Die "friedliche Nutzung" und die interdisziplinäre Erforschung der "monotheistischen Energie" ist eine der wichtigsten Aufgaben für ein tolerantes Zusammenleben der Kulturen - das Graduiertenkolleg "Anthropologische Grundlagen und Entwicklungen im Christentum und Islam" leistete dazu einen wichtigen Beitrag (Bild: Photocase)
Der Inhaber des Unesco-Lehrstuhls für Menschenrechtserziehung in Magdeburg, Klaus-Peter Fritzsche, fordert eine "notstandsfeste Toleranz", links neben ihm der Evangelische Theologe Heinrich Bedford-Strohm von der Universität Bamberg (Bilder: GK Anthropologie)
Im engagierten Gespräch: Rotraud Wielandt und Nasr Abu Zayd
Auf dem Podium (von links): Rotraud Wielandt, Arnold Angenendt, Marianne Heimbach-Steins, Ahmet Mumcu, Mirko Gründer und Roman Seidel
Die friedliche Nutzung der monotheistischen Energie
Nicht ohne Stolz blickte Prof. Dr. Rotraud Wielandt, Professorin für Islamkunde und Arabistik an der Otto-Friedrich-Universität und Sprecherin des Graduiertenkollegs „Anthropologische Grundlagen und Entwicklungen im Christentum und Islam“, zu Beginn der Abschlusstagung auf neun Jahre erfolgreicher Arbeit zurück: Über 30 Kollegiatinnen und Kollegiaten, darunter auch einige Muslime, wurden in ihrer wissenschaftlichen Arbeit betreut und ideell wie finanziell gefördert. Expertinnen und Experten verschiedenster Fachrichtungen sorgten für ein anspruchsvolles Programm, das sowohl für die wissenschaftliche „Community“ als auch für die interessierte Bamberger Öffentlichkeit eine Bereicherung darstellte. Dank der großzügigen Finanzierung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und den Freistaat Bayern flossen so über eine Millionen Euro an Drittmitteln an die Bamberger Universität – das Ergebnis von „überzeugenden Ideen, durchdachter Konzeption und Knochenarbeit“, so Rotraud Wielandt. Ihr besonderer Dank galt dabei dem Mitinitiator Prof. Dr. Franz Irsigler sowie der zweiten Sprecherin Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins. Auch der Einsatz von Koordinator Dr. Thomas Hildebrandt wurde ausführlich gewürdigt.
Der feierliche Abschluss des Graduiertenkollegs führte renommierte Expertinnen und Experten aus den Bereichen der islamischen, jüdischen und christlichen Theologie, der Islam- und Politikwissenschaft sowie der Rechtswissenschaft zusammen. In drei inhaltlichen Schritten brachten sie Konzeptionen von Humanität miteinander ins Gespräch. Auch die Kollegiatinnen und Kollegiaten leisteten ihren Beitrag mittels eines gemeinsamen Podiums, in dem sie unter der Überschrift „Humanität angesichts des Fremden“ das Thema aus ihrer jeweiligen Fachperspektive beleuchteten.
Humanisierende Konzepte der monotheistischen Religionen
Die erste Frage war die nach den Quellen der Konzeptionen von Humanität in den heiligen Schriften der drei monotheistischen Weltreligionen.
Nicht Gabe, sondern Aufgabe sei Humanität etwa im Judentum: Der jüdische Theologe Prof. Dr. Daniel Krochmalnik erläuterte das Konzept der rabbinischen Anthropologie von der „Imago dei“, der Gottebenbildlichkeit, als Aufforderung zur „Imitatio dei“, zur Nachahmung Gottes in seinen vorzüglichen Eigenschaften Barmherzigkeit und Gnade.
Für eine literaturkritische „Humanistische Hermeneutik“ des Koran, die den Text als göttlich-menschlichen Diskurs wiederentdeckt, plädierte der islamische Theologe und Literaturwissenschaftler Prof. Nasr Abu Zayd.
In einem zweiten Schritt wurden die Konzepte der Toleranz und Gelassenheit aus muslimischer und politikwissenschaftlicher beziehungsweise christlicher Perspektive beleuchtet und nach ihrer Relevanz für das menschliche Zusammenleben und den interreligiösen Dialog befragt. Der Politikwissenschaftler und Inhaber des Unesco-Lehrstuhls für Menschenrechtserziehung in Magdeburg Prof. Dr. Klaus-Peter Fritzsche forderte eine „notstandsfeste Toleranz“, während der islamische Theologe Prof. Ömer Özsoy das Konzept der Toleranz als nur vorübergehende Duldung ablehnte und als Ziel die Anerkennung vorgab. Eine große Übereinstimmung herrschte hingegen bei den Konzepten der „Gelassenheit“ beziehungsweise des „Gottvertrauens“ in der christlichen und islamischen Mystik.
Ein Höhepunkt der Tagung war die öffentliche Podiumsdiskussion mit dem Kirchenhistoriker Prof. Dr. em. Arnold Angenendt, der voll rhetorischer Verve die zivilisierende und humanisierende Kraft der monotheistischen Religionen und vor allem des Christentums ideengeschichtlich belegte – nicht ohne damit Widerspruch zu provozieren.
In einem dritten Schritt schließlich ging es um die produktive wie destruktive Kraft von Religion im modernen Rechtsstaat, konkretisiert anhand der Ausgestaltung dieses Verhältnisses in der Türkei einerseits (dargestellt von Prof. Dr. Ahmet Mumcu, Ankara) und auf Ebene der Europäischen Union (vertreten durch EU-Kommissionsberater Dr. Michael Weninger) andererseits.
Ein offener Prozess
Trotz intensiver und fruchtbarer Diskussionen wurde am Ende des Symposiums deutlich: „Die Bestimmung von Humanität bleibt ein offener Prozess.“ Fest steht allerdings, dass es an der Universität Bamberg auch weiterhin möglich sein wird, den wissenschaftlichen Dialog der Religionen zu führen – im Rahmen des Zentrums für Interreligiöse Studien, das seine Gründung unter anderem der Arbeit des Graduiertenkollegs verdankt.