Die Geisteswissenschaften in der Krise?

Pressestelle/Universität Bamberg

Es geht nicht nur um den ökonomischen Nutzen der Geisteswissenschaften! Elisabeth von Erdmann hat einen Artikel zu dem Sammelband beigesteuert.

Herder Verlag

Ein Beitrag zum Jahr der Geisteswissenschaften 2007: der Sammelband von Gauger und Rüther.

- Diana Diroll

„Warum die Geisteswissenschaften Zukunft haben!“

Sammelband vereint Texte zum Wissenschaftsjahr 2007

Legitimationskrise, Chancen und Perspektiven: Über die Rolle der Geisteswissenschaften wurde vor allem im vergangenen Jahr viel diskutiert. Ein Buch vereint nun verschiedene Argumente zu diesem Thema.

Mit „Warum die Geisteswissenschaften Zukunft haben!“ reagieren die Herausgeber auf die öffentliche Debatte um die Geisteswissenschaften, die vor allem im vergangenen Jahr, dem offiziellen „Jahr der Geisteswissenschaften“, entflammte. Immer wieder müssen sich Geisteswissenschaftler rechtfertigen und um Akzeptanz im öffentlichen Diskurs kämpfen. Dem selbstbewussten Titel des Buches entsprechen die Aufsätze diverser Vertreterinnen und Vertreter geisteswissenschaftlicher Fächer. Es geht um die gesellschaftliche Leistung der jeweiligen Disziplin, mögliche Bildungsziele des Studiums sowie potentielle Arbeitsmarktchancen der Absolventen oder um die Realisierbarkeit interdisziplinärer Zusammenarbeit mit den Naturwissenschaften.

Außerdem beschäftigen sich Repräsentanten aus Politik, Wissenschaft und Kultur, unter anderem die Bundesministerin für Forschung und Technologie, Dr. Annette Schavan, mit der Frage, wie die umstrittenen Wissenschaften politisch und gesellschaftlich höheres Ansehen erlangen können. Der letzte Teil des Buches enthält Texte, die verschiedene Positionen angesichts des spannungsreichen Mit- und Gegeneinanders von Natur- und Geisteswissenschaften vereinen.

Dem Leben Glanz, Farbe und Sinn verleihen

Auch die Bamberger Professorin Dr. Elisabeth von Erdmann hat in dem Band Stellung bezogen. In ihrem Aufsatz „Imagination und Reflexion. Zur Gefangenschaft der Geisteswissenschaften im Nutzen- und Leistungsdenken“ legt die Inhaberin des Lehrstuhls für slawische Literaturwissenschaft der Universität Bamberg dar, dass die Leistung von Geisteswissenschaften ökonomisch nicht messbar sei. Durch den Anspruch an die Geisteswissenschaften, politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Funktionen zu erfüllen, gerieten diese unter einen Legitimationsdruck, dem sie nicht gewachsen seien. Da die geisteswissenschaftliche Forschung abhängig von Fördergeldern ist, müsse diese sich immer wieder vor Fachfremden als förderwürdig erweisen. Darin sieht von Erdmann eine Bedrohung der freien Wissenschaft. Statt nach dem ökonomischen Nutzen seien Fragen nach den Qualitäten der Geisteswissenschaften angebracht. Geisteswissenschaften führen nämlich nicht nur in die praktische Welt des ökonomischen und gesellschaftlichen Nutzens, sondern eröffnen den Blick über die be-grenzte Welt hinaus, so von Erdmann. Imagination und Denken könnten Modelle erschließen, die einen eigenständigen Bereich bilden, der allerdings eine gleiche Objektivität aufweise wie die Felder anderer Disziplinen.

Deshalb seien geisteswissenschaftliche Werte wie „Phantasie“ und „Imagination“ Werte, die nicht instrumentalisiert und kontrolliert werden können. Den „Nutzen“ der umstrittenen Disziplinen sieht von Erdmann nicht in konkret Messbarem, sondern im Miteinbeziehen verschiedener Aspekte und in der Entwicklung von Perspektiven, die dem Leben Glanz, Farbe und Sinn verleihen können.

Sinn und Eigenrecht der Geisteswissenschaften

Prof. Dr. Oliver Jahraus, ehemaliger Dozent an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, beschäftigt sich in seinem Beitrag „Sinn und Eigenrecht der Geisteswissenschaften“ mit dem aktuellen Status der Geisteswissenschaften. Er geht dabei von dem soziologischen Ansatz Luhmanns aus, der aufzeigt, dass nach Wegfall der absolutistischen Herrschaftsstrukturen eine Ausdifferenzierung der Lebensbereiche entstand. Da in der heutigen Zeit die Wirtschaft das vorherrschende gesellschaftliche Teilsystem sei, bevorzugt die Gesellschaft den Wissenschaftsbereich der Naturwissenschaften aufgrund seiner ökonomischen Dimension. So sehen sich die Geisteswissenschaften vor zwei Probleme gestellt: Auf gesellschaftlicher Ebene müssen sie sich selbstbewusst behaupten und in dem Teilsystem „Wissenschaft“ die Kluft zu den Naturwissenschaften überwinden. Zur Legitimation der Geisteswissenschaften argumentiert Jahraus, dass Geistes- und Naturwissenschaft zusammen den Gesellschaftssektor „Wissenschaft“ bilden und sich gegenseitig bedingen.

Das Buch

Jörg-Dieter Gauger/ Günther Rüther: Warum die Geisteswissenschaften Zukunft haben! Ein Beitrag zum Wissenschaftsjahr 2007. Herder 2007. Broschiert, 584 Seiten. Euro 19,00.