Ein Thema der vierten Vorlesung: die Figuren an Schnüren tanzen lassen (Foto: Jackie/wikimedia/cc-by).

Zum vorerst letzten Mal gemeinsam vor einem Bamberger Rednerpult: Poetikprofessur-Organisatorin Iris Hermann und ihr Gast Robert Schindel (Foto: Felicia Geuder-Hanslik).

- Felicia Geuder-Hanslik

Eine Figur sucht sich einen Wahlverwandten

Vierter Abend mit Poetikprofessor Robert Schindel

Zum Abschluss seiner Poetikprofessur erfuhren die Zuhörer Robert Schindels, wie seine Figuren entstehen und wie er mit ihnen umgeht.

In den letzten drei Vorträgen hatte der Wiener Autor für ihn wichtige Themen und Vorbilder sowie die Frage nach dem Begriff der Poetik erörtert. Am vierten und letzten Abend seiner Vorlesung beschäftigte er sich mit dem Thema „Eine Figur sucht sich einen Wahlverwandten“ und ging in diesem Zusammenhang näher auf die Frage nach dem Verhältnis des Autors zu seinen Figuren ein.

In ihrer Begrüßung fasste Organisatorin Iris Hermann die diesjährige Poetikprofessur mit den Worten zusammen, Schindel habe in seinen Vorträgen die Gegensätze zwischen Juden und Nichtjuden, Toten und Lebendigen sowie Unsagbarem, das zur Sprache kommt, deutlich gemacht, jedoch auch bewiesen, „dass ein Dialog nicht nur möglich ist, sondern vom Autor vorgelebt wird“. Auch in der anschließenden Vorlesung war die Wechselwirkung zwischen Gegensätzen, nicht zuletzt diejenige zwischen Figur und Autor, wieder klar erkennbar.

Von Elend und Freiheit im Umgang mit seinen Figuren

Zum Einstieg in die Thematik stellte Robert Schindel zwei Kapitel seines „work in progress“ Der Kalte vor, das er schon an den vorhergehenden Abenden aufgegriffen hatte. Anhand dieses Romanfragments wurde klar, wie genau der Autor die Welt wahrnimmt und seine Figuren dieser Realität anpassen kann. Bemerkenswert dabei: Obwohl Schindel diese Charaktere erst nach 14-jähriger Pause wieder aufgegriffen hatte, konnte er mit ihnen problemlos umgehen. „Figuren arbeiten eben mit“, sagte er zur Begründung.

Immer neue Figuren würden während der Produktion von Literatur auf den Schriftsteller einströmen, so dass er irgendwann „automatisch“ schreibe; sie entwickeln bisweilen ein Eigenleben, das der Autor daraufhin überprüfen müsse, ob es noch der Logik des Werkes entspricht. So ist es die Aufgabe des Schriftstellers, eine Mischung aus „Fließen und Planen“ zu finden, die Figur also am Leben zu erhalten und ihren Charakter dennoch selbst zu bestimmen. Der Autor erhält damit einen Beobachtungsposten, mischt sich nicht ein, sondern weist nur ab und zu die Richtung.

Die Figur als Wahlverwandte

Doch wie viel Erfahrungswelt des Autors steckt in einer Figur? Am Ende, so Schindel, sei sie wie eine Vertraute, wie eine „Wahlverwandte“. Dies liege wohl daran, dass jeder Schriftsteller über etwas schreibt, dass er für wichtig hält und Belang haben nun einmal Dinge, die mit einem selbst zu tun haben. Die Figur sei mit einem Stein zu vergleichen, der zwar unkenntlich gemacht wurde, aber dennoch aus dem Material des Urhebers besteht.

„Depersonalisierung, Schwanzflosse der Moderne“ nannte Schindler einen weiteren Aspekt seines vielschichtigen Vortrags:  Er drückte damit seine Skepsis gegenüber der zeitgenössischen „Raserei“ aus, nicht modern zu sein. Ist es heutzutage unverschämt, „Ich“ zu sagen? So fragte der Wiener Autor und meinte damit die Praxis, Personen zu dekonstruieren und sie als „überindividuell“ zu gestalten. Dies berge die Gefahr, zu oberflächlich zu werden. Stattdessen sei man doch einfach zeitgemäß, wenn man in der zeitgenössischen Sprache bleibe.

Abschließend ging Robert Schindel auf die Frage ein, wohin die Reise der Figuren geht, wer sie also „an Schnüren tanzen“ lasse. Dies sind, wie es das diesjährige Thema der Poetikprofessur „Fährmann sein. Zum Übersetzen von Erschwiegenem“ beschreibt, alle, die übersetzen, der Fährmann also, der dennoch nicht im Zentrum der Figuren steht.