Ziel war die Umerziehung und die Entnazifizierung. Dabei warb man natürlich auch für den „British (bzw. American) way of life“. Trotz aller Bemühungen konnten die Briten ihre Filme nicht durchsetzen. Ihr Humor war den Deutschen unverständlich, die Inhalte waren uninteressant, die Technik veraltet, vor allem verglichen mit Hollywoodproduktionen, die eindeutig auf dem Vormarsch waren. Die britischen Charles Dickens-Adaptionen wie „Oliver Twist“ oder „Great Expectations“ konnten sich nicht gegen Filme wie Charlie Chaplins „Gold Rush“ behaupten. Genau umgekehrt verhielt es sich auf dem Gebiet der Musik. Der amerikanischen zeitgenössischen Musik misstraute man – sie schien ungewohnt fremd. Die britischen Komponisten dagegen stießen bei Konzerten und Radiosendungen auf ein enthusiastisches Publikum.
Louise Welsh, schottische Kriminalautorin und derzeitige Stipendiatin des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg, konzentrierte sich auf die subtile Verarbeitung des Zweiten Weltkriegs in der britischen Literatur. In der durch John Osbornes Drama „Look Back in Anger“ ausgelösten Bewegung der „Angry Young Man“ zeige sich laut Welsh eine provokative, anti-autoritäre Haltung, die auf die Kriegsgeschehnisse verweist, sie aber mit keinem Wort direkt erwähnt. Auffällig sei der Wertewandel von Kunst als Freizeitvergnügen der Mittelschicht zu Kunst als Medium der breiten Masse zur Darstellung ihrer Belange.Weitere Aktivitäten zwischen dem Centre for British Studies und der Hanns-Seidel-Stiftung sind geplant. Nach fast 2 Tagen gegenseitigen Austauschs ergaben sich schließlich auch einige Bekanntschaften, es wurde „genetworked“, wie es Meier-Walser ausdrückte.