"Der Neue": Der Sprachwissenschaftler Thomas Becker hielt am 21. November seine Antrittsvorlesung (Bild: Konstantin Klein)

- Konstantin Klein

Mit scharfem Blick auf Logik und linguistische Argumentation

Antrittsvorlesung von Thomas Becker

Womit kann ein Germanist, noch dazu ein Sprachwissenschaftler, auf einer Cocktailparty brillieren? Unter anderem diese Frage warf Prof. Dr. Thomas Becker, Lehrstuhlinhaber für Deutsche Sprachwissenschaft an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, in seiner Antrittsvorlesung am 21. November auf. Noch keinem Sprachwissenschaftler sei es gelungen, berichtete Becker, der in München und Edinburgh Linguistik, Germanistik, Logik und Wissenschaftstheorie studiert hatte, kanonisch zu werden. Und auch interessante Etymologien begeistern beim Smalltalk auf Parties nur selten.

Bildung, Einbildung, Ausbildung

Nicht ganz unabhängig davon stellte der Sprachwissenschaftler die provokative Frage, was denn die germanistische Sprachwissenschaft überhaupt zur Bildung beitragen könne – so auch der Titel von Beckers Antrittsvorlesung. Um den Terminus ‚Bildung’ hierfür in ungewöhnlicher und humorvoller Weise begrifflich einzugrenzen, wählte er die Methode der Abgrenzung und zwar gegen Begriffe wie ‚Einbildung’ oder ‚Ausbildung’. In der Abgrenzung von Bildung und Einbildung leiste, so der Bamberger Germanist, die Sprachwissenschaft einen wichtigen Teil, denn sie wirke selbst auf die Legitimation ihrer Inhalte ein. „Und legitimierte Bildungsinhalte sind keine Einbildung“, stellte Thomas Becker heraus. Für ihn stellen auch Bildung und Ausbildung keinen Gegensatz dar: „Die Universität hat einen Bildungsauftrag, aber sie darf diese Bildung nicht einfach neben dem Fachstudium vermitteln, und schon gar nicht statt eines Fachstudiums, sie muss Bildung im Fachstudium vermitteln.“

Ein Abwasch für hundert Euro

Für Thomas Becker müsse die Hochschule darüber hinaus auch die Fähigkeit aufbringen, dieses Wissen zu fundieren, zu reflektieren und es reflektiert zu handhaben. Und hier kommen für ihn, der zu seinen Forschungsschwerpunkten neben Phonologie und historischer Sprachwissenschaft auch Pragmatik und Argumentationstheorie zählt, eben letztere beiden Momente hinzu: „Logik ist eine sprachliche Angelegenheit, und Argumentation ist viel mehr als Logik, nämlich linguistische Pragmatik.“

Denn Logik beschreibe lediglich, so Thomas Becker, die Gesetze unseres Denkens, während die Sprachwissenschaft auf Maximen der Konversation aufmerksam mache, bei der jeder sein Wissen zu einer unkomplizierten Kommunikation notwendig einbringe. Dies lasse sich anhand eines einfachen Beispiels aufzeigen, demonstrierte Becker: Wenn eine Ehefrau zu ihrem Mann am Abend sagt: „Wenn du den Abwasch machst, gebe ich dir 100 Euro“, und der Ehemann impliziere, „wenn du das nicht machst, gebe ich dir nicht das Geld“, so ziehe er aus der ersten Aussage den Schluss als conditional perfection eines Modus ponens: „Nur dann, wenn du den Abwasch machst, bekommst du 100 Euro.“ Dieser Schluss erweise sich allerdings nur als logisch, wenn eine weitere Prämisse vorausgeht, nämlich die, dass der wenn-Satz "relevant" sei, was aus einem allgemeinen Relevanzprinzip folgt. Um solche Spitzfindigkeiten differenzieren zu können, müsse die Logik durch die Pragmatik ergänzt werden, so Thomas Becker.

Sprachgeschichte, Grammatik und geschulte Argumentation

Und was kann nun die germanistische Sprachwissenschaft noch weiter zur Bildung beitragen? Thomas Becker wusste viele Facetten aufzuzählen: Sprachgeschichte, „damit wenigstens Germanisten auch ältere Texte in deutscher Sprache lesen können. Ein wesentlicher Teil der Bildung ist die Fähigkeit, das überlieferte Wissen nutzen zu können, um die Relativität und Zeitbedingtheit des gegenwärtigen Denkens zu erkennen“, so der Germanist. Natürlich dürfe, erklärte Becker, ein Germanist auch nicht um eine Antwort auf die Frage verlegen sein, warum man heute das Verb brauchen ohne zu gebraucht, und früher mit. 

Denn Germanisten sollten einen scharfen Blick für grammatische Strukturen haben, und wissen, was die Sätze tatsächlich bedeuten, die sie sagen oder schreiben: „Schon zu Homers Zeiten war die Fähigkeit, gut zu reden, mindestens ebenso wichtig wie die Fähigkeit, einen Trojaner gut zu erschlagen.“ Die geschulte Argumentation sei so das wichtigste Gut, zu deren Vermittlung auch die germanistische Sprachwissenschaft ihren Beitrag leisten könne, schloss Thomas Becker seine Ausführungen. Dabei entwarf er noch ein ideales, aber deswegen nicht unrealistisches Bild, von durch und mit dieser ‚Ausbildung’ mündig gewordenen Germanistik-Studierenden: „Sie werden den Mut haben, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen, und sie werden auch öffentlich von ihrer Vernunft Gebrauch machen; sie werden rational handeln.“