Nora Gomringer bei der Eröffnung der Buchmesse in Neu Delhi im Januar 2010 (Foto: Thorsten Hechtfischer).

Nora Gomringer (Foto: Anke Schiffer-Fuchs).

- Nora Gomringer und Tanja Eisenach

An den Rand der Selbstauflösung und zurück

Alumna Nora Gomringer über das Spannungsdreieck „Mensch, Künstlerin, Künstlerhausdirektorin“

Nora Gomringer hat an der Universität Bamberg Germanistik, Anglistik und Kunstgeschichte studiert, promoviert dort gerade im Fach Amerikanistik und hat am 1. April 2010 die Nachfolge von Prof. Dr. Bernd Goldmann als Direktorin des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg angetreten. Sie spricht über sich, die neue Stelle – und ihre Folgen.

Uni News: Wie würden Sie sich selbst in wenigen Sätzen vorstellen?

Nora Gomringer: Nora Gomringer arbeitet für die Sprache. Nora Gomringer war vier oder fünf Jahre alt, als sie wusste, dass ihre Familie seltsam war. Nora Gomringer muss sich fragen lassen, was ein Gedicht ausmacht. Nora Gomringer, was macht ein Gedicht aus? Nora Gomringer macht das Gedicht. Aus.

Uni News: Inwieweit hat Ihr Studium an der Universität Bamberg die Künstlerin und den Mensch Nora Gomringer geprägt – und vielleicht sogar zur jetzigen Stelle als Künstlerhausdirektorin geführt?

Nora Gomringer: Die Uni hat mir die Infrastruktur und den Rahmen gegeben, um künstlerisch schaffen zu können, wenngleich mir das Studium wenig Raum ließ, um künstlerische Prozesse zu entwickeln. Die überschaubare Größe, die kurzen Wege der Uni Bamberg und das engmaschige Kontaktnetz, das ich schnell knüpfte, halfen mir, früh zu produzieren und gehört zu werden. Diese Umstände brachten mir die Erkenntnis, dass man mit Kunst Geld verdienen konnte. Aber auch die Einsicht, dass an Orten mit diesem Charakter Hybris sofort bestraft wird – solche Strukturen fordern Mut, ohne dabei Hochmut zuzulassen. Ein Ort mit ähnlichen Eigenschaften ist auch das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia.  Als Künstlerhausdirektorin braucht man den Mut, neue Wege zu gehen, aber auch Demut – zum Beispiel, um Sachverhalte zu akzeptieren, die gerade diesem Ziel entgegen stehen. Für diese Möglichkeiten und Erfahrungen danke ich der Uni.

Uni News: „Ihre Sache, kein Zweifel, ist der Sturm“, schreibt die Frankenpost Hof am 20. 10. 2008 in einer Rezension. Wer Sie einmal in einem Poetry-Slam erlebt hat, weiß, dass das stimmt. Wie passt die stürmische Nora Gomringer in das doch eher gesetzte, gediegene Internationale Künstlerhaus Villa Concordia?

Nora Gomringer: Ein Sturm lebt durch den ständigen Kampf zweier Gegensätze miteinander: unbändiger Lärm und atemlose Stille, explosive Dynamik und fast schon besonnene Ruhe, berauschende Geschwindigkeit und berechnende Langsamkeit. Mein Vater hat mich als Frau von sensibler Vitalität geschildert, die auf Komplexität ausgerichtet ist. Ich denke, dass gerade diese Komplexität, die das Spiel mit Gegensätzen ermöglicht, eine Stärke ist, mit der ich dem Künstlerhaus dienen kann

Uni News: Künstlerin und Stipendiatin verschiedener Kultureinrichtungen einerseits und Direktorin eines Künstlerhauses andererseits – ein Widerspruch? Oder anders gefragt, steht Ihr Eigeninteresse als Künstlerin nicht dem Interesse einer Direktorin, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist, gegenüber?

Nora Gomringer: Es gibt Texte, die müssen geschrieben werden, deswegen schreibe ich sie. Künstlerisches Schaffen ist daher für mich kein lustvoller, sondern ein sehr anstrengender Prozess und mein Verhältnis dazu eine Art Hassliebe. Genau wie bei meiner Arbeit als Künstlerhausdirektorin ging und geht es mir als Künstlerin immer um die Sache, nie um Befindlichkeiten. Daher sehe ich zwischen diesen beiden Positionen keinen Widerspruch. Hinzu kommt, dass ich in den letzten Jahren kaum Veranstaltungen – von den Poetry Slams einmal abgesehen – in Bamberg gemacht habe. Diese Situation kommt mir jetzt entgegen. Trotzdem ist mein neues Leben natürlich ein Balanceakt, den man sehr bewusst austarieren muss.

Uni News: Dr. Bernd Goldmann, Honorarprofessor an der Universität Bamberg, hat das Künstlerhaus seit seiner Gründung im Jahr 1997 geleitet. Als langjähriger Referent bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur und im Kultusministerium von Rheinland-Pfalz für den Bereich Museen, Literatur- und Kunstförderung hat er den Kunst- und Kulturbetrieb von einer ganz anderen Seite kennengelernt als die Künstlerin und Kulturschaffende Nora Gomringer. Was bedeutet dies für die künftige Ausrichtung des Künstlerhauses?

