Kurdisch auf einem Wahlplakat in Hakkari, Türkei.
Diana Forker (re.) dokumentiert die Sprache Sanzhi (Fotos: Forker).
Impression aus Dagestan, Dorf Druzhba.
Sprachenteppich und Geopolitik
Karl Mays Helden zogen einst durchs „wilde Kurdistan“ und deutsche Fernsehreporter berichteten im letzten Jahr vom „wilden Dagestan“. Beide Regionen wiesen und weisen eine beachtliche Sprachenvielfalt auf, die durch politische Einflüsse entscheidend verändert wird.
Vor rund 100 Jahren war das Gebiet Ostanatoliens von einem bunten Kultur-, Religions- und Sprachenteppich bedeckt: unter anderen lebten Türken, Armenier, Aramäer und Kurden dort über 1000 Jahre lang zusammen. Anfang des letzten Jahrhunderts musste diese kulturelle Vielfalt einer nationalistisch geprägten Vereinheitlichungspolitik weichen, zu deren Folgen vor allem ein dramatischer Rückgang der Sprachenvielfalt in dieser Region zählt. Einige Sprachen sind bereits fast gänzlich verschwunden. Das Kurdische konnte sich auf Grund der Größe der Sprachgemeinschaft halten, seine Existenz aber wurde im offiziellen Diskurs jahrzehntelang geleugnet und sein Gebrauch unterdrückt.
„Als ich in der Türkei in den 80er Jahren mit dem Studium des Türkischen begann, war mir ebenfalls nicht bewusst, dass es Millionen Menschen in der Türkei gibt, die eine andere Muttersprache als das Türkische sprechen. Darüber wurde nicht gesprochen, selbst nicht unter dort tätigen Sprachwissenschaftlern", erklärt Prof. Dr. Geoffrey Haig, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Sprachwissenschaft in Bamberg. Erst in den 1990er Jahren wurde Haig durch die Bekanntschaft mit einem kurdischstämmigen Studenten allmählich auf die „anderen Sprachen“ der Türkei neugierig. Seitdem beschäftigt er sich vor allem mit dem Kurdischen, das zu den westiranischen Sprachen zählt und wie das Deutsche zur indoeuropäischen Sprachfamilie gehört. Rund 20 Millionen Menschen in der Türkei, in Syrien, in dem Iran und dem Irak sprechen eine kurdische Sprache, entweder Nord-, Zentral- oder Südkurdisch. Rund 700 000 Sprecher leben in Deutschland.
Neutrale Erforschung des Kurdischen
Sein Forschungsgegenstand stellt Haig vor Herausforderungen. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Kurdischen ist aufgrund historischer und politischer Gegebenheiten emotional aufgeladen. Gerade deshalb ist es Haig besonders wichtig, sich möglichst objektiv dem Untersuchungsgegenstand zu nähern und sich von keiner der politischen und gesellschaftlichen Strömungen vereinnahmen zu lassen. Denn gerade in den letzten 10 Jahren ist die kurdische Sprache vor allem in der Türkei zu einem Politikum geworden – umso leichter können wissenschaftliche Meinungen aus dem Kontext gerissen und instrumentalisiert werden. Als typisches Beispiel ist die Frage nach der Herkunft des Kurdischen zu nennen. Kurdische Intellektuelle und Politiker berufen sich auf eine einheitliche Herkunftstheorie und sehen in dem antiken Volk der Meder die Vorfahren der heutigen Kurden, Vertreter des türkischen Staates hingegen betonen die ungewisse Herkunft und die angeblich fehlende Einheit der kurdischen Volksgruppe. Wie Haig erläutert, gibt es natürlich keine einfache Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Kurdischen. Hier tut eine differenzierte wissenschaftliche Sichtweise not, die aber leider oft schwer vermittelbar ist und von beiden Seiten kaum zur Kenntnis genommen wird. Allmählich jedoch etabliere sich eine wissenschaftlich fundierte Kurdologie, die jenseits der ideologischen Auseinandersetzungen arbeitet und sich international positioniert, gibt sich Haig optimistisch.
Sprache im Wandel
Wissenschaftlich misst Haig der Herkunftsfrage ohnehin weniger Bedeutung bei: „Mich interessieren andere und verhältnismäßig weniger erforschte Fragestellungen wie vor allem der Sprachkontakt zu anderen Sprachen, der damit verbundene Sprachwandel sowie Fragen nach den Auswirkungen des soziokulturellen Kontextes auf die Sprache“, erklärt er. So bemerke er beispielsweise, dass sich gegenwärtig zwei entgegengesetzte Tendenzen beobachten lassen: Zum einen hat die repressive staatliche Sprachpolitik zur Folge, dass immer weniger Kurden ihre Sprache vollständig auf natürliche Weise im Kindesalter erwerben und die Alltagssprache der heute unter Dreißigjährigen massive „Vereinfachungen“ aufweist. Zum anderen aber hat das neu erwachte Selbstbewusstsein und die Politisierung der Kurden dazu geführt, dass eine neue kurdische Schriftsprache auf Internetplattformen und über Satellitenfernsehen etabliert und propagiert wird, die alle Teile der kurdischsprachigen Bevölkerung erreicht. In diesem Spannungsfeld zwischen der Vereinfachung einerseits und dem forcierten Ausbau einer standardisierten Form des Kurdischen andererseits ergeben sich interessante Fragen zur Dynamik von Sprachwandel.
