Sozialpädagogik und Soziale Arbeit? Jeder Vortrag grenzte die Begriffe unterschiedlich voneinander ab.

Einer der Vorteile der Ringvorlesung: Die Autorinnen und Autoren wichtiger Handbücher persönlich und hautnah erleben zu können!

Rita Braches-Chyrek (r.) mit der Gastreferentin Silvia Staub-Bernasconi

Was ist Soziale Arbeit?

Neues Ringvorlesungskonzept der Sozialpädagogik

Die Vorbereitung jedes guten Vortrags beginnt mit einer zentralen Frage: Welche Zielgruppe möchte ich ansprechen? An einer Universität könnten das Studierende sein, das wissenschaftliche Personal oder auch die breite Öffentlichkeit. An der Universität Bamberg laufen in jedem Semester Ringvorlesungen zu verschiedenen Fachbereichen wie Mittelalterstudien, Archäologie oder Orientalistik. In der Regel sind dies Vortragsreihen zu speziellen Themen, in denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre neuesten Forschungsergebnisse präsentieren. Häufig ist die anschließende Diskussion ein Gespräch unter Fachpublikum, Studierende  sind meist stumme Zuhörer. 

Prof. Dr. Rita Braches-Chyrek, die seit April 2012 vertretungsweise den Lehrstuhl für Sozialpädagogik leitet, ging im Wintersemester 2012/13 einen anderen Weg: Sie konzipierte eine Ringvorlesung speziell für Studierende. Dazu lud sie 11 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Universitäten nach Bamberg ein, um über das Thema Was ist Sozialpädagogik? Was ist Soziale Arbeit? – neuere disziplinäre Überlegungen zu sprechen. Die Idee dazu sei ihr gekommen, als sie gemeinsam mit Studierenden eine Tagung besucht und erkannt habe, wie sehr die Studierenden von den Diskussionen und unterschiedlichen Perspektiven profitierten. Dasselbe müsse doch auch im regulären Lehrbetrieb und für ein breites studentisches Publikum umsetzbar sein, dachte sie und startete einen Versuch. Er ist gelungen, denn knapp 70 Studierende aller Semester besuchen die aktuelle Ringvorlesung regelmäßig, darunter auch Masterstudierende, Diplomanden und einige Ehemalige sowie Studierende anderer Studienfächer.

Keine Definitionen in den Handbüchern

Der Titel der Vorlesung klingt simpel, aber das täuscht. Die Vorträge berühren Grundlagenfragen, die sowohl in der Theorie als auch in der sozialpädagogischen Forschung höchst unterschiedlich beantwortet werden. Auch wenn es dazu keine abschließenden Antworten geben kann noch soll, müsste eine Disziplin und Profession doch zumindest einen minimalen Konsens über ihren Gegenstand, ihr Bezugswissen und ihre Zuständigkeit für bestimmte Problemstellungen und deren Lösung haben. So habe Dieter Kreft sie angeschrieben, erzählte Braches-Chyrek, einer der Herausgeber des Wörterbuchs Soziale Arbeit. Er hoffe auf eine Publikation, weil diese Frage endlich geklärt werden müsse, was Soziale Arbeit und was Sozialpädagogik sei. „Das hält er für extrem wichtig, und es taucht in den Handbüchern nicht mehr auf.“ Jeder Referierende habe seine ganz eigene Antwort auf die Frage gegeben, Traditionslinien aufgezeigt und die Begriffe voneinander abgegrenzt, so Braches-Chyrek.

Die Referentin am 24. Januar, Prof. Dr. Silvia Staub-Bernasconi (ehemals Institut für Sozialpädagogik der Technischen Universität Berlin) brachte beispielsweise eine internationale Perspektive und eine seit 2000 international anerkannte Definition in die Vortragsreihe ein. Man konnte sich einigen, obwohl es zwischen den Vertretern der asiatischen und lateinamerikanischen Länder Dissens über den Begriff „Befreiung“ gab. Geeinigt haben sich die internationalen universitären wie professionellen Vereinigungen dann auf folgende Formulierung: „Soziale Arbeit ist eine Profession, die sozialen Wandel, Problemlösungen in zwischenmenschlichen Beziehungen sowie die Ermächtigung und Befreiung von Menschen fördert, um ihr Wohlbefinden zu verbessern. Indem sie sich auf Theorien menschlichen Verhaltens und sozialer Systeme als Erklärungsbasis stützt, interveniert Soziale Arbeit im Schnittpunkt zwischen Individuum und Umwelt/Gesellschaft. Dabei sind Prinzipien der Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit sind für die Soziale Arbeit von fundamentaler Bedeutung.“ Soziale Arbeit müsse „forschungsgestützt politisieren“, sind sich die beiden Sozialpädagoginnen Braches-Chyrek und Staub-Bernasconi einig.

„Die Autoren live erleben“

„Ich hatte erwartet, dass sich zuerst einer der ebenfalls anwesenden Dozierenden meldet, denn sie haben selbstverständlich viele Fragen. Das ist nicht passiert, die Studierenden haben die ersten Fragen gestellt“, lobte Staub-Bernasconi das neue Ringvorlesungs-Konzept. Dass sich die Studierenden überhaupt so rege an den Fragen und Diskussionen beteiligen, habe sich erst entwickeln müssen, so Braches-Chyrek. „Beim ersten Gastreferenten lief es noch etwas zäh. Umso schöner finde ich es, dass sich mittlerweile auch die Erstsemesterstudierenden trauen und sich in der Vorlesung zu Wort melden.“
Das neue Format kommt bei den Studierenden jedenfalls gut an: „Die Referentinnen und Referenten sind in ihrem Fachgebiet natürlich Experten und können damit einen ganz anderen Einblick gewähren, als das in einer klassischen Einführung  möglich wäre“, erklärte die studentische Hilfskraft am Lehrstuhl. „Außerdem ist es für mich auch sehr reizvoll, die Autoren, deren Texte sonst immer nur gelesen werden, live zu erleben und kritisch nachfragen zu können. Die Ringvorlesung ist also ein einmaliges Angebot, da man sonst auf mehrere Tagungen reisen müsste, um eine solche Bandbreite an Themen präsentiert zu bekommen!“

Doch die Ringvorlesung ist nicht nur eine Bereicherung der Lehre. Rita Braches-Chyrek hat die Zielgruppe ihrer aktuellen Studierenden erweitert und plant eine Publikation auf Grundlage der Vorträge, um die Definition von Sozialer Arbeit voranzubringen. Außerdem spielt sie mit dem Gedanken, eine Tagung zu organisieren, bei der sie alle Referentinnen und Referenten noch einmal zusammenbringen will. Neue Perspektiven für Studierende, eine Plattform für theoretische Diskussionen über alle Qualifikationsstufen hinweg – die Ringvorlesung verknüpft die Beantwortung von zentralen Fragen mit anschaulicher Lehre. 

Hinweis

Diesen Pressetext verfasste Katja Hirnickel für die Pressestelle der Universität Bamberg.