Der Autor Rainer Merkel (mitte) schaut noch etwas skeptisch, Friedhelm Marx und Bernd Goldmann freuen sich über den Besuch des jungen Autors (Bilder: Katharina Hübel)

Rainer Merkel in Aktion

Im schönen Lesungssaal der Villa Concordia fand der Autor ein aufmerksames Publikum

- Katharina Hübel

Literatur unter Stuckdecken

Rainer Merkel stellte in der Villa Concordia seinen neuen Roman vor

Die Rückkehr des Rainer Merkel: Nach seiner einjährigen Stipendiatenzeit in der Villa Concordia 2002/2003 kehrte der Autor am 9. Mai an seine alte Wirkungsstätte zurück, um seinen neuen Roman „Das Gefühl am Morgen“ vorzustellen. 

„Nach nur zwei Minuten“ hatten sie sich auf Autor Rainer Merkel verständigt, erläuterten Dr. Bernd Goldmann, Direktor des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia, und Prof. Dr. Friedhelm Marx, Leiter des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literaturwissenschaft der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, die schon einige Kooperationen auf die Beine gestellt haben. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Literatur in der Universität“ und der „Literaturlandschaften Bayerns“ beschlossen sie, den ehemaligen Villa Concordia-Stipendiaten für den 9. Mai wieder nach Bamberg zu holen, mit seinem jüngsten Roman "Das Gefühl am Morgen".

Merkels Bambergaufenthalt ist seinerzeit auch literarisch nicht ohne Folgen geblieben. Die Erzählung "Die Straße, von der man träumt" hatte er 2002 eigens für die Macher der studentischen Zeitschrift für Literaturkritik, dem Rezensöhnchen, geschrieben und liest sie in der Stadt selbst immer wieder gerne: 2002/2003 verbrachte der Berliner Autor ein ganzes Jahr in Bamberg, dem „lebenden Museum“, wie es in der Kurzgeschichte heißt. Er hatte nach seinem erfolgreichen Debütroman "Das Jahr der Wunder" ein Stipendium der Villa Concordia erhalten. Dass dem Erzähler besagter Kurzgeschichte die Kleinstadt als „Gefängnis“ vorkommt, von dem man „paranoid“ werden könne, hat den Autor allerdings nicht daran gehindert, für einen Tag zu einer Lesung seines jüngsten literarischen Erzeugnisses nach Klein-Venedig und Co. zurückzukehren. Der barocke Saal der Villa Concordia hätte auch ‚bambergerischer’ und atmosphärischer kaum sein können: Das Grün linst von der einen Seite in die Fensterfront und die Regnitz plätschert auf der anderen beschaulich vor sich hin. Eine passende Stimmung zum Literaturgenuss unter Stuckdecken.

Neurosen der Nachachtundsechziger

Gastherr Bernd Goldmann erklärte dem vollen Saal, in dem sich vor allem Studierende eingefunden hatten, dass er Merkel herzlich begrüße als einen, „der Spuren in Bamberg hinterlassen hat“. Auch Friedhelm Marx, der vor allem "Das Jahr der Wunder" sehr schätzt, machte „Werbung für ein ganz außerordentliches Buch“ und zeigte sich erfreut über Merkels Rückkehr. Merkel selbst setzte sich ganz unprätentiös an seinen Lesetisch und verkündete, er habe das Buch vor allem in L. A. geschrieben, kurz nachdem er damals aus Bamberg weggegangen war. Dennoch haben ihn die Grundthemen bereits in der Stipendiatenzeit beschäftigt: Die Professionalisierung von Sexualität und die Achtzigerjahre. Was er damals noch als Kurzgeschichte plante, hat sich zu einem Roman von 156 Seiten ausgewachsen, der 2005 bei S. Fischer erschienen ist, angereichert um einen Grundkonflikt: Das Erstarren des Helden Lukas in den Familienstrukturen, sein Leiden unter dem Vater, einem Achtundsechziger, der ihm Neurosen, Entscheidungsunfähigkeit und vor allem eine äußere Kälte anerzogen hat.

Geist des Vaters über dem Publikum

Merkel las zwei Stellen, die Lukas und seine Freundin auf dem Weg nach Holland zeigen, mit dem Scheck des Vaters für die Abtreibung im Handschuhfach. Der Text wurde vom Publikum ernst aufgenommen; fast schon erleichtert lachten die Studierenden an der ein oder anderen humorvollen Stelle. Ansonsten legte sich der Geist des Vaters, unter dem Lukas zu leiden hatte, förmlich über einige Zuhörer. Ein Kompliment für die Schreibart des Autors, der selbst Psychologe ist und für die genaue Beobachtung von Menschen immer wieder in Kritiken gelobt wird – so auch für "Das Gefühl am Morgen".

Offene Gesprächsatmosphäre

Doch wie war das Gefühl an jenem Abend? Die Gesprächsbereitschaft des Autors blühte nach der Lesung regelrecht auf. Dies ermunterte einige Zuhörer, bei einem Glas Wein im Foyer noch ihre Fragen zu stellen oder mit dem Autor zu plaudern. Eine Dame beispielsweise „hätte Herrn Merkel gerne als Hörbuch“, weil er so schön lese und so nah dran sei an den Figuren mit seiner Stimme. Auch wenn die Zeit vielleicht nicht für alle Anwesenden reichte, da Rainer Merkel regelrecht belagert schien, war die offene Atmosphäre für diejenigen der ergiebigere Teil der Veranstaltung, die möglichst viel über den Hintergrund und die Entstehung des Romans oder über Rainer Merkel als Person erfahren wollten. Auch Bernd Goldmann freute sich darüber, denn Ziel solcher Veranstaltungen sei, das Publikum in Kontakt mit den Künstlern kommen zu lassen. Am Ende schien es, dass Rainer Merkel von Bamberg, „der Mittelalterabteilung im Phantasialand“, wegen seiner Herzlichkeit und „Niedlichkeit“ doch recht angetan war. Zumindest fühlte er sich bei den engagierten Villa Concordia-Mitarbeitern sichtlich wohl, und er erinnerte sich gerne an seine Stipendiatenzeit. Unter Stuckdecken lässt es sich scheinbar ein Zeit aushalten.