Tendenz zur Wirklichkeit
Selbst profitorientierte Unterhaltungsmedien haben es für sich entdeckt: das Epos um den mutigen Siegfried und den Ring des Nibelungen. Seit seiner Entstehungszeit im Mittelalter beeindruckt der Nibelungenmythos Generationen. Einer, der die Nibelungen in seiner Bearbeitung soweit perfektioniert hat, dass sie noch heute weltberühmt ist, ist der Komponist Richard Wagner. Die Otto-Friedrich-Universität Bamberg widmet ihm und seinem „Ring“ eine ganze Ringvorlesung.
Richard Wagner, geboren 1813, zählt heute zu den bedeutendsten Komponisten des 19. Jahrhunderts. Sein Gesamtkunstwerk „Der Ring des Nibelungen“ ist in der eigentlichen Bedeutung des Wortes ein Epos: für vier aufeinander folgende Opernabende konzipiert, erzählt es von Schicksal, wahrer Liebe und Verrat. Mit der Erstaufführung des wagnerschen Hauptwerks eröffneten die Bayreuther Richard-Wagner- Festspiele 1876.
Das neue Tempo der Zeit in der Musik
Die Faszination am „Ring des Nibelungen“ ist immer auch eine Faszination an der Person Wagners. Sein Leben fällt in eine Zeit großer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Umbrüche. Die Erfindung des ersten Benzinmotors oder die erste elektrische Untergrundbahn revolutionierten das damalige Leben. Zu seinen Zeitgenossen zählten Dichter wie Balzac, Hoffmann oder Dickens. Doch Wagner verarbeitete nicht nur einen alten Mythos neu, sondern transferierte ihn in seine Zeit. Er erfasste die Kraft und Rotation der Industrialisierung und reflektierte in seiner Musik das neue Tempo der Zeit, erklärte Prof. Dr. Norbert Abels, Chefdramaturg der Frankfurter Oper, im Rahmen der Auftaktveranstaltung zur Ringvorlesung am 24. Oktober.
Mit seinem Vortrag zum Mythos des wagnerschen Nibelungenepos eröffnete Abels die Ringvorlesung unter dem Titel: „Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen: historischer Kontext – neue Perspektiven“, die von Prof. Albert Gier, Professur für Romanische Literaturwissenschaft/Schwerpunkt Mediävistik, in Zusammenarbeit mit dem Richard-Wagner-Verband Bamberg e.V. und dem Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia veranstaltet wird. An elf Abenden referieren Vertreter aus Literatur und Musik über das Hauptwerk Richard Wagners. Möglich ist diese Veranstaltung auch dank der finanziellen Unterstützung der Oberfrankenstiftung, der Stadt Bamberg und der Sparkasse, die in der Filiale am Schönleinsplatz eine begleitende Ausstellung präsentiert.
Ablehnung oder Begeisterung
Norbert Abels stellte in seinem Vortrag vor allem die Aktualität von Wagners Nibelungenvariation heraus. Allerdings werde der „Wahrheitsgehalt eines Topos durch Gewöhnung an ihn unterschätzt“, so der Chefdramaturg, der auch Publizist und Literaturwissenschaftler ist. Die dem Nibelungenepos zugrunde liegende Tendenz zur Wirklichkeit werde daher nur wenig beachtet. Im „Ring“, wie das Werk unter Fachleuten genannt wird, lasse sich zum Beispiel die globalisierte Welt von heute erkennen, denn Wagner verstand es, Bezüge zwischen den noch so kleinsten Elementen herzustellen. Seiner Erfahrung nach wirke das Werk Wagners deswegen vollkommen unterschiedlich auf das jeweilige Publikum. Es polarisiere förmlich, löse entweder Ablehnung oder Begeisterung aus, dazwischen gäbe es nur wenig, behauptete der Dramaturg.
Komplexität der Wagnerschen Welt
Die Neuinszenierung des „Rings“ bei den diesjährigen Wagnerfestspielen versuche entscheidende Aspekte der Komposition detailgetreu darzustellen. Dabei dürfe man nicht von „Science-Fiction“ nach heutigem Verständnis ausgehen, mahnte Abels. Es gehe dabei um eine filigrane und minutiöse Ausstattung, welche die Komplexität der Wagnerschen Welt widerspiegele. Zum Abschluss seines Vortrags verwies Norbert Abels auf Tankred Dorst, der für die Bayreuther Neuinszenierung verantwortlich ist. Dorsts Weltsicht sei wie die eines Kindes und eröffne dadurch einen neuen Blickwinkel auf das wagnersche Hauptwerk. Gespannt sein darf man auf den Vortrag von Tankred Dorst am 29. November in der AULA der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.