Endlich: die eigene Homepage!

So sieht also ein PC von innen aus.

Auch Fahrradflicken ist jetzt kein Problem mehr...

Bildschirmleuchten rund um die Uhr: die lange Nacht der Computer

- Anke Stiepani

...denn sie wissen, was sie tun!

Erstmals MUT – Mädchen und Technik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Anika, 10 Jahre alt, sitzt hoch konzentriert vor dem Computerbildschirm und bastelt sich ihre eigene Homepage. Endlich! Denn zuhause darf sie an Papas Rechner nicht ran. „Der hat Angst, dass ich was kaputt mache. Der denkt, dass ich von Technik sowieso keine Ahnung habe.“ Sie grinst, den Blick wie gebannt auf ihre quietschbunte Startseite gerichtet. Seit heute morgen kann sie sogar mit einem GPS-Gerät umgehen und morgen wird sie souverän einen Rechner auseinander nehmen und wieder zusammenbauen. Und übermorgen wird sie sich einen Roboter bauen und programmieren. Ob der Papa da noch mithalten kann?

Das Projekt „MUT – Mädchen und Technik“ ist ursprünglich eine Initiative der Fachhochschule Coburg, um Mädchen Einblicke in technische und naturwissenschaftliche Berufe zu ermöglichen und diese als tatsächlich wählbare Alternative zu erleben. „Seit Juli 2002 gibt es das MUT-Projekt konzeptionell, seit 2003 gibt es konkrete Aktionen dazu“, berichtet  Dipl.-Ing. Ina Sinterhauf, MUT-Erfinderin und verantwortliche Projektmitarbeiterin. In der ersten Veranstaltung an der FH Coburg seien sofort alle Plätze belegt gewesen und viele Mädchen seien von weit her angereist, auch aus Bamberg, erinnert sich Sinterhauf. Seitdem würden von Jahr zu Jahr die Angebote erweitert, um den Andrang der technik-interessierten Mädchen zu bewältigen.

Sinterhauf wünscht sich eine langfristige Etablierung des MUT-Projektes und möchte den Aktionsradius von Oberfranken nach Thüringen ausweiten: „Technikförderung für Mädchen wird momentan gut finanziert, da die Wirtschaft weiblichen Nachwuchs fordert und fördert!“ Der Grund: Vor allem in technischen und techniknahen Branchen werde trotz hoher Arbeitslosigkeit qualifizierter Nachwuchs gebraucht. Hier lägen für Mädchen und junge Frauen gute Chancen. 

WIAI wirbt um weiblichen Nachwuchs

Denn obwohl die naturwissenschaftlichen Fähigkeiten von Jungen und Mädchen etwa gleich ausgeprägt sind, entscheiden Mädchen sich oft für „frauentypische“, nicht-technische Berufe, die schlecht(er) bezahlt sind und wenig Aufstiegsmöglichkeiten beinhalten.
Prof. Dr. Ute Schmid, Mitveranstalterin von MUT und Frauenbeauftragte der Fakultät Wirtschaftsinformatik und Angewandte Informatik (WIAI) an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, erklärt, dass durch spezifische Aktionen mehr Schülerinnen und junge Frauen für die Wirtschaftsinformatik und Angewandte Informatik an der Uni Bamberg interessiert werden sollen. Hierzu gehöre auch das Herbstferienprogramm für Mädchen im Rahmen von MUT.
Die Fakultät WIAI habe als einzig technisch orientierte Fakultät an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg mit knapp 15 Prozent nur einen sehr geringen Anteil weiblicher Studierender. Der Frauenanteil an der Gesamtuniversität Bamberg läge bei über 6o Prozent (Stand 03/04). Schmid bekräftigt, dass gerade Frauen in technischen Studiengängen oft sehr gut seien. Um die Mädchen hierbei verstärkt zu fördern, müsse aber auch in Schule und Elternhaus weiterhin an dem „Koedukationsproblem“ gearbeitet werden.

