Perspektivenwechsel im Kopftheater
Der im Frühjahr erschienene Roman „Am Seil“ von Thomas Lang wurde im Feuilleton als Vater-Sohn-Geschichte diskutiert. Es geht um einen Vater und seinen Sohn, Lang wollte aber, wie er am 5. Dezember bei seiner Lesung an der Universität Bamberg berichtete, in erster Linie über zwei Menschen schreiben, die am Ende sind. „Dass es Vater und Sohn geworden sind, ist Zufall.“
Der Text handelt von der schuldhaften Verstrickung beider, aus der sich weder Vater Bert noch Sohn Gert befreien können. Gert, gescheiterter TV-Moderator und schuldig am Unfalltod seiner 18-jährigen Geliebten, sucht nach Jahren der Funkstille seinen an Parkinson erkrankten Vater Bert im Altersheim auf. Der Moment dieser Begegnung dauert nur wenige Sekunden, doch Thomas Lang lässt seinen Protagonisten Raum und Zeit. Bert sieht in seinem Sohn einen „Schlamassel von über 40 Jahren Dauer“, der immer noch so daherkommt, „als hätte er die Hosen voll“. Gert registriert die noch immer brüchige, heisere und hohe Stimme des Vaters mit dem appellierenden Unterton des ehemaligen Turnlehrers. Beide wissen: „Leben – das verdient eine andere Bezeichnung“.
Anziehung und Abstoßung
Vater und Sohn können ihre Gedanken nur sehr schlecht kommunizieren und streben auseinander, spüren aber trotzdem ihre enge Verbindung. Ihre Begegnung läutet ihren letzten gemeinsamen Akt ein: Sie flüchten in eine Scheune, wo sich beide im Dachgebälk (buchstäblich)am Ende gemeinsam ein Seil um den Hals binden.
Thomas Lang verrät nicht zu viel an diesem Abend. Er trägt diese erste Begegnung seiner Protagonisten dicht und emotional vor und erzeugt unterbewusst dieses Flirren, auf das er später hinweist: Die personalen Erzählperspektiven liegen nah beieinander und scheinen, weil sie sich so ähnlich sind, ineinander überzugreifen. Wer ist wer?
Es geht um die Balance der beiden, um Anziehung und Abstoßung. Passend dazu hat Lang eine Perspektive gewählt, die bewusst zwischen innerem Monolog und einem auktorialen Erzähler liegt. Die Erklärung dafür liegt tiefer: Beide Figuren müssen ihre Unterschiedlichkeit empfinden, weil sie sich zu ähnlich sind. Und das geht dem Autor zufolge nur mit zwei Perspektiven. Das Publikum hakt nach: „Gibt es nicht doch eine geheime Identität zwischen den Figuren?“ Thomas Lang, pragmatisch und unprätentiös: „Es ist doch ein Gewinn, wenn ein Text diese Offenheit bietet. Dann erst zeigt sich die eigene Lesart.“
In Kafkas Fußstapfen?
Wie sieht der Autor die Tendenz der Literaturkritiker, ihn in die Tradition des Vater-Sohn-Konflikts bei Kafka zu stellen? Eine Frage, die Prof. Dr. Friedhelm Marx, Lehrstuhlinhaber für Neuere deutsche Literaturwissenschaft, in den Raum stellte. Thomas Lang distanzierte sich: „Die Literaturwissenschaft geht immer mit der Folie anderer an Literatur heran, ich bin in der privilegierten Situation, das nicht zu müssen.“ Und manchmal haben literarische Rätsel auch eine ganz einfache Lösung: Warum er seine Figur Gert in Klagenfurt beim Ingeborg-Bachmann-Preis Felix genannt habe? „Ich hatte einfach Angst, mich zu verlesen“, antwortete Lang lapidar. Der Preis ist ihm jedenfalls sicher...