Ein eindrucksvolles Team - ... (Bild: Marcus Hoffmann)

... Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ganz Deutschland und den unterschiedlichsten Fächern und Institutionen sind an NEPS beteiligt.

Die Struktur von NEPS mit den 8 Etappen und 5 Säulen (Grafiken: NEPS).

Die Fachtagung am 4. Februar gab mit zwei Plenen Einblicke in das Forschungsprojekt und lieferte Stoff für anschließende Diskussionen (Bild: Marcus Hoffmann).

- Andreas Christ

Wie misst man Bildung?

Fachtagung widmete sich dem Analysepotenzial des Nationalen Bildungspanels

5 Säulen, 8 Etappen und mehr als 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den verschiedensten Disziplinen machen NEPS zu einem hochkomplexen, herausfordernden Projekt. Auf einer Fachtagung am 4. Februar diskutierten die Bildungsforscher über Herangehensweisen und Problemstellungen.

An die große NEPS-Auftaktveranstaltung unter Beteiligung von Politik und Bildungspraxis schloss sich am 4. Februar eine Fachtagung zum Analysepotenzial des Nationalen Bildungspanels an. Nachdem tags zuvor vor allem die gesellschaftliche und politische Dimension des Projekts eine Rolle gespielt hatte, widmeten sich die Bildungsforscher nun den wissenschaftlichen, besonders den methodischen Fragen. Dazu erläuterte Prof. Dr. Hans-Peter Blossfeld, wissenschaftlicher Leiter von NEPS, noch einmal die Struktur der Untersuchung. Das Besondere am Nationalen Bildungspanel sei der Anspruch Bildungsverläufe im Längsschnitt von der Wiege bis zur Bahre nachzuverfolgen. Um dies leisten zu können, sind Forscherinnen und Forscher „über die ganze Republik und die verschiedensten Fächer verteilt“ beteiligt.

Zugrunde liegt dem Panel eine zweidimensionale Matrix, die aus fünf theoretischen Säulen und acht Abschnitten, den sogenannten Bildungsetappen, besteht. Diese bilden die Stufen und Übergänge im Bildungssystem ab und reichen von „Neugeborene und frühkindliche Betreuung“ bis hin zu  „Berufliche Weiterbildung und lebenslanges Lernen“. Dazwischen liegen Kindergarten, Schule, Ausbildung und Studium. In jeder dieser Etappen interessieren die Bildungsforscher jeweils verschiedene Bereiche, die fünf Säulen des Bildungspanels. Diese theoretischen Fokussierungen sind  „Kompetenzentwicklung im Lebenslauf“, „Bildungsprozesse in lebenslaufspezifischen Lernumwelten“, „Soziale Ungleichheit und Bildungsentscheidungen“, „Bildungserwerb mit Migrationshintergrund“ sowie „Bildungsrenditen“.

Damit schon möglichst bald erste Aussagen getroffen werden können, wurde NEPS im Multi-Kohorten-Sequenz-Design angelegt. Das bedeutet, man wird sich nicht darauf beschränken, die Bildungsbiographien einer einzelnen Gruppe heutiger Kleinkinder bis zum Rentenalter zu verfolgen, sondern von Anfang an mehrere Kohorten, also Bildungsjahrgänge, betrachten. Für den Bereich „Weiterbildung im Erwachsenenalter“ wird bereits dieses Jahr eine Stichprobe von 23- bis 65-Jährigen befragt. Im Herbst 2010 folgen Kohorten zu vier weiteren Etappen und 2013 wird mit dem Aufbau einer Kohorte Neugeborener begonnen.   

So sollen bis zum Ende der ersten Förderungsphase 2013 bereits detaillierte Informationen zu diesen Bildungsphasen und -übergängen vorliegen, in Form einer Querschnittsstudie. „Würde man hier aufhören, hätte man wieder eine Momentaufnahme“, so Blossfeld. Die Pläne bei NEPS gehen allerdings viel weiter, so werden kontinuierlich neue Kohorten gezogen, um historische Veränderungen dokumentieren zu können. Außerdem wird der Bildungsverlauf der einzelnen Personen ständig weiter verfolgt und die Kohorten ausgedehnt. „Wenn die Kinder beispielsweise in die Schule kommen, wird der Klassenverband, soweit möglich, dazu gesampelt.“  

Bildungs- und Kompetenzerwerb über die Lebensspanne

Ein solch ehrgeiziges Unterfangen stellt hohe Anforderungen an das methodische Instrumentarium, das von den Bildungsforscherinnen und –forschern entwickelt werden muss. Auf der Fachtagung stellten einige der Beteiligten ihre geplante Herangehensweise und auftauchende Probleme dar. So steht Prof. Dr. Sabine Weinert, Inhaberin des Lehrstuhls für Psychologie I – Entwicklungspsychologie an der Universität Bamberg, als „Vertreterin“ der Kompetenzsäule vor der Frage: Welche Kompetenzen spielen für eine erfolgreiche Bildungsbiographie eine Rolle? Dabei sei auch eine etappenspezifische Dynamik zu beachten, denn Lesen oder Mathematik, die in der Schule offensichtliche Kompetenzen darstellen, werden später unverzichtbare Grundkompetenzen, auf denen andere Fähigkeiten aufbauen. Darüber hinaus nannte der Geschäftsführende Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften, Prof. Dr. Manfred Prenzel, das Problem zuverlässige und aussagekräftige Indikatoren für die jeweiligen Kompetenzen zu finden, also die Frage: „Wie misst man Kompetenzen?“

