Hegelforum 2022: Mein Hoffmann...

Vom literarischen Werk E.T.A. Hoffmanns gehen auch nach mehr als 200 Jahren zahlreiche produktive Impulse aus. Autorinnen und Autoren, Philosophinnen und Philosophen lesen aus den Texten Hoffmanns und sprechen darüber, warum Hoffmann sie fasziniert, warum er für sie bedeutsam ist und sie immer wieder in seinen Bann schlägt. Zu den Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die Hoffmanns Erzählungen und Einfälle in unsere Gegenwart holen, gehören Emma Braslavsky, Ingo Schulze, Michael Köhlmeier und viele andere.

Anlässlich des Hoffmann-Jahres 2022 haben wir einige von ihnen eingeladen, unter dem Titel „Mein Hoffmann“ über ihr Verhältnis zu dem Romantiker zu sprechen: Was interessiert Sie an diesem Vielseitigkeitskünstler besonders? Sind es die sprechenden Tiere wie Kater Murr, Meister Floh oder der Hund Berganza? Sind es verstörende Automaten wie die Puppe Olimpia? Oder der Sinn für Musik, der künstlerischen Exzentrik, die Spielarten des Wahnsinns? Auch Philosophen und Philosophinnen werden und wurden von Hoffmann angeregt, sich und ihre Zeit neu zu sehen, so werden in der Reihe auch Philosophen im Anschluss an Hoffmann philosophieren oder darüber sprechen, wie er andere Philosophen angeregt hat (etwa Wittgenstein). Gerade Hoffmann als Genie jenseits der Disziplinen lädt zu einer disziplinübersteigenden Annäherung an.


Vorträge und Lesungen

19. Mai 2022, 20.00 Uhr
An der Universität 2, 96047 Bamberg, Raum U2/0025

Emma Braslavsky: Lesung aus Ich bin dein Mensch und Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten

An diesem Abend spricht Emma Braslavsky. Emma Braslavsky, Jg. 1971, ist Romanautorin, Essayistin, Kuratorin. 2019 erschienen ihr vierter Roman Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten (Suhrkamp Berlin, 2019) und die Kurzgeschichte Ich bin dein Mensch, die von der Beziehung zwischen einer jungen Frau und einem humanoiden Roboter erzählt. Die Geschichte bildet die literarische Vorlage für den gleichnamigen Film von Maria Schrader (2021).

10. November 2022

Prof. Dr. Helmut Pape, Philosophie der Universität Bamberg

Hoffmanns Fantasie der Wahrnehmungen

E.T.A. Hoffmann ist berühmt, ja berüchtigt für seine ausschweifenden, überbordenden Phantasien: Zauberer und Magier, die ihre Gestalt wechseln könnnen; sprechende und
zaubernde Salamander, grüne Schlangen. Alles nur beliebig wild überschießende Fantasien? Romantischer Überschwang, der sich von jeder normalen, alltäglichen Wahrnehmung und
ihrem nüchternen Verstehen entfernt hat? Doch kann man tatsächlich wilde, beliebig schweifende Fantasie und wahrheitsorientiertes Denken und Erkenntnis strikt trennen? Ist das eine ohne Bezug auf das andere möglich?

Wer sich auch nur ein wenig mit der menschlichen Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit beschäftigt, wird schon bald feststellen, dass auf jeder Ebene der Wahrnehmung und des Empfindens die einfach und klar im Alltag gemachten Erfahrungen eingebunden und durchdrungen sind von einer kaum eingrenzbaren Zahl von Unschärfen, Täuschungen, Überlagerungen und Deutungen, die vor allem dann wirksam werden, wenn der Zusammenhang alltäglicher Abläufe und Praktiken einmal unterbrochen, wenn
Überzeugungen sich als falsch erweisen, weil wir überraschenderweise nicht ihnen entsprechend handeln können.

Doch ist nicht deshalb der sich entwickelnde Prozess rationalen, logischen Denken auf Fantasie angewiesen? Ermöglicht nicht erst die Fantasie, indem sie Wahrnehmungen öffnet,
ein Verstehen, das wir mit dem Scheitern an der Erfahrung, mit der Endlichkeit unserer Erfahrung, mit Irrtum, Täuschung, Missverstehen gestaltend und lernend umgehen können?
Es soll gezeigt werden, dass Hoffmanns Fantasie der Wahrnehmungen zu einem Verstehen des entdeckenden, lernenden Erkennens und einer Logik der Entdeckung führt, die
Sinnlichkeit und Verstand auf ungewohnte Weise verbindet.