Die Internationale Woche bewies, dass es in Russland mehr als Wodka und Kälte gibt (Fotos: Philipp Demling)

Gefördert wurden die Russlandtage vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und der HRK, deren Vertreter dem Vizepräsidenten die Förderurkunde übergaben

Um Russland nach den Wahlen drehte sich die Podiumsdiskussion ...

... aber auch Musik und Kultur kamen nicht zu kurz

- Philipp Demling

Viel mehr als Kälte und Wodka

Russlandtage zeigten ein vielfältiges Land

„Russland ist Vielfalt“, lautete das Resümee von Alexandra Miroschewskajas Vortrag. Die Studentin aus Sankt Petersburg, die seit drei Jahren in Bamberg lebt und studiert, hatte die Aufgabe, im Rahmen einer Kurzpräsentation während der Russlandtage vom 2. bis 4. Juli ihr Heimatland vorzustellen. Dabei räumte sie vor allem mit alten Klischees auf. Umfragen hätten ergeben, dass das liebste Alkoholgetränk der Russen nicht Wodka, sondern Bier sei, erklärte sie.

Und ist es in Russland wirklich immer und überall kalt? Überhaupt nicht: In manchen Gegenden ist es nicht einmal im Winter richtig kalt. Sotschi am Schwarzen Meer etwa, Gastgeber der Olympischen Winterspiele 2014, hat 300 Sonnentage im Jahr. Die durchschnittliche Wintertemperatur liegt bei ungefähr plus zehn Grad. „Eine Freundin von mir aus Südrussland friert sogar bei plus 30 Grad “, erzählte Alexandra. Genau solche Fakten zeigen Russlands Vielfalt. Denn auf der anderen Seite sinken in manchen Gebieten im sibirischen Hinterland die winterlichen Temperaturen auf unter minus 50 Grad. Fast alle Klimazonen sind in dem Land vertreten, das 48-mal so groß wie Deutschland ist.

Auch in ethnisch-kultureller Hinsicht ist Russland ungeheuer vielseitig: 80 Prozent der Bevölkerung sind ethnische Russen, den Rest bilden weit über 100 unterschiedliche Volksgruppen – von muslimischen Tataren bis zu buddhistischen Burjaten, außerdem mehrere Nomadenvölker in Nordsibirien.

Öffentliche Förderung

Seit über 30 Jahren beschäftigt sich die Bamberger Slavistik mit diesem vielseitigen Land zwischen Ostsee und Japanischem Meer, das zu den wichtigsten Wirtschaftspartnern Deutschlands gehört und dessen Bevölkerung ein gewaltiges Interesse an der deutschen Sprache und Kultur zeigt. Für die Russlandtage, die im Rahmen der Internationalen Woche stattfanden, bekam die Universität eine Förderung von Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und Bundesministerium für Bildung und Forschung. Vladislava Karmanova von der HRK übergab während der Eröffnung der Russlandtage die Förderurkunde an Prof. Dr. Sebastian Kempgen, Vizepräsident Lehre und Inhaber des Lehrstuhls für Slavische Sprachwissenschaft. Bamberg unterhalte gegenwärtig Beziehungen zu fünf russischen Hochschulen, erklärte der Prof. Kempgen. Neben dem wissenschaftlichen Austausch finde die Zusammenarbeit auch auf der Ebene des Studierendenaustauschs und einer Partnerschaft mit der von Peter dem Großen gegründeten „Kunstkammer“ in St. Petersburg statt.

„Latenter Unmut in der Bevölkerung“

Auch die Frage nach der russischen Innenpolitik ist in Deutschland hochaktuell. Vor vier Monaten haben die Bürger Russlands einen neuen Präsidenten gewählt. Wieder ist es Wladimir Putin, der seit zwölf Jahren als „starker Mann“ im Staat gilt. Drei Wissenschaftler mit Russland-Schwerpunkt diskutierten am 3. Juli die Frage, wie es in „Russland nach den Wahlen“ aussieht. Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von Prof. Dr. Malte Rolf, dem kürzlich bestallten Professor für Geschichte Mittel- und Osteuropas mit einem Schwerpunkt in der Zeitgeschichte an der Universität Bamberg.

