PROMOTIONSPREIS DER UNIVERSITÄT BAMBERG 2021

Eleonore Schmitt

Dissertation: Frequenz, Prototyp, Schema. Ein gebrauchsbasierter Ansatz zur Entstehung grammatischer Varianten

Die Dissertation entwickelt ein gebrauchsbasiertes Modell zur Entstehung grammatischer Varianten. Dieses wird auf Variation in der Konjugation (geglimmt/geglommen), Variation in der Deklination (des Bären/Bärs) und Variation in der Selektion zwischen haben und sein im Perfekt (ich bin/habe Auto gefahren) angewandt. Das Modell erarbeitet Frequenz, Prototyp und Schema als grundlegende Einflussfaktoren darauf, wie wahrscheinlich Variation und Stabilität in einem Sprachsystem sind: Bei allen Variationsphänomenen sind neben der Variation auch stabile Verwendungen zu beobachten (geflogen/*gefliegt, des Matrosen/*des Matroses, ich bin gegangen/*ich habe gegangen). Zusätzlich zur theoretischen Modellierung wird der Einfluss von Frequenz, Prototyp und Schema auf Variation und Stabilität psycholinguistisch anhand von Reaktionszeitmessungen überprüft. Damit schließt die Arbeit lang bestehende Forschungslücken:

Bislang fehlte ein empirisch plausibles Modell, das die Ursachen für Vari-ation umfassend beschreibt und Vorhersagen über das Vorkommen von Variation ermöglicht. Das gebrauchsbasierte Modell und dessen Überprüfung stellen daher die zentralen Elemente der Arbeit dar: Das Modell fasst Variation und Stabilität von Sprache probabilistisch und prognostiziert auf diese Weise Variation. Der Rückgriff auf Reaktionszeiten erlaubt es, in der Sprachverarbeitung Variationspotential zu erkennen, das noch nicht im Sprachgebrauch sichtbar ist. Die Arbeit verdeutlicht damit den zentralen Stellenwert, den Variation in der Sprache einnimmt, erweitert mit der Verbindung aus Kognitions- und Psycholinguistik bestehende Forschung und ermöglicht einen systematischen, empirisch überprüfbaren Zugang zu Variation. Bislang wurde in der Variationsforschung auf die Sprachproduktion fokussiert, Vergleiche zwischen Reaktionszeiten für Formen, die Variation aufweisen, und Formen ohne Variation wurden nur vereinzelt durchgeführt und das methodische und statistische Verfahren nicht vorab registriert. Die Arbeit legt damit die ersten systematischen und vorab registrierten Studien zum Einfluss von Frequenz, Prototyp und Schema auf Variationsphänomene im Deutschen vor und zeigt, wie Reaktionszeiten zur Theoriebildung nutzbar gemacht werden können.


Eleonore Schmitt hat an der Universität Hamburg Deutsche Sprache und Literatur sowie Germanistische Linguistik studiert und ihr Studium 2016 mit dem Master of Arts abgeschlossen. Im Anschluss daran promovierte sie an der Universität Bamberg am Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft. Die Promotion schloss Eleonore Schmitt 2021 ab. Sowohl in ihrem Studium als auch während ihrer Promotion wurde sie von der Studienstiftung des Deutschen Volkes gefördert.