Die Sebalduskirche gehört zu den bedeutendsten sakralen Bauwerken von Nürnberg (Bild: Jailbird/wikimedia/cc-by-sa).

Wichtigster Kunstschatz der Selbaduskirche: das Grabmal des Stadtpatrons St. Sebald, fertiggestellt 1519 nach den Plänen von Peter Vischer.

- Rainer Schönauer

Ordnung im Chaos

Gerhardt Weilandt entschlüsselt die Bilderwelt der Nürnberger Sebalduskirche

Die Nürnberger Sebalduskirche ist neben der Frauenkirche und der Lorenzkirche eine der bedeutendsten sakralen Bauwerke der mittelfränkischen Stadt. Ihre prachtvolle, mittelalterliche Innenausstattung wirkt auf Laien oft verwirrend oder sogar undurchschaubar. Privatdozent Dr. Gerhardt Weilandt brachte am 26. April Ordnung ins Chaos. Sein Vortrag bildete den Auftakt zur Ringvorlesung des Zentrums für Mittelalterstudien (ZEMAS), die sich in diesem Semester mit der mittelalterlichen Bau- und Kunstgeschichte in Franken beschäftigt.

Viele Besucher der Nürnberger Sebalduskirche sind etwas überrascht, wenn sie das Gotteshaus betreten. Denn obwohl St. Sebald seit fast einem halben Jahrtausend protestantisch ist, brennt immer noch ein ewiges Licht im gotischen Hallenchor, und die unzähligen Heiligenbilder erzeugen unmittelbar den Eindruck, in einer katholischen Kirche zu stehen. Privatdozent Gerhardt Weilandt aus Heidelberg nennt den Grund dafür: „In Nürnberg hat es im Gegensatz zu vielen anderen Reichsstädten keinen radikalen Bildersturm gegeben.“ Erst einige Jahre nach Einführung der Reformation in Nürnberg 1524/25 begannen die Bürger systematisch gegen die Kunstwerke vorzugehen.

Theologisch unschädlich gemacht

So wurden katholische Szenen auf Altarbildern und Epitaphien (Bilder zum Gedenken an Verstorbene) bewusst übermalt. Auch den mittelalterlichen Figuren ging es an den Kragen, oder besser gesagt an die Extremitäten. „Fast alle Skulpturen haben ihre originalen Hände oder die Arme verloren, die die spezifischen Heiligenattribute oder die Marterwerkzeuge trugen“, erklärt der Experte. Die Kunstwerke seien nicht vernichtet, sondern einfach nur neutralisiert und theologisch unschädlich gemacht worden.

Aufgrund des ausgeprägten Stifterwesens seien die Kunstwerke aber zum Glück erhalten worden, so Weilandt: „Es galt als ein Privileg, eine Skulptur oder ein Tafelbild stiften zu dürfen. Da sie die älteste und vornehmste Kirche war und überdies dem Rathaus als politischem Zentrum gegenüber lag, richteten die Nürnberger Patrizier ihre Repräsentationswünsche auf die Sebalduskirche aus und verhinderten im Stadtrat unerwünschte und radikale Aktivitäten.“

Trotzdem hatte die nachreformatorische Entwicklung gravierende Folgen für die Bilderwelt von St. Sebald. Einstige Ordnungsprinzipien, nach denen die Kunstwerke ihre feste Position im sakralen Raum hatten, existierten nicht mehr. Der alte Zweck der Bilder wurde vergessen, neue Bilder kamen aus anderen Kirchen hinzu, andere Werke wanderten ab. Die meisten Objekte wurden aber innerhalb der Kirche bedenkenlos versetzt und umgehängt. Weilandt: „Insbesondere während der Säkularisation im 19. Jahrhundert entstand aus der Unwissenheit ein Chaos, das sich heute nur noch schwer auflösen lässt.“ In seinem Vortrag versuchte Weilandt für die Zuhörer Ordnung in dieses Chaos zu bringen.

Kein buntes Allerlei

Betrachtet man den Grundriss der Kirche, dann lässt sie sich als einen Raumkern mit Hallen- und Binnenchor sowie dem Mittelschiff begreifen, um den als breite Schale der Chorumgang gelegt ist. „Dieses Verhältnis zwischen Kern und Hülle war nicht nur ein räumliches, sondern auch ein inhaltliches. Das Mittelalter dachte streng hierarchisch. Auf Erden gab es eine feste ständische Ordnung, angeführt von Kaiser und Papst. Und im Himmel war es die Hierarchie der Heiligen mit Gott an der Spitze“, erläutert Weilandt. Tatsächlich waren Binnenchor und Langhaus im Mittelalter ausschließlich den Darstellungen von Christus, Maria, den Aposteln und Johannes dem Täufer vorbehalten. Ausnahme: Obwohl er nur eine niedrige Stufe in der Heiligenhierarchie einnahm, reihten die selbstbewussten Nürnberger auch ihren Kirchenpatron, den Heiligen Sebaldus, in diesen exklusiven inneren Zirkel ein und platzierten den Schrein mit seinen Gebeinen im Chor vor dem Hochaltar.

In den Seitenschiffen und dem Westchor, die den Kern umhüllten, war die Bilderwelt erheblich vielfältiger und bunter. Weilandt begründet dies mit den zahlreichen Nebenaltären, die in der Kirche aufgestellt waren und der Verehrung der vielen Heiligen niederer Ränge dienten. Er sieht es als durchaus mühsam an, den originalen Kontext der Kunstwerke wieder herzustellen. „Doch wenn man sich dieser Mühe unterzieht, dann gelangt man zu einem völlig neuen Verständnis der Bilderwelt der Sebalduskirche, die eben kein buntes Allerlei war, wie es uns heute mitunter erscheint, sondern ein sinnvolles Ganzes.“