Ein Knopfdrück genügt: Das Notrufarmband bietet Sicherheit (Bild: SOPHIA)

Von der Bamberger Uni in ein erfolgreiches Bamberger Unternehmen, die Alumni Martina Saalmüller (von links), Ruth Knapheide und Gerhard Nunner (Bild: Pressestelle)

Es ist eine Frage der Gewöhnung, aber wenn die Berührungsängste zur modernen Technik erst überwunden sind, ist auch die Bildtelefonie für Senioren kein Problem mehr

Ruth Knapheide an einem der Arbeitsplätze der ehrenamtlichen Betreuer. Über eine kleine Kamera werden Gestik und Mimik übertragen, gesprochen wird über ein Headset (Bild: Pressestelle)

- Martin Beyer

Wohnst du noch oder gehst du schon?

Mit der Personenbetreuung SOPHIA können Senioren länger in den eigenen vier Wänden leben

Die Angst vor dem Sturz: Was passiert, wenn ich mich nicht mehr sicher in meinen Zimmern bewegen kann? Muss ich dann gleich ins Altersheim? Mit der Personenbetreuung SOPHIA können ältere Menschen länger und sicherer in ihren Wohnungen bleiben. Das Modellprojekt wurde an der Universität Bamberg entwickelt und feiert mittlerweile deutschlandweit Erfolge.

„Die vertrauten vier Wände, dieser ganz bestimmte Geruch, Gegenstände, die Erinnerungen wecken. Es ist für mich keine schöne Vorstellung, meine gewohnte Umgebung verlassen zu müssen. Aber man weiß ja nie, wann es soweit ist“, sagt die 63-jährige Irene aus Bamberg, die alleine in einer Zwei-Zimmer-Wohnung lebt. Es ist eine intuitive Erkenntnis und bedarf eigentlich kaum einer wissenschaftlichen Absicherung: Ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden, nach einem eigenen Rhythmus ist für viele ein wichtiger Bestandteil für die persönliche Zufriedenheit, wenn nicht für das persönliche Glück. Wenn es dann doch einmal zu einem Sturz kommt oder wenn die Schärfe der Wahrnehmung abnimmt, dann stellt sich eines Tages die Frage, vor der viele Angst haben: Muss ich jetzt ins Heim? In den nächsten Jahren könnte sich angesichts der demographischen Entwicklung, sprich einer Überalterung der Gesellschaft noch eine ganz andere Frage stellen: Bekomme ich überhaupt noch einen Platz?

„Die Soziale Personenbetreuung – Hilfen im Alltag“, kurz SOPHIA, setzt genau an diesem Punkt an. Mit technischen Hilfen wie einem Notrufdienst, aber vor allem mit einer persönlichen Betreuung per Bildkommunikation soll die Sicherheit älterer Menschen zuhause erhöht und ein längeres Wohnen in den heimischen Zimmern gewährleistet werden. Ältere Menschen und Bildkommunikation? Ist das überhaupt vorstellbar? But to begin with the beginning.

Fördersumme von über eine Million Euro

2002 wurde von Prof. Dr. Richard Pieper, Professor für Urbanistik und Sozialplanung an der Universität Bamberg, und dem Vorstandssprecher der Joseph Stiftung, Dr. Wolfgang Pfeuffer, die Idee eines virtuellen Altenheims geboren. Von der ursprünglichen Idee kam man dann ab, schließlich wollte man keine Elementar-Funktionen eines Altenheims übernehmen, sondern eine persönliche Betreuung von Menschen in ihrem Zuhause aufbauen. „Wir wollten uns ganz gezielt in einer Nische positionieren“, sagt Gerhard Nunner, Leiter des technischen Managements der SOPHIA Consulting in Bamberg. „Es ging uns nicht darum, das zu tun, was andere schon gut können, also pflegen zum Beispiel, sondern Leistungen zu erbringen, die sonst keiner in dieser Form anbietet.“ Eine regelmäßige persönliche Betreuung vor Ort ist teuer, deshalb mussten die Initiatoren von SOPHIA umdenken. Wie könnte es möglich sein, eine persönliche Betreuung aufzubauen, nicht nur mit einer Stimme am Telefon, sondern mit Blickkontakt, mit Gestik und Mimik? Die moderne Technik bot Lösungsmöglichkeiten. Zwar hat sich bis heute die Bildtelefonie nicht durchgesetzt, aber mit Hilfe von Breitbandverbindungen ist es ohne größere Kosten möglich, über den eigenen Fernseher miteinander zu kommunizieren.

Zusammen mit der FH Nürnberg wurde ein Projektantrag konzipiert und Fördergelder gesammelt, insgesamt rund 1,7 Millionen Euro. Auch private Sponsoren waren mit an Bord, denn es war von Anfang an geplant, mit dieser Idee auch eine wirtschaftliche Umsetzung, also eine Firmengründung zu realisieren. Nach Auslaufen der öffentlichen Förderung wurde 2004 dann bereits die erste SOPHIA GmbH gegründet, die Joseph Stiftung ermöglichte durch Fördergelder einen fließenden Übergang. Das Software-System zu SOPHIA wurde vom Institut ce-bis an der Universität Bamberg erstellt.

