Daniel Lambert (1770-1809) - früher war Übergewicht ein selteneres Phänomen (Foto: wikipedia).

Detlef Sembill referierte über Lern- und Persönlichkeitsentwicklungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Spiegel von Gesundheit und Gesellschaft (Fotos: Erik Riemenschneider).

Etwa 130 Mediziner, Lehrer, Eltern und Studierende besuchten die Tagung.

- Erik Riemenschneider

Höher, schneller und weiter

Symposium beschäftigte sich mit Suchtmustern bei Jugendlichen

Etwa 130 Mediziner, Lehrer, Eltern und Studierende besuchten das ganztägige Symposium „Gesichter der Sucht“ an der Universität Bamberg. Es wurde von PD Dr. Edgar Friederichs, erster Vorsitzender des Forums für Jugendmedizin e.V. und Prof. Dr. Detlef Sembill, Inhaber des Bamberger Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik, veranstaltet und beleuchtete das Thema Sucht aus verschiedenen Perspektiven. „Gerade Suchtmuster bei jungen Menschen stellen die Mediziner vor Probleme, die sich nur noch in enger Kooperation mit Pädagogen, Erziehungswissenschaftlern und Lehrern lösen lassen“, erläuterte Sembill. Ziel der Tagung war es daher, durch einen interdisziplinären Austausch rund um die „Gesichter der Sucht“ die Zusammenarbeit von Medizin, Bildungssystemen, Sozialer Arbeit, Familien etc. zu intensivieren, um jungen Menschen Alternativen aufzuzeigen, sie frühzeitig aufzufangen und kompetent Hilfe leisten zu können.

Alkoholmissbrauch ist allgegenwärtig

Die Gesichter der Sucht sind vielschichtig, umfassen neben Alkohol- und Drogenkonsum auch Fettsucht oder Computer- und Onlinespielsucht. Dr. Jörg Wolstein, Professor für Pathopsychologie an der Universität Bamberg, referierte zu Intensität und Verbreitung von Alkoholkonsum bei Jugendlichen. Er erntete ungläubiges Kopfschütteln, als er das Plakat „Strip dich dicht“ einer Bamberger Diskothek zeigte.

Dass laut Definition bereits beim Konsum von mehr als fünf (bei Mädchen vier) alkoholischen Getränken an einem Abend „Binge-Drinking“, also Rauschtrinken, vorliege, sorgte dann für ein ungläubiges Raunen unter den Studierenden. „Eindeutige Analysen fallen schwer“, so Wolstein. Es gebe zwar immer mehr Fälle von Jugendlichen, die wegen Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden, jedoch bedeute das noch nicht, dass diese mehr Alkohol zu sich nehmen als in den vergangenen Jahren. Früher habe man sie einfach zuhause ausnüchtern lassen, oder Diagnosen wie „Schwindel“ oder „Übelkeit“ gestellt.

Essen, das Hunger macht

Mit trockenem Humor („Jetzt soll ich ihnen etwas Scheußliches erzählen, sagte man mir.“) und der Ankündigung, für seine Seminarteilnehmer kochen zu wollen, hatte Prof. Dr. Michael Hermanussen aus Kiel das Publikum schnell auf seiner Seite. „Hunger ist der Normalzustand des Menschen“, lehrte er in seinem Vortrag über Fettsucht. Es sei jedoch nicht die enorme Verfügbarkeit von Essen, die zur Fettsucht führe, sondern vielmehr die molekularen Eigenschaften moderner Kost, wie etwa Glutamat, die zu ungezügelter Esslust führen.

Im Fokus der Tagung stand ebenfalls die weitverbreitete missbräuchliche Einnahme von Ritalin zu Zwecken der Leistungssteigerung. Laut Detlef Sembill wird das Gehirndoping aus Leistungsdruck immer beliebter. So haben etwa 25 Prozent der Empfänger von Ritalin keine entsprechende medizinische Diagnose. „Morgens aufputschen, abends beruhigen“ sei in den USA bereits Gang und Gebe und werde auch hierzulande häufiger. „Schneller, höher und weiter ist schon im frühen Kindesalter das Motto“, bemängelte auch Dr. Meike Riedel aus Dortmund. Es fehle die Entschleunigung des Lebens. Schule werde nicht als Herausforderung, sondern als Druck oder gar Zumutung empfunden. Schuld daran seien unter anderem falsche Lehrmethoden.

Ersatzwelt Computer

Klaus Wölfing widmete sich dem Phänomen der Computerspiel- und Onlinesucht: Der „Homo digitalis“ verbringe praktisch jede freie Minute vor dem Bildschirm, er hungere sogar, um sich nicht vom Bildschirm lösen zu müssen, bis er im Extremfall ins Koma fällt, wie jüngst in Belgien. Fälle wie dieser unterstreichen, was Präsident Prof. Dr. Dr. habil. Godehard Ruppert bereits zu Beginn der Veranstaltung deutlich machte: „Sucht“ komme etymologisch nicht etwa von „Suche“, sondern von „siechen“. Um dieses „siechen“ gerade unter Jugendlichen so gering wie möglich zu halten, so der Tenor des Symposiums, müssen alle Beteiligten enger zusammenarbeiten.

So sollten etwa Suchtpiloten und Jugendsprechstunden in den Schulen eingerichtet werden. Es wurde aber auch die Idee aufgeworfen Jugendliche früher mündig zu machen und sie im öffentlichen Leben als gleichwertige Mitglieder zu behandeln. So würde ihnen das Gefühl genommen werden ihr Leben nicht selbst kontrollieren zu können und den Anforderungen Anderer entsprechen zu müssen.