Le Chat noir, Plakat von Théophile-Alexandre Steinlen für das Kabarett am Montmartre 1896, Van Gogh Museum Amsterdam (Quelle: MLWatts/wikimedia/gemeinfrei)

Dina De Rentiis hielt einen Vortrag über Boccaccio (l.) und Baudelaire (r.) (Quelle: AndreasPraefcke/ wikimedia/gemeinfrei und AIMare/wikimedia/gemeinfrei)

- Martin Habermeyer

Von Falken und Katzen

Ringvorlesung präsentiert „Animal Studies“

Ein Vortrag zu Boccaccios Falken im Decamerone (ca. 1350) und Baudelaires Katzengedichten der Fleurs du Mal (1857) bildete am 25. Oktober den Auftakt der Ringvorlesung über Das Tier in der Sprache, Literatur und Kultur: Unter der Federführung der Romanistik finden insgesamt elf Vorträge verschiedener geistes- und kulturwissenschaftlicher Fächer zum Motiv Tier statt. „Wir möchten zeigen, dass viele Kollegen einen Forschungsschwerpunkt auf diesen Bereich gelegt haben, und damit vielleicht den Weg frei machen für weitere Projekte zu diesem Thema“, erklärte Dr. Miorita Ulrich, Professorin für Romanische Sprachwissenschaft, die Zielsetzung der Veranstaltung. Gemeinsam mit Prof. Dr. Dina De Rentiis vom Lehrstuhl für Romanische Literaturwissenschaft organisiert sie die Ringvorlesung.

(Böse) Wolfsbilder, Bestiarien, Tiger

Die zwei Wissenschaftlerinnen tragen damit in eigener Weise zum umfangreichen Forschungsfeld der Animal Studies bei, das sich, vom englischsprachigen Raum ausgehend, auch immer mehr in Europa etabliert. „Indem man die Beziehungen zwischen Tier und Mensch betrachtet, ergeben sich andere Möglichkeiten, den Menschen und seine Kultur zu definieren“, so Ulrich zur möglichen Ursache für diesen Boom. Auch Wissenschaftler der Universitäten in Frankfurt am Main, Leipzig, Regensburg und Innsbruck folgten der Einladung und werden, zusammen mit Professoren der Otto-Friedrich-Universität, Vorträge aus der Anglistik, Romanistik, Slavistik, Arabistik, Nordistik und den Geschichtswissenschaften liefern. Vom mittelalterlichen Physiologus über die „Gorilla-Manie“ in viktorianischer Kinderliteratur bis hin zu apokalyptischen Tieren des russischen Symbolismus, Gender-Fragen und Tieren im Musiktheater reicht die Themenvielfalt.

„Ein Tier kann ein Symbol sein – muss aber nicht“

Dina De Rentiis gab mit dem Thema Bêtes non rares – Das Tier und die Alterität des Eigenen in der französischen und italienischen Literatur den Auftakt. Wie sehr sich die Bedeutung des Tiers in den romanischen Literaturen und Kulturen im Laufe der Jahrhunderte „zwischen zwei extremen Polen“ veränderte, belegte sie anschaulich anhand von zwei Texten aus unterschiedlichen Epochen. Bis in die Frühe Neuzeit hinein spielte das „Tier an sich“ keine Rolle im Denken der Gelehrten; selbstverständlich war vielmehr: Die Tiere sind von Gott dem Menschen unterstellt, sie existieren zu seinem materiellen und zu seinem spirituellen Nutzen, liefern Eier, Wolle, Fleisch und sind Figuren der metaphysischen Wahrheit.

Die berühmte Falkennovelle in Boccaccios Decamerone lese sich anders, wenn man sich dies bewusst macht, erklärte De Rentiis. Das Tier selbst – der Falke als Jagdtier – ist Teil der Geschichte, materiell und symbolisch nützlich – allerdings nur so lang der Mensch es entsprechend seiner Bestimmung nutzt. Brät sich der Mensch den Falken und serviert ihn seiner Liebsten zum Abendbrot, so verliert das Tier danach nicht nur seinen materiellen, sondern vor allem auch seinen symbolischen Nutzen, taugt weder zum Jagen noch als adliges Statussymbol. Dann können nur noch die liebende Frau und die Literatur den Adelsstatus des ehemaligen Falkenbesitzers wiederherstellen. „Die Falkennovelle zeigt, dass der symbolische Nutzen des Tiers vom Menschen zunichte gemacht werden kann, und dass der Mensch nicht nur die Fähigkeit hat, sondern auch die Verantwortung, richtig zu wählen und zu handeln, damit das ihm unterstellte Tier in der richtigen Weise symbolisch nützlich sein kann“, erzählte die Professorin im Vortrag.

Spiegelbild des lyrischen Ichs

Auch im 19. Jahrhundert haben die Tiere nicht, wie man herkömmlich annimmt, in erster Linie einen Symbolwert, zeigte die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin am Beispiel der Katze in den Gedichten von Charles Baudelaire. Im Gedicht Le Chat wird klar: Die Katze, die „in meinem Hirn wie in ihrem Zimmer“ auf- und abgeht, ist kein Symbol, „sondern verkörperte Alterität des Eigenen“, Spiegelbild der innewohnenden Alterität des Ichs. Der (imaginäre) Anblick des Tiers wird gleichermaßen zu einem Blick auf den Ich-Sprecher selbst, auf die Situation, sich selbst als „einen undurchdringlichen, unerklärlichen Anderen zu sehen“.

Weitere Vorträge

Die Vorträge der Ringvorlesung Das Tier in der Sprache, Literatur und Kultur finden bis 7. Februar 2012 jeweils am Dienstag, 20 Uhr s.t. in Raum U5/ 024 statt. Einmaliger Ausweichtermin ist Mittwoch, der 16. November (statt Dienstag derselben Woche), ebenfalls in Raum U5/024. Am 29. November entfällt die Veranstaltung wegen einer Antrittsvorlesung im Hause. Die Vorträge werden in der Reihe Bamberger Editionen erscheinen.