Dieser Fährmann kann die toten Seelen nicht wieder lebendig machen: Charon beim Übersetzen über den Styx (Foto: Karl Hahn/wikimedia.commons.org).

Nach Robert Schindel kann ein Dichter das, was Charon nicht kann: Tote wieder zum Leben erwecken (Foto: Julia Hausmann).

Auch der dritte Abend der Poetikprofessur lockte viele Besucher.

- Julia Hausmann

Die toten Seelen lebendig machen

Dritter Abend der Poetikprofessur mit Robert Schindel

Das "Wie" des Schreibens, der Begriff der Poetik und ihre Aufgaben standen im Mittelpunkt der dritten Vorlesung des diesjährigen Poetikprofessors Robert Schindel. Mittels einer Collage verschiedener Texte versuchte er, sich dieser Thematik anzunähern und zu zeigen, wie er als Dichter das Unsichtbare sichtbar macht.

In den beiden vorangegangen Veranstaltungen hatte der Schriftsteller bereits Überlegungen darüber angestellt, wie ein Dichter das Unsagbare in der Sprache zum Ausdruck bringen kann und wie er seine Themen findet – oder die Themen ihn. Schwerpunkt der dritten Vorlesung am 15. Juli war nun die Frage nach dem „Wie“ des Schreibens, dem Schindel in einer Lesung in Form einer Collage – zusammengesetzt aus einer Vielzahl verschiedener Texte – nachspürte.

Eine Lesung mit vielen Facetten

Die Bandbreite der dargebotenen Texte war groß. Neben verschiedenen Gedichten trug Schindel den Essay „Das Verborgene und sein Fährmann“, den Kurztext „Schreibtechniken: Über das Geheimnis, über Aussparung“ sowie Passagen aus seinem derzeitigen work in progress, dem Roman „Der Kalte“, vor. Dieser thematisiert die schwierige Beziehung des früheren Spanienkämpfers Edmund Fraul zu seinem Sohn Karl, einem aufstrebenden Schauspieler, der mit dem ewigen Vergangenheitsgestöber seines Vaters nichts anzufangen weiß.

Explizit zum Ausdruck kommt die Frage nach dem „Wie“ in Schindels Überlegungen zu Aussparung und Geheimnis. Darin gelangt er zu dem Schluss, dass es an Themen gewiss nicht mangelt, denn „alles vermag zu interessieren, wenn es Welt hereinnimmt, sei es faktisch, sei es durch Andocken ans Draußen, sei es in Veränderung des Gewohnten“. Doch nicht das „Was“, sondern das „Wie“ entscheidet alles – und hier haben die Schreibtechniken besondere Bedeutung, die den „Effekt des Allumfaden“ vermeiden: Aussparung und indirek-tes Schreiben, in denen aufgeschrieben wird, wovon das Aufgeschriebene eben nicht handelt.

Übersetzen über den Styx: Die Aufgabe des Dichters als Fährmann

Auf die zentrale Aufgabe eines Dichters, die schon im Titel der Poetik-Professur beschrieben ist, geht Schindel im Essay „Das Verborgene und sein Fährmann“ ein. Diesen hatte er als Laudatio für Edgar Hilsenrath verfasst, als dieser im Jahr 2004 mit dem Lion-Feuchtwanger-Preis ausgezeichnet worden war. Der Text offenbart vieles über Schindel und seine Auffassung von der Aufgabe des Dichters: „Für die Nachgewachsenen stellen Fährmänner wie Kertész, Celan, Levi, Tišma und Hilsenrath die Würde der Zertretenen wieder her, weil sie sie mit den wahrhaftigen Stimmen übersetzten, mit ihren verschorften, flüsternden, überkippenden, glucksenden, hysterischen, müden und verstummenden Stimmen“, schreibt er. Und auch Schindels Ziel ist, mit seinen Werken das Verborgene zu bergen, das Unsichtbare in Sichtbares zu übersetzen und so seinen Großvater Salomon, seinen Onkel Georg und viele andere lebendig werden zu lassen, ihnen einen Namen zurückzugeben. Das Übersetzen von toter Materie und toten Seelen in lebende, von drüben nach hüben, mache die Poetik aus, betonte Schindel noch einmal in der anschließenden Diskussion mit dem Publikum, wo er sich auch weiteren Fragen der Zuhörer stellte.

Letzer Vortrag und Kolloquium

In der letzten Veranstaltung der diesjährigen Poetikprofessur wird Schindel näher auf seine Figuren eingehen: Eine Figur sucht sich einen Wahlverwandten. Am 23. und 24. Juli 2010 schließt sich dann das Kolloquium zur Poetikprofessur mit verschiedensten Vorträgen rund um Robert Schindel und sein Werk an. Mit dabei sein werden am Samstag der Wiener Dichter Doron Rabinovici und Nora-Eugenie Gomringer, Leiterin des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia. Das Programm ist zu finden unter den Lehrstuhlseiten der Neueren deutschen Literaturwissenschaft. Interessierte sind herzlich willkommen.