Dr. Jan C. Behrens vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam war oft in Russland und verbrachte als Student ein Auslandsjahr in Moskau. Er halte die Wahlen eher für „Akklamationsveranstaltungen“, bekannte er während der Podiumsdiskussion. „Aber seit Putin und Medwedjew ihren Machttausch bekanntgaben, ist der latente Unmut der Bevölkerung sichtbar geworden.“ Dr. Johannes Grotzky, Slavist, Hörfunkdirektor beim Bayerischen Rundfunk und langjähriger Moskau-Korrespondent, erklärte, warum es in Russland keine Zivilgesellschaft nach westlichem Muster gebe: „Das Gemeinwesen hat ein anderes Zentrum als bei uns, nämlich die Staatsmacht.“ Das Parteiensystem sei nicht mit unserem vergleichbar, doch dafür gebe es inzwischen andere Gegenbewegungen, vor allem im Internet. „Im Gegensatz zu China gibt es in Russland keine Internet-Zensur“, machte Grotzky aber auch Unterschiede deutlich. Prof. Dr. Reinhard Zintl, emeritierter Professor für Politische Theorie in Bamberg, war vier Monate lang Gastprofessor in Russlands südlichem Nachbarland Georgien und kennt Russland von mehreren Reisen. Zintl hatte sich das Parteiensystem Russlands und die letzten Wahlergebnisse genauer angesehen: „Die Parteien definieren sich nicht über Ideologien, sondern nur über ihr Verhältnis zur Putin-Administration.“

Die Zukunft Russlands sahen die drei Diskutanten unterschiedlich. „Russland muss unbedingt eine verarbeitende Industrie entwickeln“, meinte etwa Johannes Grotzky. „Das Land ist viel zu abhängig vom Rohstoffexport. Und das größte Problem im Land ist die Korruption. Sie bremst die Entwicklung eines Rechtsstaats.“ Jan Behrens und Reinhard Zintl glaubten nicht an einen baldigen Machtwechsel. „Ein Putsch gegen Putin aus den eigenen Reihen ist wahrscheinlicher“, so Behrens. Allerdings gebe es hoffnungsvolle Ansätze: „Die lange Phase der Entpolitisierung in Russland ist zumindest in Moskau vorbei.“ Reinhard Zintl sagte über die Opposition: „Sie ist amorph, ungeordnet. Und wenn eine Regierung gestürzt wird, kommen meistens die an die Macht, die schon vorher gut organisiert waren.“ Einig waren sich die drei Experten, dass Russland seinen eigenen Weg gehen müsse, der vermutlich ganz anders aussehen werde als der westlicher Länder.

Jede Menge Kultur

Neben harter Politik präsentierten die Bamberger Russlandtage auch jede Menge Kultur, und zwar in allen Ausprägungen. Die Gruppe Kosmiti begeisterte mit inbrünstig vorgetragenen osteuropäischen Volksliedern das Publikum. Mehrere russische Professoren und Professorinnen waren zu Gast und hielten Vorträge, etwa über Ikonen als Teil der Kulturgeschichte Russlands oder über das Deutschlandbild in Russland im Spiegel klassischer literarischer Werke.

An beiden Russlandtagen zeigten Gaststudierende aus Russlands Nachbarstaaten Präsentationen zu ihren Heimatländern. Auch Bamberger Studierende, die bereits in Russland waren, erzählten über ihre Erfahrungen; Studierende, die erst noch nach Russland wollen, über ihre Erwartungen. Russische Kurzfilme wurden gezeigt, der Arbeitskreis Slavistik bot typische Speisen und Getränke an.

Die Russlandtage und die Internationale Woche

Die Russlandtage in Bamberg waren die letzte Veranstaltung im Rahmen des Deutsch-Russischen Jahres der Bildung, Wissenschaft und Innovation, einer gemeinsamen Initiative von deutschem und russischem Bildungsministerium. In Workshops, Symposien und Fachkonferenzen wollten beide Länder unter dem Motto „Partnerschaft der Ideen“ ihre Zusammenarbeit in Bildung und Forschung noch verstärken. Weitere Informationen zu dieser Initiative finden Sie auf den Seiten der HRK.

Die Russlandtage waren der Höhepunkt der Internationalen Woche 2012. In dieser Woche zeigte die Universität Bamberg ihr multinationales und interkulturelles Gesicht: mit fachspezifischen Lehrveranstaltungen, Informationsveranstaltungen des Akademischen Auslandsamtes, Seminaren des Fortbildungszentrums Hochschullehre, Sprachschnupperkursen, Theaterstücken und Lesungen.