„Das hat immer mein Mann gemacht“

Wie funktioniert SOPHIA? Die Idee ist, dass Wohnungsbaugesellschaften die Leistungen von SOPHIA als Franchisenehmer ihren Mieterinnen und Mietern anbieten. Nur in Bamberg ist es bisher möglich, dass jeder die Leistungen unabhängig von einer Gesellschaft beziehen kann. Das Franchise-System funktioniert: „Der jetzige Stand ist, dass es mittlerweile in Nordrheinwestfalen und in Berlin eine SOPHIA GmbH gibt, auch in Brandenburg und in Südbayern. In Hamburg, Bremen und Mainz läuft es an“, sagt Gerhard Nunner.

Ruth Knapheide, Absolventin der Universität Bamberg, macht Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für das Unternehmen. Auf die Frage hin, ob nach den jüngsten Pflegeskandalen eine erhöhtes Interesse an alternativen Betreuungsprojekten festzustellen ist, kann sie zumindest eine Tendenz feststellen: „Ich glaube, dass sich die Leute immer früher informieren, welche Möglichkeiten es gibt. Es gibt eine höhere Sensibilität, was die Lebensplanung im Alter anbetrifft.“

Ältere Menschen und moderne Technik, wie soll das gehen? Auch in dieses Problem müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von SOPHIA viel Zeit und Aufklärungsarbeit investieren. „Junge Menschen mit einem entsprechenden finanziellen Background haben keine Probleme, neue Geräte auszuprobieren. Schwieriger ist das natürlich bei älteren Menschen“, sagt Nunner. Und Knapheide ergänzt: „Gerade bei verwitweten Frauen gibt es hier Berührungsängste. Sie sagen: ‚Das mit der Technik, das hat immer mein Mann gemacht!’ Daher ist es nicht leicht, das Eis zu brechen und die Ängste zu nehmen.“

SOPHIA-Kunden können unterschiedliche Leistungspakete beziehen. In der Regel werden sie einmal in der Woche von ihrem persönlichen Betreuer angerufen, der ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht und auch andere Leistungen vermittelt. Die Betreuer arbeiten ehrenamtlich, es sind Menschen ganz unterschiedlichen Alters – und das macht den Reiz der SOPHIA-Begegnungen aus. Denn es ist oft so, dass sich hier Generationen begegnen und miteinander sprechen, die wenig, und längst nicht so einen intensiven Kontakt zueinander haben. Ferner werden die Kunden mit einem Sicherheitsarmband ausgestattet, das auf Knopfdruck, aber auch automatisch bei Bewegungslosigkeit den Notruf alarmiert. SOPHIA-Mitarbeiter erinnern an Termine, an die Medikamenteneinnahme, beraten im pflegerischen Bereich, sie bieten den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Sicherheit im Alltag, der nicht mehr so einfach zu bewältigen ist.

Martina Saalmüller, die ebenfalls in Bamberg studiert hat, koordiniert die persönliche Betreuung, Mittlerweile hat SOPHIA über 500 Kunden. Das Konzept hat Erfolg und wird in Evaluationen und Teilnehmertreffen immer wieder positiv bewertet. Also alles im Lot?

Gefahr des Missbrauchs?

Die modernen Technikunternehmen haben mittlerweile die Menschen jenseits der 60 für sich als Zielgruppe entdeckt. Die etwas despektierlich genannte Gruppe der „silver surfer“ wird auf einem übersättigten Markt immer interessanter. Könnte dies also dazu führen, dass auch Firmen, die wie SOPHIA ein persönliches Betreuungsangebot anbieten, unredliche Maßnahmen ergreifen, um Geräte und Verträge an den Mann zu bringen? Gerhard Nunner sieht das gelassen. Nunner: „Solch eine Personenbetreuung fußt auf Vertrauen, den ganz nahen persönlichen Kontakt. Da würde man sich mit windigen Aktionen und Kooperationen in das eigene Fleisch schneiden. Meine Befürchtungen sind diesbezüglich nicht so groß. Wenn das Vertrauen ausgenutzt werden würde, wäre alles ganz schnell ad absurdum geführt, wir sind ja kein Call Centre, Gegenleistungen dürfen kein Muss sein. Wie private Anbieter in Zukunft allerdings vorgehen werden, kann man schlecht voraussagen.“

Auch die technischen Entwicklungen warten die Macher von SOPHIA gelassen ab. Die demographische Entwicklung wird viele neue Ideen und Maßnahmen nötig machen. Ob das bis zum Pflegeroboter reichen wird, ist ungewiss. Aber ohne persönliche Nähe, ohne Vertrauen und Emotionen ist ein sicheres, selbstbestimmtes Leben im hohen Alter kaum vorstellbar. Dafür leistet SOPHIA einen wichtigen Beitrag.