Comics, Literatur und Realität ... (Zeichnung: Daniela Kohl, Ausschnitt)

... vermischt der Nachwuchsautor Thomas von Steinaecker in seinem Roman "Geister" (Bild: Elisabeth von Sydow).

- Elisabeth von Sydow

Das Leben ist ein Comic

Thomas von Steinaecker las aus seinem Roman „Geister“

Geister sind Spukgestalten, die nicht tot und nicht lebendig sind. Sie verfolgen einen überall hin, lassen einen nicht mehr los. Und genau das hat der Roman „Geister“ von Thomas von Steinaecker mit diesen Gestalten gemein.

Sein Debütwerk „Wallner beginnt zu fliegen“ kam nur wenige Wochen nach seinem Erscheinen als eines der fünf besten Bücher des Jahres auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2007 und die SWR-Bestenliste. Für den Roman bekam er mehrere Preise, unter anderem den Aspekte-Preis 2007. Die Rede ist von dem 1977 in Traunstein/Oberbayern geborenen Thomas von Steinaecker – einer neuen Stimme der deutschen Gegenwartsliteratur.

Am Mittwoch, 6. Mai, besuchte Steinaecker Bamberg im Rahmen der Reihe „Literatur in der Universität“, um seinen zweiten Roman „Geister“ vorzustellen. Das Buch kann nicht nur als eine Fortsetzung des ersten Werkes „Wallner beginnt zu fliegen“ gesehen werden, sondern begründet nebenbei eine ganz neue Gattung – die der graphic novel. Steinaeckers Texte werden auf reizvolle Art von Zeichnungen der Comic-Künstlerin Daniela Kohl begleitet, die auch bei der Lesung gezeigt wurden. 

Er zeichnet sich dadurch aus, dass ihn nichts auszeichnet

Die Lesung begann mit der Einführung des Protagonisten Jürgen Wallner, der sich laut Steinaecker dadurch auszeichnet, dass ihn nichts auszeichnet. Er ist eine charakterlose, eindimensionale Person. Er besitzt keine eigene Persönlichkeit, da er ständig über seine verschwundene Schwester Ulrike definiert wird. Mit sechs Jahren verschwand das kleine Mädchen auf dem Weg nach Hause spurlos. Ihre Leiche wurde nie gefunden. 
Obwohl Jürgen Ulrike nie kennengelernt hat, wird sie zur quälend präsenten Person in seinem Leben, nicht zuletzt durch seine beklemmend trauernden Eltern. Denn nach wie vor bleibt sie bei seinen Eltern fortwährend das Gesprächsthema Nummer eins. Aus diesem Grund ist auch Jürgens Welt geprägt vom Geist seiner älteren Schwester Ulrike. Man könnte sagen, dass ihn eine gewisse Besessenheit ergriffen hat.

Nachdem Steinaecker dem Hörer eine Übersicht über Personen und Handlung gegeben hatte, machte er einen Sprung in die Zukunft. Jürgen ist nun verheiratet, hat eine kleine Tochter und arbeitet als Physiotherapeut. Doch das geordnete Leben gerät mit einem Mal aus dem Gleichgewicht. Er erhält die Nachricht, dass seine Schwester noch lebt und sich seit Jahren in Budapest aufhält. Er ist geschockt, geängstigt, aufgeregt. Doch diese Reise nach Budapest, zusammen mit einem Kamerateam, stellt sich als große Enttäuschung heraus.

Vermischung von Wirklichkeit und Fiktion

Jürgens trostloses Leben nimmt erneut seinen Lauf. Weitere zehn Jahre vergehen. Er lässt sich von seiner Frau scheiden, führt mit ihr ein Sorgerechtsstreit und arbeitet nun in einem Hotel am Chiemsee. Doch erneut bricht ein Ereignis über ihn herein, was alles verändert. eines Tages bekommt Jürgen Comics von einer gewissen Cordula Maas zugeschickt. Die Comics erzählen die Geschichte der fiktionalen Hauptperson Ute.

In diesen Comics verarbeitet die Zeichnerin das Verschwinden Ulrikes, das auch in den Medien großflächig behandelt wurde und lässt sie somit weiterleben. Das Ergebnis, das sie im Netz veröffentlicht, findet ein schnell eine Anhängerschaft, die sich als „Internet-Community“ organisiert. Auch Jürgen tritt dieser Gemeinschaft bei und führt ab diesem Moment ein komplett fremdgesteuertes Leben. Er lebt das nach, was Maas in den Comicfolgen darstellt – er lebt ein virtuelles, fiktives Leben. Doch in dieser Welt findet er das, wonach er sein ganzes Leben lang gesucht hat: seine eigene Identität, seine Erfüllung, seine Besonderheit.

Besonders ist letztendlich nicht nur der Protagonist, sondern auch das Werk selbst. Gekonnt spielt es mit der Verschmelzung der unterschiedlichsten Medien. Fotografie, Comic, Film und Prosa werden zusammengeführt, und lassen ein einzigartiges und kreatives Zusammenspiel entsteht. Doch der eigentliche Clou des Romans besteht darin, dass er vom Medium Buch losgelöst fortbesteht. Denn sein Geist spukt auf der Internetseite www.ute-comic.de weiter.