Verständnis der Region
Im Grunde geht es Haig jedoch weniger um das Kurdische an sich, sondern um die Region Ostanatolien, Nordirak und Westiran. Das Kurdische ist nun zufälligerweise die Sprache, die in verschiedenen Varietäten in dieser gesamten Region verbreitet ist. Die Beschäftigung mit den Einflüssen auf das Kurdische schafft einen Zugang zu den historischen Prozessen, die den bunten ostanatolischen Sprachenteppich haben „ausbleichen“ lassen. Hierfür sind Vergleiche mit anderen dort gesprochenen Sprachen wie dem Neo-Aramäischen, dem Türkischen oder dem Armenischen notwendig. Das Ergebnis ist aber nicht nur regionalwissenschaftlich von Relevanz, sondern auch in Hinblick auf allgemeinere Fragestellungen zu Möglichkeiten und Grenzen des Sprachkontaktes. Ostanatolien ist für Haig ein Labor, in dem sich die Dynamik von Sprachkontakt, Sprachpolitik und Sprachwandel beobachten lässt.
Im Kaukasus unterwegs
Ein anderer, nicht minder politisch brisanter Sprachen- und Kulturteppich liegt im Kaukasus. Das gebirgige Gebiet ist für seine Völkervielfalt, aber auch für seine ethnischen Konflikte und Spannungen bekannt. Eine kaukasische Region ist die Republik Dagestan. Politisch gesehen gehört Dagestan zu Russland, kulturell und sprachlich geht es eigene Wege. Traditionen verschiedenster Bergvölker mit unzähligen Sprachen, ihren Varietäten und Dialekten tummeln sich dort auf engstem Raum.
Dr. Diana Forker, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Allgemeine Sprachwissenschaft, beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit den Sprachen Dagestans. Einige der Sprachen gehören zur sogenannten nach-dagestanischen oder auch nordostkaukasische Sprachfamilie mit unzähligen Untergruppen. Diese zählt gemeinsam mit dem West- und Südkaukasischen zu den drei Sprachfamilien, die es nur im Kaukasus und sonst nirgendwo auf der Welt zu finden gibt. Wie viele Sprachen letztlich auf dem Territorium Dagestans vorhanden sind, ist schwer festzustellen. Die Einordnung „Sprache, Varietät oder Dialekt“ ist eine politische, die sich mit westeuropäischen Standards nicht messen lässt und von der Sichtweise und den Vorlieben der jeweiligen Forscher abhängt. Im Rahmen des Projektes „Dokumentation bedrohter Sprachen“, welches von der Volkswagen-Stiftung gefördert wird, untersucht Forker seit 2012 die Sprache Sanzhi (sprich: Sanschi). Diese wird von rund 200 bis 300 Menschen im Dorf Sanzhi gesprochen und ist eine Varietät der Standardsprache Dargi, die zu den nach-dagestanischen Sprachen zählt. Bisher ist Sanzhi noch nicht von offizieller Stelle verschriftlicht worden. Mit dem Ziel, möglichst viele Texte für eine ausführliche Sprachdokumentation zu sammeln und so die Sprache für die Nachwelt zu konservieren, sprach Forker vor Ort mit den Menschen und nahm Märchen und Geschichten auf.
Verschwinden der Sprache unvermeidbar
Zunehmende Tendenzen der Islamisierung und die stärkere Einflussnahme von Seiten der russischen Politik prägen die geopolitisch wichtig gelegene Republik am Kaspischen Meer, erklärt Forker. Die wirtschaftliche Lage ist in Dagestan nicht gerade rosig und die jungen Leute suchen lieber im fernen Moskau ihr Glück als Bauarbeiter oder Marktverkäufer. Es fehlt somit der Nachwuchs, der die kleinen kaukasischen Sprachen weiterpflegen und erhalten könnte. Zudem ist in den Schulen, Medien und an offiziellen Stellen das Russische omnipräsent. Das langsame „Ausbleichen“ der bunten kaukasischen Sprachenvielfalt ist damit auch hier im vollen Gange, auch wenn dies nicht staatlich verordnet wie im Vergleich zum Kurdischen in der Türkei geschieht. „Den Auslöschungsprozess der Sprache Sanzhi kann die Forschung nicht verhindern“, gibt Forker zu. Umso wichtiger sei ihre Arbeit, eine ausführliche Sprachdokumentation zu erstellen: eine Grammatik von Sanzhi auf Englisch und Russisch. Damit für Nachwelt und Forschung ein Stückchen dagestanischen Sprachenteppichs erhalten bleibt….
Ansprechpartner für Rückfragen:
Prof. Dr. Geoffrey Haig
E-Mail: geoffrey.haig.@uni-bamberg.de
Tel.: 0951-863-2491
Dr. Diana Forker
E-Mail: diana.forker@uni-bamberg.de
Hinweis
Diesen Text verfasste Freyja Ebner für die Pressestelle der Universität Bamberg. Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.
Bei Fragen oder Bilderwünschen kontaktieren Sie die Pressestelle bitte unter der Mailadresse medien(at)uni-bamberg.de oder Tel: 0951-863 1023.