- Anja Halbauer

Eichelsuppe und Kippensammeln

Handlungsorientierter Unterricht: Grundschüler erforschen Leben der Nachkriegskinder

Wie lebten die Großeltern nach dem Krieg, als sie Kinder waren? Eine Aktion des Bayerischen Rundfunks schickt Grundschüler auf Spurensuche. Der Bamberger Pädagoge Hanns Steinhorst hat dazu Unterrichtsmaterialien vorbereitet.

Am 8. Mai jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges zum 60. Mal. Kriegs- und Nachkriegszeit sind längst fester Bestandteil des Geschichtsunterrichts an deutschen Schulen. Viel zu selten allerdings geht es dabei um das alltägliche Leben in dieser Zeit. Wie waren beispielsweise die Lebensumstände von Kindern nach dem Krieg? Eine Aktion des Bayerischen Rundfunks, in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit und dem Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen, widmet sich jetzt diesem Thema. Dabei werden Schüler der 3. und 4. Grundschulklasse auf Spurensuche geschickt. Als kleine Detektive sollen sie sich auf die Suche nach Fotos, Gegenständen und Geschichten begeben.

Mitarbeit auch Selbsttherapie

Beteiligt an dem Projekt "Von Zigarettentausch und Kohlenklau" ist auch Dipl.-Päd. Hanns Steinhorst, Akademischer Direktor und Mitarbeiter am Bamberger Lehrstuhl für Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik. Er selbst war Ende des Krieges vier Jahre alt: "Bis wir in die Grundschule kamen, haben wir viel erlebt", erinnert sich Steinhorst, "aber erst jetzt sind die Kinder von damals soweit, über ihre Traumatisierungen nachzudenken." Die Mithilfe an der Umsetzung dieser Idee dient dem Diplom-Pädagogen auch als eine Art Selbsttherapie: "Indem man all diese Dinge ausspricht, wird man sich eher bewusst, was passiert ist - man setzt sich damit auseinander, was es beispielsweise bedeutet hat, von der Mutter getrennt zu sein." Somit erklärt Steinhorst sein Engagement auch aus der Pflicht heraus, jüngere Generationen an seinen Erfahrungen teilhaben zu lassen: "Erlebte Erinnerungen können authentisch und inzwischen auch reflektiert Zeugnis ablegen, und als Lehrer sehe ich mich sogar in der Verpflichtung, die Fackel weiterzutragen, indem ich weitergebe, was ich erlebt habe."

Um den Lehrkräften der 42 beteiligten Schulen in Bayern Anregungen für den Unterricht zu geben, hat Steinhorst einiges an Vorarbeit geleistet. Unter der Internet-Adresse www.br-online.de/nachkriegskinder finden sich nicht nur themenbezogene Texte, sondern auch allerhand Beispiele für einen praxisbezogenen Unterricht und Arbeitsmaterialien wie zum Beispiel Lebensmittelkarten, Rezepte (zum Beispiel für eine "Eichelsuppe") oder Anleitungen für Spiele aus der damaligen Zeit. Viele der Materialien stammen aus dem Vorgängerprojekt "Haferschleim und Bombennächte - Als Oma und Opa in die Grundschule gingen", das der Pädagoge mit Studierenden der Bamberger Universität durchführte. Schon damals sollten Grundschulkinder Eindrücke von der Kindheit in der Nachkriegszeit gewinnen und sich intensiv mit der Vergangenheit beschäftigen. Dazu dienten Familienstammbäume ebenso wie Fotos, Erzählungen, Filme, Lieder, Gebrauchsgegenstände oder Kochrezepte.

"Wir sind damals ausgegangen von der Familiengeschichte und haben Großeltern eingeladen, um diese Zeit ganz lebendig zu machen", erklärt Steinhorst. Ebenfalls aus dieser Aktion stammt die Idee der praktischen Sinneserfahrungen an verschiedenen "Bars". In der "Sehbar" werden beispielsweise Fotos aus Familienalben von damals und von heute betrachtet. Die Kinder können so feststellen, welche Veränderungen es im Aussehen und in der Kleidung zwischen den Nachkriegskindern und ihnen selbst gibt. Die "Tastbar" dient dazu, typische Gegenstände aus der Zeit nach dem Krieg, wie zum Beispiel Milchkannen oder Schiefertafeln, mit den heutigen Pendants zu vergleichen. Auch in der "Schmeckbar" sollen Unterschiede zwischen heute und früher herausgestellt werden. Typische Gerichte und Lebensmittel aus der Nachkriegszeit können probiert werden, wodurch die Kinder deren Geschmack und Aussehen bewusst wahrnehmen sollen. Verwirklicht werden kann zudem eine "Hörbar", in welcher Lieder aus der Nachkriegszeit gespielt werden.

Spielen mit nichts

Weitere Tipps und Anregungen gab Steinhorst interessierten Lehrkräften bei einer Fortbildung. Auch mögliche Themenbereiche für die Unterrichtsgestaltung kamen dabei zur Sprache. "Leben mit dem Mangel (Wohnungsnot, Ernährung, Bekleidung)", "Flüchtlinge" , "Kinder ohne Heimat, Kinder ohne Eltern und Waisen", "Spielen mit nichts", "Begegnung mit dem Fremden", "Kinderarbeit, Mundraub, Kohlenklau, Kippensammeln und Kinder als Schwarzhändler", "Lernen ohne Bücher und Lehrer - Schule in der Nachkriegszeit" sowie "Aufwachsen mit den Wunden des Krieges - zerstörte Umwelt und kriegsbeschädigte Menschen" waren die Themenvorschläge, die der Pädagoge für die Bearbeitung im Unterricht erläuterte. Ziel sei es, dass die Kinder lernen zu verstehen, wie die ältere Generation gelebt habe und woher deren Maßstäbe und Einstellungen kämen. Gleichzeitig sei dies aber auch eine gute Gelegenheit, Kinder und Zeitzeugen zusammenzubringen, so Steinhorst.

Die Ergebnisse des Projekts werden auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Rund zehn Sendungen wird der Kinderfunk des BR ab dem 12. März zu dem Thema ausstrahlen, zudem werden die erarbeiteten Resultate in einem Buch zusammengefasst erscheinen.