Daniel Göler ist seit 2010 Professor für geographische Migrations- und Transformationsforschung (Foto: Katharina Müller-Güldemeister)

Eines seiner Forschungsgebiete ist Südosteuropa. Hier kostet er südalbanische Spezialitäten. (Foto: Galina Novkova)

Friedhöfe und Märkte können viel über ein Land verraten, so der Geograph (Foto: Galina Novkova, Friedhof im Amselfeld / Kosovo)

Informelles Wohnen – illegal, aber geduldet – gibt es in vielen Transformationsländern (Foto: Daniel Göler)

- Katharina Müller-Güldemeister

Die Lehre des Querdenkens

Porträt des Geographen Daniel Göler

Mittwochnachmittag Mitte Juni. Es regnet. Ein richtig ordentlicher Sommerregen. Prof. Dr. Daniel Göler und ich stapfen den Gügel hoch zur Wallfahrtskirche auf einem Felsvorsprung am Rande der Fränkischen Schweiz. Wir vertrauen auf unseren inneren Kompass und kürzen querfeldein über die Wiese ab. Das Regenwasser läuft bei jedem Schritt unter unseren Schuhen zusammen. Wären wir keine Geographen, säßen wir jetzt wahrscheinlich bei einer schönen Tasse Tee im Trockenen und Warmen. Aber ein Geograph wäre kein Geograph, wenn er Exkursionen aufgrund feuchter Luftmassen ausfallen lassen würde. Das gehört dazu. Geographen sind nun mal in der Welt zu Hause.

Die Lehre von der Erde

„Bei guter Sicht kann man bis in die Rhön schauen“, erzählt Daniel Göler. Heute leider nicht, denn vollgesogene Luftmassen hängen dazwischen. Im Sommer regnet es viel mehr als in den anderen Jahreszeiten: Durch die wärmeren Temperaturen kann die Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen und mehr davon abgeben. Das ist Klimatologie – und Klima ist einer von vielen Faktoren, die die Erde formen. Genau das untersuchen Geographen: Das Zusammenspiel der Faktoren, die die Erde zu dem machen, was sie ist.

Die ‚Lehre von der Erde’ wird unterteilt in physische Geographie und Kulturgeographie. Daniel Göler erforscht und lehrt hauptsächlich kulturgeographische Themen. Wirklich trennen kann man die beiden Bereiche aber nicht. Und gerade da, wo Natur- und Kulturraum ineinandergreifen, werde es oft besonders spannend, findet der Professor. Phänomene wie der Globale Wandel können nicht eindimensional natur- oder sozialwissenschaftlich betrachtet werden. In diesem Querschnittsaspekt sieht der Geographie-Professor auch die Stärke seines Faches. Es biete viel Überblickswissen und lehre, querzudenken und sich andere Fachdisziplinen schnell anzueignen. Die Kehrseite sei, dass man in den einzelnen Teilbereichen unter Umständen nur an der Oberfläche kratzt, wo sich andere deutlich besser auskennen. „Der Querschnittsaspekt hat mich schon als Kind interessiert. Es hat mir an der Schule am meisten Spaß gemacht und das ist bis zum heutigen Tage so geblieben. Von daher wäre ich ja blöd gewesen, wenn ich was anderes gemacht hätte“, lacht Göler.

Nachsehen, wie der Planet aussieht

Zum Studium kam der gebürtige Schwabe 1987 nach Bamberg – und blieb. Seit dem Sommersemester 2010 ist er Professor für Geographische Migrations- und Transformationsforschung am Institut für Geographie. Zum Glück vertritt Daniel Göler eine grundlegend andere Auffassung von seinem Beruf als der Geograph in Saint-Exupérys Der Kleine Prinz. Dieser bewohnt nämlich einen majestätischen Planeten, ohne zu wissen, wie dieser wirklich aussieht. Denn er war der Meinung: „Nicht der Geograph geht die Städte, die Ströme, die Berge, die Meere, die Ozeane und die Wüsten zählen. Der Geograph ist zu wichtig, um herumzustreunen. Er verlässt seinen Schreibtisch nicht. Aber er empfängt die Forscher.“ Daniel Göler sieht hingegen regelmäßig selbst nach, wie sein Planet aussieht und wie er sich verändert, insbesondere in Russland und Südosteuropa. „Russland hat mich schon immer interessiert – das große Unbekannte. In meiner Jugendzeit tobte noch der Ost-West-Konflikt, Russland war schwer zugänglich, aber immer irgendwie legendenumwoben. Besonders die Erschließung Sibiriens hat mich fasziniert.“

Seit 1996 reist er fast jedes Jahr mit Studierenden nach Südosteuropa, um beispielsweise die Kioskisierung in Tirana, Industriestandorte, Unternehmensgründungen oder Grenzregionen in Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro oder Serbien zu untersuchen. Durch die fortschreitende Transformation in ehemaligen sozialistischen Ländern tun sich immer weitere geographische Themen auf. So war es bis vor wenigen Jahren wegen schlechten oder nicht vorhandenen Straßen nur schwer möglich, auch in Peripherregionen vorzudringen. Und manche Forschungskomplexe wie Migration – Emigration – Remigration, Thema eines Projektes im Herbst 2012, zeigen erst in einer späteren Transformationsphase ihre vollen Auswirkungen.