Nora Gomringer: Ich verstehe meine Arbeit als Auftrag, den ich gemeinsam mit den Stipendiaten und dem Stab des Hauses durchführe. Wir müssen klären, wo das IKVC steht und wie wir das Haus neu und sicherlich auch anders ins Gespräch bringen. Dabei verstehe ich Künstler als autarke Wesen, deren Schaffen wir anregen und vernetzen, aber nicht kontrollieren sollten. Mein Ziel ist es, mit kleinen Maßnahmen große Effekte zu schaffen, zum Beispiel, indem ich die Künstler mit „Bamberger Pendants“ zusammenbringe, Begegnungen stifte, Vernetzung ermögliche

Uni News: In verschiedenen Interviews haben Sie immer wieder betont, dass Sie als Künstlerhausdirektorin u.a. die Beziehungen zur Universität Bamberg intensivieren möchten. Haben Sie schon konkrete Vorstellungen?

Nora Gomringer: Bisher hat sich die Zusammenarbeit zwischen der Uni und dem Künstlerhaus vor allem auf Kooperationen mit Lehrstühlen oder einzelnen Fächern konzentriert und in gemeinsamen Veranstaltungen manifestiert. Diese Form der Zusammenarbeit wird es auch weiterhin geben. Ich möchte sie aber gerne um gemeinsame Begegnungen, auch ohne Öffentlichkeit, erweitern und plane zum Beispiel einen Salon, der sich „Villanthropen“ nennt. Er soll zum Treffpunkt für junge Forscher, also Wissenschaftler, aber auch Schüler und Studierende, und Stipendiaten werden. Außerdem wird es einen regelmäßig stattfindenden „Begegnungs-Brunch“ geben, zu dem ich Stipendiaten und Dozenten einladen möchte.

Uni News: „Mittlerweile wird Frau Gomringer von ganzen Menschenmassen verfolgt. Deswegen hält sie sich nie lange an einem Ort auf, und vollzieht eine unkontrollierte Bewegung über den Erdball, um ihre Kunst zu verbreiten. Eine Aussicht auf Änderung ihrer Absichten besteht nicht. Diese Frau lässt sich nicht verbiegen. ‚Lass mich sein / Lass mich sein, was / Meine Maserung vorgibt.‘ Allerdings neigt sie zur Gefahr der Selbstauflösung. In der Suche nach Identität und nach Wurzeln.“ (Rezension von Walter Fabian Schmid, Alumni der Uni Bamberg zu Gomringers Lyriksammlung „Klimaforschung“ auf www.poetenladen.de, 20.1.2009). Erkennen Sie diese Gefahr der Selbstauflösung auch?

Nora Gomringer: Selbstauflösung gibt es tatsächlich. Ich sehe keinen Sinn darin, etwas zu tun, in dem ich mich nicht bis zur Selbstauflösung hingeben könnte. Außerdem ist sie ein Teil des künstlerischen Schaffensprozesses. Sobald ein Autor einen Text geschrieben hat, verschwindet er hinter ihm, der Text gehört ihm nicht mehr. Literatur produzieren heißt, sich selbst zu verkaufen, sich ständig zu trennen. Einen Gegenpol zu dieser Entwicklung finde ich in meinem Glauben an Gott, der sehr stark und ungebrochen ist, eine Glaubenskrise hatte ich nie. Er hilft mir bei der Selbstfindung

Uni News:Man könnte also sagen, dass Sie das Geistliche vor der Auflösung im Irdischen bewahrt?

Nora Gomringer: Ja

Uni News: Haben Sie das Gefühl, dass Ihnen auch Ihre neue Stelle als Künstlerhausdirektorin bei der Selbstfindung helfen kann?

Nora Gomringer: Sie wird mich sicherlich beeinflussen, aber nicht in dieser Hinsicht.

Uni News: Sondern?

Nora Gomringer:Die Stelle deformiert das Ich. Ich trage viel Verantwortung, der ich nur gerecht werden kann, wenn ich sie bewusst trage. Die Tatsache, dass ich sie bewusst trage, heißt wiederum, dass ich mein Leben bewusst führe. Die Stelle wird außerdem eine Seite meiner Persönlichkeit, die immer schon da war, besonders bedienen

Uni News: Was heißt das?

Nora Gomringer: Damit meine ich sowohl meine organisatorischen Fähigkeiten wie zum Beispiel meinen Hang zur Vernetzung, aber auch meinen analytischen Charakter. Sie wird mein Stilurteil schärfen, mich Kausalitäten stärker erkennen lassen und mich dazu zwingen, Stringenz zu zeigen. Im Gegenzug werde ich mich von anderen Teilen meines Ichs verabschieden müssen. Von der Nomadin, die von Stipendienaufenthalt zu Stipendienaufenthalt zieht, oder von der Ich-Konzentrierten.

Uni News: Welche Erfahrungen und Erkenntnisse hoffen Sie in den kommenden fünf Jahren als Künstlerhausdirektorin, aber auch als Mensch und Künstlerin machen zu können?

Nora Gomringer: Als Direktorin hoffe ich darauf, eine emotionale Landkarte entwerfen zu können, auf der Menschen erscheinen. Ich hoffe also auf spannende Begegnungen und gute Künstler, deren Arbeitsprozess man verfolgen kann. Als Mensch wünsche ich mir, neue Qualitäten an mir zu entdecken. Ich möchte zum Beispiel gerne herausfinden, ob meine Menschenkenntnis hält und man sich nicht doch vertrauen kann. Als Künstlerin interessiert mich, ob ich während meiner Zeit als Direktorin und auch danach noch wie ein Dichter denken, mit mir in einen erneuten Verhandlungsprozess darüber treten kann, ob es wieder einen Text gibt, der geschrieben werden muss.