"Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß..." Gerald Leiß vom E.T.A.-Hoffmann-Theater präsentierte Lyrisch-Herbstliches vor schönsten Kulissen.

Künstlerhaus-Stipendiatin Susanne Röckel gab Einblicke in die Geschichte chinesischer Druckgraphik aus dem 17. Jahrhundert.

Herbstlich-wechselhaft war das Wetter. So dass Rezitator Leiß hin und wieder einen Schirmherrn brauchte.

Philosophieprofessor Christian Schäfer sprach in der Universitätsbibliothek über Nutzen und Gefahr von Büchern und Buchwissen.

- Katharina Müller-Güldemeister

An einem Sonntag im Oktober…

Blatt:werk! – Ein literarisch-künstlerischer Spaziergang durch Bamberg

Die Sonne lugte durch die Wolken und setzte die bunten Blätter in Szene. Das Wetter war ganz Herbst, so wie es sich für einen 24. Oktober gehört, und gut fünfzig Personen – unter ihnen einige Neu-Bamberger – warteten vorm Bootshaus darauf, dass Gerald Leiß, Schauspieler am E.T.A.-Hoffmann-Theater, zum Spaziergang aufforderte.

Der Weg führte durch den Hain, an der Regnitz entlang, an der Schleuse 100 vorbei, über die Obere Mühlbrücke hin zur ersten institutionellen Station, der Villa Concordia. Wo immer Leiß einen umgefallenen Baumstamm, eine Bank oder ein Flussgeländer fand, sprang er hinauf und zitierte die schönsten Herbstgedichte von Rilke, Hölderlin, Storm und vielen anderen. Gibt es einen besseren Ort, sich Gedichte über den Herbst vortragen zu lassen? Fahrradfahrer versuchten vergeblich, sich den Weg frei zu klingeln, als der Schauspieler Leiß „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ aufsagte.

Bedruckte Blätter aus der Ming-Dynastie

Je näher die literarische Herbstdemonstration der Villa Concordia rückte, desto ungemütlicher wurde das Wetter. Mit einem letzten Gedicht von Heinz Erhardt „Überlistet“ ließ man zwar nicht den Winter, aber doch den Herbst vor der Tür und hörte im Warmen und Trockenen einen Vortrag von Susanne Röckel über chinesischen Buchdruck.

Die derzeitige Stipendiatin der Literatur im Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia lebte anderthalb Jahre in China und stellte ein kostbares Werk aus dem Jahre 1644 vor, das erst 1948 wieder gefunden wurde. Die dünnen Reisblätter sind mit Holztafeln bedruckt – jede Farbe in einem eigenen Druckvorgang.

Die 283 Motive zeigen Prestigeobjekte der Gelehrten, Blüten, bizarr geformte Steine als ‚Energiekapseln der Natur’ oder langhalsige Kraniche als Symbol für ‚gute Beamte, die alles sehen’. Aber auch Einsiedler und Fabelwesen sowie eine chinesische Art des literarischen Bilderrätsels finden sich auf den Blättern, die in ihrer Schönheit und Präzision kaum von Aquarellen zu unterscheiden sind. Die Motive werden von Röckel als Selbstbesinnung der Gelehrten interpretiert. Sie zeigen, was für die Welt zu dieser Zeit wichtig war. Nach einer Stärkung durch Blätterteiggebäck ging es weiter zur Staatsbibliothek in der Neuen Residenz am Domplatz.

Blätter der Freundschaft aus vier Jahrhunderten

In der prunkvoll verzierten Sala terrena empfing Bibliotheksdirektor Prof. Dr. Werner Taegert die Spazierenden und präsentierte ‚Blätter der Freundschaft’ aus vier Jahrhunderten.

In den 1540er Jahren begannen Studenten und bald auch Adlige, Freundschaftsalben – sogenannte „Alba amicorum“ bzw. „Stammbücher“ – anzulegen, in denen sie bei ihren häufigen Ortswechseln handschriftliche Erinnerungszeugnisse an freundschaftliche Begegnungen sammelten. Es galt als Zeichen besonderer Wertschätzung, die Blätter professionell bemalen zu lassen. Seit dem Zeitalter der Empfindsamkeit im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts wurden Stammbücher auch von Frauen geführt. Seither gewann zunehmend das eigene - bisweilen unbeholfene - kreative Bemühen bei den Bildern Salonfähigkeit. Der Stammbuch-Brauch lebt bis heute in den Poesiealben fort.

Besonders kunstvoll ist eine Seidenstickerei eines Rosenblütenkranzes aus der Biedermeierzeit. Das Widmungsblatt befindet sich in der Albumkassette der Bambergerin Maria Anna Remeis, der Mutter von Karl Remeis, dem Bamberg die nach ihm benannte Sternwarte und die Villa Remeis zu verdanken hat.

Die Untiefen der Gelehrtenexistenz

In der Teilbibliothek 4 für Sprach- und Literaturwissenschaften hielt Prof. Dr. Christian Schäfer eine rhetorisch-raffinierte Philosophiestunde über die ‚Gelehrtenexistenz im Blätterwald’. Dabei ging es einerseits um Platons gebrochenes Verhältnis zu Büchern und seine Ansicht, dass man nur durch den Dialog lerne und nicht aufgrund der Tatsache, etwas „schwarz auf weiß nach Hause zu tragen“. Andererseits warf Schäfer einen humorvollen Blick Richtung Orient und die dortige Vergötterung des Buches, die bis zur Einrichtung von Schlafgemächern für die geschriebenen Werke reicht.

Passend zu diesen konträren ‚Buch-Haltungen‘ wurden die geistreich-ironischen Erzählungen „Von Patmos nach Salamanca“ von Umberto Eco und „Das Sandbuch“ von Jorge Luis Borges von Gerald Leiß vorgetragen. Am Ende kam der Boomerang von der Antike über den Orient zurück zu den vielen Tausend Büchern, die in der Universitätsbibliothek stehen. In der Universität, so Schäfer, vereine sich das gesammelte, überlieferte Buchwissen mit dem Dialog zwischen Gelehrten und Lernenden. Und damit löste sich auch das Gemeinschaftsprojekt der vier großen Bamberger Kulturinstitutionen bei Wein und Schnittchen in anregende Dialoge auf.