„Freundliche bis freundschaftliche Stimmung“

Besonders schön findet es Göler, die Fortschritte in problembeladenen Gebieten mitzuerleben. Gerade Tirana sei heute kaum noch wiederzuerkennen. „Da liegt natürlich immer noch vieles im Argen, aber die Entwicklung ist ein Zeichen für eine Dynamik, die dem Land extrem gut tut. Die Lebenssituation hat sich im Durchschnitt auf alle Fälle verbessert. Gerade wenn man die letzten 20 Jahre betrachtet, ist Albanien europaweit das Land, das sich – relativ gesehen – am meisten entwickelt hat“, sagt er.

Die Projektseminare in Südosteuropa veranstaltet Göler immer in Kooperation mit Hochschulen bzw. Institutionen aus der Region. Durch die politische Vergangenheit der unterschiedlichen Länder treffen Studierende aufeinander, die sich sonst vielleicht eher aus dem Weg gehen würden. Trotzdem hat Daniel Göler bei den Projekten bisher vorwiegend gute Erfahrungen gemacht: „Die Stimmung war stets freundlich bis freundschaftlich. Oft auch zwischen Leuten, bei denen man es nicht erwartet hätte – zwischen Bosniern und Serben zum Beispiel.“ Bestimmte Themen müssten aber ein Stück weit ausgeblendet werden, wenn man ernsthaft geographisch arbeiten will, um einen sachlichen Abstand zu behalten. „Am besten sollte man die Themen Minderheiten, Bosnienkrieg und Kosovo gar nicht erst ansprechen. Das geht zurzeit nicht. Die deutschen Studierenden sind zwar sehr interessiert an diesen Themen, bei den Leuten vom Balkan gibt es aber sehr gemischte Gefühle. Da steht die Aufarbeitung noch bevor.“

Erstaunt ist der Kulturgeograph, wie wenig die meisten deutschen Studierenden von der Kultur im Balkan wissen. Das fängt schon beim Essen an: „Ich werde bei der Vorbereitung häufig gefragt, ob man irgendwelche Nahrungsmittel mitnehmen muss. Ich kenne Länder auf der Welt, wo Sie das machen sollten, aber der Balkan zählt da definitiv nicht dazu. Es gibt mediterrane Küche, Unmengen von Fleisch. Vor Ort merken die Studierenden dann, dass man da richtig gut überleben kann“, lacht Göler. Wenn er selbst neue Länder erkundet, geht er immer auf den Friedhof und auf den Markt. „Das ist sehr empfehlenswert. Da kann man viel von der Kultur und Geschichte mitkriegen.“

Absurde Verwaltungsfreude der Deutschen

An seinem Beruf schätzt der Geograph seine zeitliche und fachliche Flexibilität. Bei Seminarthemen und Exkursionen könne man eigene Interessen optimal mit der Arbeit verbinden. Dies wünsche er sich auch für seine Studierenden. Doch leider sieht das Bachelorsystem dafür wenig Freiraum vor. „Der enge Studienplan lässt kaum Wahlmöglichkeiten, was nicht an unserem relativ überschaubaren Institut liegt. Wenn man die Universität als Einrichtung sieht, die auch für Allgemeinbildung und eigene Interessen da sein soll, ist das fast schon tragisch. In dieser Hinsicht freue ich mich auf die künftige Masterausbildung.“

Gerne verzichten könnte Göler hingegen auf die Verwaltungsaufgaben, die in seinen Augen immer umfangreicher werden, weil mehr formalisiert und reglementiert wird als früher. Besonders im Kontrast zu seinen Forschungsgebieten dürfte ihm die Verwaltungsfreude der Deutschen mitunter absurd erscheinen. Während in einigen Transformationsländern ganze Siedlungen das Prädikat ‚informell’ – also illegal, aber geduldet – tragen, werden in Deutschland Studienordnungen nachgebessert, um die Anzahl der Wörter in Hausarbeiten festzulegen. In Sachen Verwaltung hält es der Professor jedenfalls gerne ein wenig informeller. E-Mails reduziert er – wenn möglich – auf vier Buchstaben: „o.k. dg“.

An Bamberg und der Uni schätzt Göler unter anderem ihre überschaubare Größe. „Man hat alles, was man braucht, und muss nicht erst eine dreiviertel Stunde mit der S-Bahn fahren, sondern radelt zwölf Minuten ins Büro oder an die Stadtgrenze.“ In den 25 Jahren hat sich der gebürtige Schwabe sehr gut in Bamberg ‚assimiliert’ – um es geographisch auszudrücken: „Spätzle ess’ ich immer noch gerne. Die müssen natürlich selber gemacht sein. Aber ansonsten wohne ich auch schon lange genug in Franken, dass ich weiß, wie man Klöße macht.“

Antrittsvorlesung

Daniel Göler hält am Montag, den 9. Juli 2012, seine Antrittsvorlesung zum Thema Balkanmetropolen. Urbane Transformationen im Südosten Europas. Sie findet um 18 Uhr c.t. im Gebäude Am Kranen 12, Raum 218 statt. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen!