Seit 1990 unterrichtet Reimar Ulrich an der Universität Bamberg (Fotos: Daniel Wagner).

Feierliche Beleuchtung und komplexe Musik ergaben eine stimmige Mischung in der AULA.

- Matthias Schönhofer

Im nüchternen Rausch der Musik

Der Bamberger Universitätsdozent und Pianist Reimar Ulrich gab ein Konzert

Noch lange vor dem ersten Ton des Konzerts am Donnerstag, 19. November, mussten weitere Stühle aus den Winkeln und Ecken der ehemaligen Dominikanerkirche organisiert werden, so dass hinter den vollbesetzen regulären Sitzreihen bald noch eine ganze Riege musikbegeisterter "Hinterbänkler" Platz nehmen konnte. Mit einem derartigen Ansturm auf die dezent und feierlich ausgeleuchtete AULA der Universität hatten die Organisatoren offensichtlich nicht gerechnet. Dann konnte mit minimaler Verspätung ein weiteres Konzert aus der Reihe "Musik in der Universität" beginnen, deren hohes Qualitätsversprechen ein weiteres Mal eingelöst und bekräftigt wurde.

Was nach dem Stühlerücken noch an Restaufregung im Publikum verblieben war, verflog sogleich mit den ersten Takten der Barcarole op. 60 von Chopin, dessen virtuos-rasante Darbietung die Einzelnoten in ihrer Abfolge oft wie volle und dennoch leichte Akkorde klingen ließ. Von einem "seligen Moment", den Chopin "so zum Ertönen gebracht, dass selbst Götter dabei gelüsten könnte, lange Sommerabende in einem Kahn zu liegen", schwärmte schon Friedrich Nietzsche, wie in der von Mareike Eichfelder zusammengestellten Info-Broschüre zu lesen war. Dass der erste Eindruck harmonischer Freundlichkeit trügerisch sein sollte, offenbarte sich erst nach und nach. Kurze Dissonanzen, von Ulrich subtil wie kleine Nadelstiche in den harmonischen Wellen angedeutet, sorgten für Kontraste, die aufhorchen ließen und neugierig auf das weitere Programm machten.

Überraschende Herausforderungen

Auch das zweite Stück des Abends, Chopins Ballade Nr. 4 f-Moll op. 52, wirkte rätselhaft und in sich gekehrt. Eines wurde spätestens jetzt klar: Wer in Erwartung einer vorweihnachtlichen Einstimmungsübung den Weg in die AULA genommen hatte, sah sich stattdessen mit komplexer und nuanciert interpretierter Musik konfrontiert. Anstelle das Publikum mit einfach zu identifizierenden Stimmungen zu bedienen, forderte Ulrich mit seiner Auswahl die Zuschauer heraus, die miteinander streitenden Stimmungen der Stücke zu entschlüsseln und ihnen zu folgen, so wie man manchmal einer Basslinie oder anderen Figuren folgen mag. Wer sich darauf einlassen konnte, wurde entsprechend belohnt. Ulrich ließ sich nun vollends mit nüchterner Konzentration in den Rausch der Musik fallen.

Dass die Stücke nicht nur mental, sondern auch physisch äußerste Anforderungen an Ulrich stellten, wurde durch Bewegungsspiel und Dynamik auf der Bühne äußerst deutlich. Kurze Abtritte zwischen den langen Stücken ließen so nicht nur das jeweils letzte Werk effektvoll nachklingen, sondern dienten Ulrich auch als willkommene Gelegenheit, Finger, Geist und Arme zu entspannen und den Atem auf das voranstehende Stück einzustellen. Bereits zur Pause wurde der Pianist dann auch dreimal von den begeisterten Zuschauern wieder auf die Bühne geholt, um sich dem nicht abreißenden Applaus zu stellen.

Skrjabin und die schwarze Dame

Nach der Pause intonierte Ulrich Werke von Alexander Skrjabin, zu dessen Arbeiten er auch einen besonderen persönlichen Bezug hat. Mit 14 Jahren kam er das erste Mal mit Skrjabins Sonaten in Berührung, was er stets als "Schlüsselerlebnis" seiner künstlerischen Laufbahn bezeichnet. Speziell in Auseinandersetzung mit Skrjabin machte Ulrich schnelle Fortschritte, was ihm nicht nur eine vorzeitige Studienaufnahme am Nürnberger Konservatorium, sondern auch einen internationalen Bildungsweg eröffnete, der ihn über die Stationen London, Wien und Berlin führte. Seit 1990 lässt er die Studierenden der Universität Bamberg von seinem Erfahrungsschatz profitieren.

Dennoch wäre es viel kurz gegriffen, den hohen Publikumszuspruch und die Begeisterung mit Ulrichs Status als Universitäts-Lokalmatador zu erklären. Unter Studierende und Dozenten hatte sich auch einiges „universitätsfremdes“ Publikum gemischt, was unter anderem bezeugt, dass sich die Bamberger Veranstaltungsreihe „Musik in der Universität“ nach mittlerweile 28 Jahren ungebrochener Beliebtheit erfreut. Zum Abschluss bedankte sich der Vortragende daher auch beim Organisator des Abends Gregor Wind, wissenschaftlicher und künstlerischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Musikpädagogik und Musikdidaktik, und entführte das Publikum ein letztes Mal ins 19. Jahrhundert – diesmal zu einem mörderisch-musikalischen Strandspaziergang mit schwarzer Dame.