Koedukation – eine K. O.-Edukation für die Mädchen?

Seit den 1950er Jahren besteht die Koedukation, bei der Mädchen und Jungen gemeinsam unterrichtet werden, als allgemeiner Schultyp. Doch erst mit der „Neuen Frauenbewegung“ Anfang der 80er Jahre wurden erstmals Forschungsergebnisse zur Chancengleichheit von Mädchen und Jungen in der Koedukation thematisiert. Es zeigte sich, dass Mädchen im Allgemeinen bessere Schulleistungen aufweisen als gleichaltrige Jungen, mit Ausnahme der Naturwissenschaften. Bei der Leistungskurs-, Studienfächer- und der Berufswahl waren und sind große Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen festzustellen. Interessant ist, dass Mädchen an Mädchengymnasien häufiger naturwissenschaftliche Leistungskurse wählen als an koedukativen Gymnasien. Allgemein entscheiden Mädchen sich überwiegend für die Bereiche Helfen, Pflegen, Assistieren und Erziehen – Jungen für technische und gewerbliche Studienfächer oder Berufe.

Mitte der 1980er Jahre wurde die Koedukation heftig diskutiert. Die ursprüngliche Idee der Chancengleichheit für beide Geschlechter hat sich nicht umsetzen lassen, es hat sich sogar gezeigt, dass Mädchen durch die koedukative Erziehung offenbar noch mehr in ihre traditionelle Rolle gedrängt werden. Diese Sozialisation in Verbindung mit an den Bedürfnissen der Jungen orientiertem Unterricht wirkt quasi als „self-fulfilling prophecy“, das heißt, Mädchen erfüllen die Erwartungen der Gesellschaft, statt sich auf ihre wirklichen Begabungen zu besinnen, welche sie aufgrund ihrer Rollenzuweisung oft nicht einmal erkennen können.

Drei Tage Technikerleben pur

Viel Gelegenheit, ihre Interessen und Begabungen zu erforschen, hatten die knapp 100 Mädchen bei den zahlreichen, über drei Tage und eine Nacht verteilten Workshops des Herbstferienprogramms „Auf die Plätze – Technik – Los!“ in den Räumen der Fakultät WIAI. Am PC forschen und arbeiten konnten die Mädchen z. B. beim Erstellen ihrer eigenen Homepage, beim Steuern und Beobachten eines künstlichen Wesens auf einer einsamen Insel, beim Erstellen von 3D-Welten, bei der Einrichtung und Nutzung eines virtuellen Klassenzimmers und in der langen Computernacht (= Surfen, so lange bis die Augen zufallen). Wie sie sich gegen Würmer, Viren, ungewollte Spams, Abos und sogenannte „Schokoladenonkels“ zur Wehr setzen können, erfuhren sie natürlich auch. Ebenfalls mit dem Computer beschäftigte sich ein weiterer Workshop, nämlich mit dem Auseinanderbauen eines Rechners in dessen Einzelteile und mit dem anschließenden Wiederzusammensetzen, wobei natürlich anschließend alle Rechner wieder einwandfrei arbeiteten.

Richtig abenteuerlich ging es bei der elektronischen Schnitzeljagd zu, bei welcher zwei mit GPS-Gerät (Navigationssystem) und Handy ausgerüstete Teams gegeneinander antraten, um per Fahrrad quer durch Bamberg versteckte Spielkarten schnellstmöglich zu finden. Apropos Fahrrad: Wie man einen platten Reifen flickt, sein Rad wartet oder Bremsen nachzieht, konnte am eigenen Fahrrad getestet werden. Workshopleiter Gerhard Frank vom ADFC Bamberg, war begeistert: „So engagiert hat bei mir noch nie jemand mitgemacht!“

