Ein "gemalter Triumph" über die Konkurrenten: Raffaels berühmtes Gemälde "Transfiguration" (Bild: Wikimedia)
Der neue Inhaber des Lehrstuhls II für Neuere und Neueste Kunstgeschichte: Wolfgang Brassat (Bild: Anne Maria Kokert)
Kampf der Schulen
Zwei Künstlergiganten im Clinch. Über den Künstlerwettstreit, den Paragone zwischen Raffael und Michelangelo referierte Wolfgang Brassat in seiner Antrittsvorlesung „Raffael und Michelangelo – Aspekte einer Künstlerrivalität“ am 2. November.
Machtgier, Intrige, Gift und Dolch – aber auch Michelangelo, Leonardo, Raffael und Bramante. So dunkel und zwiespältig die Zeit der Borgia, della Rovere und der Medici auch war: Das Italien der Renaissance brachte künstlerische Höchstleistungen hervor. Keine Frage, dass sich die Künstler untereinander nicht immer wohlgesonnen waren. Konkurrenz und Neid prägten ihre Beziehungen.
Prof. Dr. Mark Häberlein, Dekan der Fakultät Geschichts- und Geowissenschaften, führte die Zuhörer bereits in seiner Begrüßung in die Welt der Kunstgeschichte. Die kunsthistorische Lehre ist nun auch an der Universität Bamberg wieder vollständig. Prof. Dr. Wolfgang Brassat, der Kunstgeschichte, Neuere Deutsche Literatur, Europäische Ethnologie und Geschichte in Marburg und Hamburg studiert hatte, übernahm bereits zum 1. März 2006 den Lehrstuhl II für Neuere und Neueste Kunstgeschichte. „Im Prozess der personellen Erneuerung der Geschichts- und Geowissenschaften ist das ein wichtiger Schritt“ betonte Häberlein.
Ironische Paraphrase
Den in der Forschung oft thematisierten Paragone zwischen Raffael und Michelangelo führte Wolfgang Brassat anhand einiger Hauptwerke des Urbinaten vor, setzte in der Deutung des Konkurrenzkampfes aber neue Akzente. Er legte dar, dass Raffael in der formalen und stilistischen „imitatio“ Michelangelos allmählich eine kritische Haltung entwickelt und den großen Kontrahenten in einigen seiner Gemälde sogar ironisch paraphrasiert hat. Dabei stellte der Jüngere den an der Antike geschulten, kolossalen Individualfiguren und dem „pathos“ und der „terribilità“ des Florentiners gemäß den kunsttheoretischen Maximen Leon Battista Albertis eine gemäßigte Stilhöhe, seinen „modo mezzano“ (Vasari), und die Wirkungsqualität der „grazia“ entgegen. Die Anmut seiner kunstvoll komponierten mehrfigurigen Historienbilder war dabei an die Überzeugung gekoppelt, dass für einen modernen christlichen Künstler die antike Formensprache nur in Grenzen vorbildlich sein könne.
Beispielhaft bezeugt dies eine der ambitioniertesten Bilderzählungen, die Raffael für Papst Leo X. in der Stanza dell’Incendio des Vatikan konzipierte: „Der Brand des Borgo“. Entgegen dem ersten Anschein benutzte Raffael die Gruppe der vor dem Feuer fliehenden michelangelesken Figuren im linken Vordergrund nicht, um dem Florentiner seinen Respekt zu zollen. Vielmehr ist der an der Mauer hängende, konfus reagierende Athlet eine komische Figur, wie Brassat unter anderem mit einem späteren Zitat derselben in einer Groteskenmalerei erhärten konnte. Raffael hat demnach Michelangelo parodiert, indem er dessen monumentale Individualfiguren in einen neuen sozialen Kontext einfügte, in dem ihr Verhalten asozial beziehungsweise komisch wirkt. Bezeichnenderweise hat der Maler in diesem Fresko nur die Gruppe der vor der Papstloggia versammelten Frauen und Kinder im Hintergrund selbst ausgeführt, den wesentlich größere Anteil mit den antiken Pathosformeln überließ er seinen Schülern.
Gemalter Triumph
Besonders in der von Giorgio Vasari als „Vermächtnis Raffaels“ gewürdigten „Transfiguration“, in der die Konkurrenz zwischen den beiden Künstlern einen letzten Höhepunkt erfuhr, führte Raffael das bislang in diesem Kontext zu wenig beachtete selbstreflexive Potenzial der Malerei buchstäblich vor Augen: Die klare formale wie inhaltliche Zweiteilung des Gemäldes zeigt die an der Heilung des mondsüchtigen Knaben scheiternden Apostel als monumentale und skulptural aufgefasste Figuren. Sie sind der anmutigen und malerischen Gestalt des verklärten Christus, der nach der Transfiguration zu den Aposteln zurückkehrte und den besessenen Knaben heilte, im wahrsten Sinne des Wortes unterlegen. Das letzte große Werk Raffaels wurde damit zu einem „gemalten Triumph“ über die im konkurrierenden Pendant „Auferweckung des Lazarus“ kollaborierenden Rivalen Michelangelo und Sebastiano del Piombo.
An Werken von Rosso Fiorentino, Maerten van Heemskerck und Pieter Bruegel d. Ä. zeigte Brassat, dass Raffaels Verfahren der kritischen Relativierung und Parodie Michelangelos Schule machten, und dass es des Vergleichs mit anderen Stilen bedarf, um sich und den eigenen Stil zu positionieren – auch insofern ist der Paragone ein wichtiges Thema der Kunstgeschichte.