Analog dazu wies Prof. Dr. Hans-Günther Roßbach, als Bamberger Professor für Elementar- und Familienpädagogik ebenfalls an NEPS beteiligt, auf die Komplexität der Säule „Lernumwelten“ hin. Üblicherweise betrachte Bildungsforschung nur formale Institutionen wie Kindergärten, Schulen oder Universitäten. „Das Bildungspanel geht allerdings über enge Konzeptionalisierungen hinaus und untersucht sowohl nicht-formelle Lernumwelten, zum Beispiel Angebote von Vereinen oder religiösen Gemeinschaften, als auch informelle Lernumwelten, wie Medien, die Familie oder Gleichaltrige“, so Roßbach. Besonders spannend sei die Analyse der Übergänge zwischen den Lernumwelten.       

Risikogruppen im Bildungssystem

Einen besonders heiklen Übergang stellt der Weg von der Schule in die berufliche Ausbildung dar, gerade für Jugendliche aus bildungsfernen Schichten. Solche Risikogruppen im Bildungssystem stehen im Fokus des Bildungspanels, weshalb sich zwei Säulen explizit mit diesem Thema beschäftigen: „Soziale Ungleichheit und Bildungsentscheidungen“, sowie „Bildungserwerb mit Migrationshintergrund“. Prof. Dr. Wolfgang Stocké, Vertreter des Bamberger Lehrstuhls für Soziologie mit Schwerpunkt längsschnittliche Bildungsforschung, machte aber deutlich, dass es keine distinkte Risikogruppe gebe: „Es handelt sich um ein mehrdimensionales Kontinuum mit Risikofaktoren wie soziale Herkunft, Migration oder Geschlecht.“

Prof. Dr. Irena Kogan, die in Bamberg den Lehrstuhl für Soziologie/Sozialstrukturanalyse innehat, widmet sich innerhalb dieses Feldes besonders den Bildungsbiographien von Menschen mit Migrationshintergrund. Die Mechanismen, die ethnische Nachteile im Bildungssystem bewirken, seien noch nicht hinreichend bekannt, besonders, „wie diese zustande kommen und wo sie sich im Lebenslauf verfestigen, sowie die Frage von Bildungsverlusten.“  Ein weiterer Bereich, der hier untersucht werden soll sind die Sprachkompetenzen von Nicht-Muttersprachlern. „Oversampled“, das heißt überproportional in die Studien einbezogen, werden türkischstämmige Personen, sowie Aussiedler aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. 

Der Frage, ob Risikogruppen langfristig kumulative Nachteile im Ertrag ihrer Bildung haben, geht die fünfte Säule „Bildungsrenditen im Lebenslauf“ unter anderem nach. Als Volkswirtschaftler erläuterte Prof. Dr. Johannes Schwarze die ökonomische Definition von Bildung als „Investitionsprogramm in Humankapital“, um anschließend allerdings auszuführen: „NEPS fasst Bildungsrenditen weiter: Neben Karrieremöglichkeiten, Arbeitslosigkeitsrisiko und Einkommen werden nichtmonetäre Erträge wie Gesundheit, persönliches Wohlbefinden, partnerschaftliches Verhalten oder politische und soziale Partizipation miteinbezogen.“ Berücksichtigung findet also, neben der individuellen Rendite, auch der gesellschaftliche Ertrag von Bildung. Jedoch sei es hier schwierig, zwischen Ursache und Wirkung zu trennen, sagte Schwarze. „Beispielsweise ist Gesundheit wichtig für einen erfolgreichen Bildungsverlauf, gleichzeitig besteht ein Zusammenhang zwischen Bildung und einem gesundheitsbewussten Lebensstil.“    

Schnellstmögliche Bereitstellung der Daten

Die abschließende Diskussion wurde von der Frage bestimmt, inwieweit die erhobenen Daten einen Vergleich bildungspolitischer Entscheidungen zulassen werden. „Die föderale Struktur der Bundesrepublik erlaubt es kausale Zusammenhänge zu messen“, ist Schwarze überzeugt. Zum Einwand, das Sample sei nicht ausreichend für solche Vergleiche, meint Blossfeld: „Viele Bundesländer machen dieselbe Bildungspolitik“, deshalb könne man verschiedene Stichproben zusammenfassen und so aussagekräftiger machen. 

Angesichts dieser und vieler anderer Forschungsperspektiven, die auf der Tagung angerissen wurden, schloss der wissenschaftliche Leiter von NEPS mit dem Versprechen die erhobenen Daten der wissenschaftlichen Öffentlichkeit so schnell wie möglich zur Verfügung zu stellen.