 „Crazy Robots“

Nach verschiedenen Bauanleitungen und eigenen Ideen bauten und programmierten die Mädchen in Kleingruppen einen fahrenden Roboter, welcher, nach eingehender Programmier- und Experimentierphase, zu erstaunlichen Dingen fähig war. „Was brauch’ ich denn jetzt für ein Teil, damit der Roboter Hindernisse erkennt?“ Die Mädchen halfen sich gegenseitig mit Erfahrungen und Einzelteilen weiter, um die Technik der Roboter zu verbessern und ihnen noch mehr beizubringen. Die so „gepimpten“ Roboter (ein Ausdruck, der schnell die Runde machte) können nun zum Beispiel tanzen, singen, sich schütteln, Farben erkennen, an Linien entlang fahren und vieles mehr.

Die Mädchen, die mit Feuereifer bei der Sache waren, gaben sich mit „mittelmäßigen Ergebnissen“ nicht zufrieden. Und das, obwohl den meisten noch die lange Computernacht in den Knochen steckte: „Wir haben heute Nacht kaum geschlafen, das war einfach zu cool, endlich mal ohne Unterbrechung im Internet surfen zu können“, meinte Anika. Wie man so hört, krochen die letzten erst nach freundlicher Aufforderung der Tutorinnen gegen ca. 5 Uhr morgens in den Schlafsack. Ein ansteckendes Gähnen macht die Runde. Doch der Forscherinnendrang ist erstaunlicherweise auch nach drei Stunden „try and error“ nahezu ungebremst. Wenn Roboter gegen die Wand fahren und wichtige Teile ständig abfallen oder die lang ausgetüftelte Programmierphase nicht den gewünschten Erfolg bringt, nehmen es die meisten Mädchen mit Humor und versuchen es aufs Neue.
Marion Brenda, 11 Jahre alt, von der Bamberger Maria-Ward-Realschule war begeistert: „Robotertechnik ist toll! Besonders schön ist, dass man so viel ausprobieren kann und dass man sofort Unterstützung bekommt, wenn es nicht klappt. Ich werde mir so einen Roboter zu Weihnachten wünschen!“

„Macht schnell euer Abi und kommt wieder!"

Dies ist wohl auch ganz im Sinne von WIAI-Dekan Prof. Dr. Elmar J. Sinz, der bei der Abschlussveranstaltung von „Auf die Plätze – Technik – Los!“ eine ganz besondere Bitte an die Mädchen richtet: „Macht möglichst schnell das Abitur und kommt wieder an die Fakultät WIAI der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.“ Er erklärte den angehenden Nachwuchswissenschaftlerinnen, was es mit der Medieninformatik, der Kulturinformatik und der Semantischen Informatik auf sich hat und informiert darüber, was wichtig sei um WIAI studieren zu können, nämlich Deutsch, Englisch, Mathematik und „soft skills“ – in dieser Reihenfolge. Es freue ihn sehr, dass das MUT-Projekt in Bamberg ein so großer Erfolg war und bedankte sich ganz herzlich bei allen, die zum Gelingen dieser Veranstaltung beigetragen haben.

Mit seinem Wunsch nach mehr weiblichem Nachwuchs in den technischen Studiengängen war Sinz nicht alleine.
Schmid „beschwur“ die Mädchen, den zukünftigen Beruf danach zu wählen, was ihnen Spaß mache und wo ihre Interessen und Begabungen vorhanden seien. „Ein Beweis für die Wichtigkeit und Richtigkeit der MUT-Veranstaltung sind ja auch schon die Rückmeldungen von den Workshopleiterinnen und -leitern, die alle geschwärmt hätten, wie viel Spaß ihnen die Arbeit mit den Mädchen gemacht habe. Die Mädchen haben durch ihr Wissen und ihr Engagement großen Eindruck hinterlassen.“

Und, ja, es wird im Jahre 2006 wieder ein Programm zum MUT-Projekt an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg geben, verspricht sie.
Da wird Anika auf jeden Fall wieder dabei sein!