Russischer Gast in der Slavistik

Der Germanist und Russist Evgenij Čigirin (Jahrgang 1975) ist Dozent für Deutsch als Fremdsprache an der Technologischen Staatsakademie Voronež, etwa 600 Kilometer südlich von Moskau. Er hat im Jahre 2002 seine Doktorarbeit zum Thema „Deutsche Einfügungen in den Texten von Marina Cvetaeva“ verteidigt und arbeitet seitdem an seiner Habilitationsschrift zur deutschsprachigen Rezeption der russischen Lyrikerin und Prosaautorin Marina Cvetaeva. Er war von September bis Dezember 2009 mit einem Immanuel-Kant-Stipendium des DAAD und des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft der Russischen Föderation beim Lehrstuhl für Slavische Philologie zu Gast.

Herr Čigirin hat sich bereit erklärt, auf einige Fragen zu seinem Aufenthalt in Bamberg zu antworten.

 

Daniel Schümann

Evgenij, Sie sind jetzt fast drei Monate hier in Bamberg. Haben Sie das Gefühl, dass Sie diese Zeit verändert hat?

Evgenij Čigirin

Ja, man kann sagen, dass ich die Welt jetzt mit anderen Augen sehe. Vorher wusste ich eigentlich recht wenig über das deutsche Hochschulsystem und auch über das alltägliche Leben in Deutschland. Natürlich habe ich viel darüber gelesen. Aber Lesen ist eben doch nur Theorie. Es ist viel besser, sich selbst ein Bild zu machen.

DS

Was genau war Ihr Forschungsvorhaben?

Mir ging es um die Erfassung der unterschiedlichen Übersetzungen Cvetaevas ins Deutsche. Außerdem interessiert mich die Wechselwirkung zwischen der deutschen und der russischen Sprache in ihren Werken. Ich hatte nicht erwartet, dass es so viele Übersetzungen ins Deutsche gibt.

DS

Wie kommt man in Voronež dazu, sich für einen Forschungsaufenthalt an der Universität Bamberg zu bewerben?

Ich habe mich für einen Aufenthalt am Lehrstuhl für Slavische Literaturwissenschaft entschieden, weil ich wusste, dass sich Frau Prof. von Erdmann mit der russischen Poesie des Silbernen Zeitalters beschäftigt.

DS

Wie schätzen Sie die Bedingungen ein, die unsere Universität für Forscher aus Russland bietet?

Mit einem Wort: hervorragend. Die Ausstattung mit einem Arbeitsplatz hat mir sehr gut gefallen. Mir standen unerwartet viele Bücher in der Bibliothek zur Verfügung. Die Betreuung durch das Auslandsamt und dessen Freizeitangebote waren sehr gut. Außerdem fand ich es sehr gut, dass ich kaum Zeit für Wege verlieren musste. Die Stadt ist so kompakt, dass man überall gut zu Fuß hinkommt. Das ist bei uns in Voronež ganz anders. Die Stadt ist ungefähr zwölf Mal so groß wie Bamberg. Da ist man auf Bus und Straßenbahn angewiesen.

DS

Ist es leicht, sich als Ausländer in unserer Bibliothek und an der Universität zu orientieren?

Die ersten Tage waren natürlich nicht leicht. Es war ungewohnt für mich, alles per Computer zu erledigen – die Literatursuche und die Kommunikation mit der Bibliothek funktioniert bei uns ganz anders, eher traditionell. Aber zum Glück kann man ja auch noch Mitarbeiter fragen, wenn man etwas nicht alleine findet. Auch am Lehrstuhl konnte ich viele meiner Fragen klären.

DS

Ist dies Ihr erster Aufenthalt in Bamberg? Welches Bild hatten Sie von Bamberg, bevor Sie zu uns kamen?

Ja, ich bin zum ersten Mal in Bamberg. Vorher wusste ich eigentlich nicht besonders viel, nur dass Bamberg die Stadt der sieben Hügel ist, dass es Weltkulturerbe ist und dass Bamberg eine lebendige Bierkultur hat. Ich hatte aber nicht erwartet, dass Bamberg wirklich so schön ist.

DS

Was ist Ihrer Meinung nach der größte Unterschied zwischen Ihrer Stadt, Voronež, und Bamberg?

Wie gesagt ist Voronež viel größer. Das Leben in Bamberg ist ein bisschen ruhiger. Im Vergleich zu dem hektischen Leben in meiner Stadt fand ich es hier wirklich erholsam. Ich konnte mich voll und ganz auf meine Forschungen konzentrieren.

 

DS

Was hat Ihnen in Bamberg besonders gut gefallen?

Als Sehenswürdigkeiten haben mich der Dom und das Alte Rathaus sehr beeindruckt. Gut gefallen haben mir aber auch der Wochenmarkt und besonders der Weihnachtsmarkt. Es ist lustig, den Deutschen beim Glühweintrinken zuzusehen. So eine Tradition gibt es bei uns nicht.

DS

Was haben Sie besonders vermisst?

 

Meine Familie. Ich war noch nie so lange von meiner Familie getrennt. Alles andere war eigentlich sehr schön in Bamberg.

DS

Was würden Sie anderen Gastwissenschaftlern raten, die sich für einen Forschungsaufenthalt in Bamberg interessieren?

Das hängt natürlich vom Fachgebiet ab. Ich würde jedem empfehlen, möglichst früh Kontakt mit den passenden Stellen aufzunehmen, um sich schon vor der Ankunft ein Bild von der Universität zu machen. Wenn ich z. B. vorher gewusst hätte, dass es in Bamberg so viele Bücher Cvetaevas auf Russisch gibt, hätte ich meine eigenen Ausgaben zu Hause lassen können.

DS

Ich bedanke mich herzlich für das Interview und wünsche Ihnen alles Gute für Ihre weitere akademische Laufbahn in Russland.