Auf Einladung der Bamberger Judaistik in der AULA: Jascha Nemtsov (Bilder: Matthias Schönhofer).

Prof. Dr. Susanne Talabardon dankte Nemtsov mit einem Blumenstrauß.

Konzentrierte Fingerfertigkeit. Nemtsov lebt und arbeitet bereits seit 17 Jahren in Deutschland. 25 CD-Einspielungen entstanden seitdem.

- Matthias Schönhofer

Von Karawanen und Seifenblasen

Der Pianist Jascha Nemtsov präsentierte jüdische Konzertmusik der letzten hundert Jahre

Aus der Mitte des jüdischen Volkes in den Konzertsaal: In der gut besuchten AULA der Universität Bamberg führte der Pianist Dr. Jascha Nemtsov auf Einladung der Bamberger Professur für Judaistik durch ein ganzes Jahrhundert jüdischer Weisen und Melodien.

„Reise“, „Karawane“, „Seifenblasen“ und „Mutti erzählt ein Märchen“ hießen die Stücke aus der „Kindersuite“ von Joseph Achron, mit denen Nemtsov die Zuhörer etwa zur Mitte seines Programms endgültig in seinen Bann zog. Filigrane, glasklare Melodiereigen standen in Kontrast zu stoisch-meandernden Basstönen, die dem Publikum stets die Wahl ließen, die Augen in das sonnendurchflutete Gewölbe des Kirchenchores zu heben, oder für einen kurzen, meditativen Moment die Augen ganz zu schließen. Motive und Melodien der ausgewählten Stücke entstammten teils sakraler jüdischer, teils profaner jiddischer Musik, wie Nemtsov anfangs erklärt hatte. Kurze Kommentare und historische Einführungen in die oft tragischen Biographien der ausgewählten Komponisten begleiteten den Abend des 14. Juli und schufen, gerade in Momenten größter musikalischer Leichtigkeit, einen Kontrast von Leben und Musik, der den ernsten Hintergrund der Stücke besonders spürbar machte.

Musik aus Theresienstadt

Die Lebensdaten der Komponisten Juliusz Wolfsohn (1880-1944), Joseph Achron (1886-1943) und Viktor Ullmann (1898-1944) ließen schon vermuten, dass gerade die schändlichste Phase der deutsch-jüdischen Beziehungen Entstehungshintergund eines Großteils der Musik des Abends darstellte. Nemtsov, der selbst Mitglied des Instituts für jüdische Studien an der Universität Potsdam ist, führte ebenso informiert wie sachlich in die komplizierte Materie ein, die nicht nur tragische Momente, sondern auch manch überraschende Facette enthielt. So erfuhr das Publikum etwa, wieso Viktor Ullmann insgesamt viermal „getauft“ wurde und erst im Konzentrationslager Theresienstadt mit jüdischen Musiktraditionen in Berührung kam. Oder welchen Einfluss Richard Wagner mit seiner Schmäh-Schrift „Über das Judentum in der Musik“ auf die Wahrnehmung jüdischer Musik hatte und wohin es Mieczyslaw Weinberg (1919-1996) im Laufe seines abenteuerlichen Musiker-Lebens überall hin verschlug.

Tröstlich blieb, dass trotz der durch Nationalsozialismus, stalinistischen Terror, Gulags und Konzentrationslager zerstörten Leben die Musik zumindest an diesem Abend das letzte Wort hatte. Nicht die Ansagen Nemtsovs erklärten die Musik, sondern die Musik erschien zunehmend als Kommentar zu den Erklärungen, und verkündete einen späten Sieg der jüdischen Musiker über ihre Peiniger und ihr Schicksal. Neben den präzise und virtuos vorgetragenen Stücken war dies wohl das Beeindruckendste am Abend mit Nemtsov, der seit 1992 in Deutschland lebt und arbeitet.

Vielfach ausgezeichnet

Seine musikalische Ausbildung erhielt Nemtsov an der Spezialmusikschule des Leningrader Konservatoriums, das er mit Goldmedaille und Auszeichnung verließ. 25 Alben als Solist und mit Partnern wie David Geringas (Violoncello), Tabea Zimmermann (Viola), und Ingolf Turban (Violine) sind im Handel erhältlich, darunter auch Neu-Aufnahmen der Ungarischen Rhapsodien von Franz Liszt. Seine Auszeichnungen umfassen den “Audiophile Reference – The Best of 2001”, „CHOC – Le monde de la musique”, „Recording of the month” (MusicWeb) und die „Disc of the Month” (BBC Music Magazine April 2006). Erst vor zwei Jahren erhielt er den Preis der deutschen Schallplattenkritik.