Idyllische und geheimnisvolle Orte: Kann hier der Mensch gut leben? (Bild: Photocase)

Besuch in der Ökosiedlung "Cherbonhof" in Gaustadt. (Bild: Pressestelle)

- Martin Rehfeldt

Dorf oder Internet?

Wissenschaftler verschiedener Fächer gingen der Frage nach, wo der Mensch gut leben könne.

„Orte des guten Lebens“ – mit diesem Thema hatten sich die Veranstalter des interdisziplinären Symposions, das vom 5.-9. Oktober an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg stattfand, einen nicht eben kleinen Forschungsgegenstand gewählt, zumal der Begriff „Ort“ nicht nur räumlich, sondern auch sozial und semantisch verstanden werden sollte. Um diesem Unternehmen gerecht zu werden, hatten der Bamberger Literaturwissenschaftler und -vermittler Prof. Dr. Hans-Peter Ecker und seine Kollegen des „Gamburger Forums für Kulturforschung“, der Hamburger Romanist und Medienforscher Prof. Dr. Wolfgang Settekorn und der Literaturwissenschaftler Dr. Jürgen Landwehr aus Mannheim, Vertreter diverser Fächer eingeladen: Neben anderen Philologien waren auch die Psychologie, Philosophie, Soziologie, Kommunikationswissenschaft, Raumplanung und Kulturgeographie vertreten. Der Kreis derer, die sich im Rahmen ihrer Disziplinen wissenschaftlich mit dem Thema befassten, wurde erweitert durch zwei Teilnehmer, die in der Praxis mit der Ermöglichung guten Lebens in Relation zum Raum befasst sind: den am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik beschäftigten Ralf Neuhaus und den Architekten und Siedlungsplaner Theodor Henzler, der die Ökosiedlung „Cherbonhof“ in Bamberg/ Gaustadt konzipiert hat.

Philosophische Konzepte

Theorie und Praxis, Deskriptivität und Normativität bildeten dann auch die Pole, zwischen denen sich die Vorträge und insbesondere die anschließenden Diskussionen bewegten, die auch in den Kaffeepausen bei Kuchen, Laugenstangen und frischen Weintrauben fortgesetzt wurden. Hatte man sich bei früheren Tagungen des Gamburger Forums noch eher darauf beschränkt, die Sicht des Menschen auf Natur und ihre Funktionalisierung zu beschreiben, wurde dieses Mal schon beim ersten Vortrag, in dem der in Berlin und Magdeburg lehrende Philosophieprofessor Dr. Georg Lohmann „Philosophische Konzeptionen des guten Lebens“ vorstellte, deutlich, dass es beim Thema „Orte des guten Lebens“ nicht bei der Deskription würde bleiben können. Die Frage, wie denn nun konkret ein gutes Leben aussehe und an welchen Orten es möglich sei, konnte bislang auch die psychologische Glücksforschung, deren Ergebnisse Prof. Dr. Philipp Mayring aus Klagenfurt vorstellte, nicht beantworten. Mayring selbst wies darauf hin, dass es zwar möglich sei, Korrelate des Glückserlebens zu benennen und ihre wechselseitige Beeinflussung anzugeben; der Weg von der formalen Beschreibung hin zur normativen Konkretisierung sei allerdings noch weit – nicht zuletzt, weil die Erforschung gelingenden Lebens erst seit 20-30 Jahren unter der Bezeichnung „Positive Psychologie“ als eigenständige Forschungsrichtung der Psychologie betrieben wird.

Besuch in der Ökosiedlung „Cherbonhof“

So wurde dann auch kontrovers diskutiert, wie und wo gutes Leben möglich sei. Während der Dortmunder Professor für Raumplanung Dr. Ing. Karl Jürgen Krause eine harmonisierende Stadtarchitektur propagierte, in der das Neue sich nicht allzu augenfällig vom Alten absetzt, und dabei auf Münster verwies, kritisierte der Erlanger Kulturgeograph Prof. Dr. Werner Bätzing gerade die Nivellierung von historisch entstandenen Widerständigkeiten, etwa beim Bau von Skistationen oder Autobahnraststätten im Stil von Bauerndörfern, wobei diese idealtypischen Dörfer mit realen, gewachsenen Dörfern fast nichts gemein hätten. Bei einer Führung durch die Ökosiedlung „Cherbonhof“, wurde den Teilnehmern das Problem des Zusammenhangs von Theorie und Praxis in umgekehrter Richtung vor Augen geführt. Nicht die Umsetzung einer Theorie in die Praxis gestaltete sich hier schwierig, sondern die Theoretisierung einer Praxis: Die Siedlung selbst empfanden alle Teilnehmer als unmittelbar sinnfälligen Ort guten Lebens; das Konzept, die Türen einerseits ebenerdig auf einen Platz in der Mitte der Siedlung auszurichten, um den sozialen Kontakt der Bewohner zu erleichtern, andererseits aber die Fenster auf der Gartenseite der Häuser so auszurichten, dass niemand in den Garten des Nachbarn blicken kann, damit auch der zeitweilige Rückzug ins Private möglich ist, dieses Prinzip leuchtete den Anwesenden ebenso spontan ein, wie die Idee, dass ein Garten nur dann ausgiebig genutzt wird, wenn geschlossene oder halb offene Nebengebäude es ermöglichen, sich trotz Wind oder Regen in ihm aufzuhalten. Henzlers bei Kaffee und Kuchen im Gemeindezentrum der Ökosiedlung vorgestellte theoretische Begründung für seinen Entwurf sorgte aber, trotz der einmütigen Begeisterung für das Resultat, für einigen Widerspruch.

Gutes Leben im Internet?

Auch beim Publikum, das am Samstag zahlreicher als an den vorangegangenen Tagen erschienen war, dürfte vor allem der Vortrag des Bamberger Soziologen und Kommunikationswissenschaftlers Dr. Jan Schmidt einige für selbstverständlich gehaltene Vorstellungen erschüttert haben: Bei seinem Beitrag zum Thema „Virtuelle Räume – die Suche nach dem guten Leben im Internet“ kam er nicht zu dem erwarteten Schluss, das Internet vermittle lediglich die Illusion guten Lebens und vereinzele in Wirklichkeit die Menschen; seien vielmehr laut Schmidt „reale“ und „virtuelle“ Welt nicht eindeutig zu trennen. Aktivitäten, die online erfolgen, haben in vielfacher Hinsicht auch positive Auswirkungen auf das offline stattfindende Leben: Es entstehen Kontakte, die zu realen Treffen führen, und selbst wenn dies nicht der Fall ist, so können Menschen doch aus Sozialräumen im Internet Sozialkapital schöpfen, das ihnen im realen Leben etwa größere Sicherheit gibt.