Einblicke in die pagane Vorzeit gewährt die Datenbank Sidaskipti (Bild: Tone/Wikimedia/cc-by-sa)

Heiko Hiltmann, der Initiator der Datenbank (Bild: privat)

Ein Beispiel für die so genannte "Berserker-Raserei": Wikinger im Schlachtengetümmel (Bild: Wikimedia)

- Konstantin Klein

Kultwechsel im hohen Norden

Im Rahmen des Mediävistischen Kolloquiums stellte Heiko Hiltmann eine Datenbank zu altnordischen Quellen vor

Sidaskipti. Leicht geht dieser Name nicht über die Zunge. Und im Grunde genommen, merkt Heiko Hiltmann an, sei er mit der durchschnittlichen Schreibmaschinen- oder Computertastatur auch gar nicht richtig schreibbar: „Das ‚d’ ist nämlich behaucht.“ Hiltmann, Mittelalterhistoriker an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, arbeitet im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projektes „Eigenständigkeit durch Integration“ an der Datenbank Sidaskipti. Das Wort „Sidaskipti“ bedeute etwa „Kultwechsel“, erklärt er und berichtet von seiner Forschung zur Erinnerung an die heidnische Vorzeit als Element der Konstruktion ethnisch-regionaler Identität an der Peripherie Europas im Hoch- und Spätmittelalter, so der Untertitel des DFG-Projekts.

Einblicke in die pagane Vorzeit

Im Rahmen des Mediävistischen Kolloquiums, einer wöchentlich montags stattfindenden Vortragsreihe, die von den Lehrstühlen Deutsche Philologie des Mittelalters (Prof. Dr. Ingrid Bennewitz) sowie Mittelalterliche Geschichte (Prof. Dr. Klaus van Eickels) veranstaltet und organisiert wird, stellte Heiko Hiltmann sein Projekt vor und zeigte auf, welche Erkenntnisse aus den altnordischen Quellen gewonnen werden können. Bereits in seiner Studienzeit beschäftigte er sich mit Altisländisch und Altnorwegisch – Sprachen, die ihm nun auch in seinem Dissertationsprojekt zur Integration des heidnischen Nordens ins christliche Europa begegnen. „Die frühere Forschung hat vor allem angelsächsischen Quellen den Vorzug gegeben und die paganen Schriftquellen als marginale Fiktion abgetan“, berichtet der Mittelalterhistoriker.

Doch längst weiß man um den spezifischen Aussagegehalt der Sagas aus dem 12. Jahrhundert über eine frühere Zeit: „Die Texte reichen nicht aus, um das nordische Heidentum in seiner Gesamtheit rekonstruieren zu können, aber sie treffen viele wertvolle Aussagen über den Lebensalltag damals.“ Dabei konnte Heiko Hiltmann beobachten, dass sich die altnorwegischen Quellen eher an Europa orientieren, während sich die altisländischen Quellen auf die pagane Vorzeit zurückbesinnen. Er vermutet darin eine Form der kulturellen Selbstbehauptung der an das Königreich Norwegen angeschlossenen Isländer.

Demokratisierung des Wissens

Mühevoll sei die Arbeit durchaus, so Hiltmann, müssten doch alle Texte für Sidaskipti von einer Hilfskraft von Hand eingetippt und von ihm ins Englische und Deutsche übersetzt werden. Doch der Aufwand lohnt: Die von der DFG beauftragte Datenbank bietet verschiedene Recherchemöglichkeiten, sowohl nach Texten als auch nach Buchstabenfolgen: Alle eingegebenen Textstellen sollen nämlich nach Themen und Phänomenen geordnet werden. So kann man unter dem Stichwort „Totschlag“ erfahren, wie in der Hákonar saga von König Hákon Hákonarson eben diese (Un)sitte abgeschafft wurde. Sucht man hingegen nach „Berserker“, so berichtet die Ynglinga saga, was es mit den sagenumwobenen Kämpfern auf sich hat: „Odin konnte auch machen, dass seine Feinde in der Schlacht blind oder taub oder furchtsam wurden [...], und seine Männer gingen ohne Brünne und waren toll wie Hunde oder Wölfe, sie bissen in ihre Schilde, waren stark wie Bären oder Stiere. [...] Weder Feuer noch Eisen hatte eine Wirkung auf sie. Das wird Berserker-Raserei genannt.“

Als eine Form von „Demokratisierung von Wissen“ bezeichnete Prof. Dr. Ingrid Bennewitz im Anschluss an Heiko Hiltmanns Präsentation die Vielzahl von im Internet frei zugänglichen Datenbanken wie Sidaskipti. Wo früher viele Stunden bei mühsamer Recherche verloren gingen, erleichtern elektronische Suchmasken das Auffinden von gesuchten Textstellen erheblich, was gerade auch für Nachwuchswissenschaftler ideal sei. Letztere sollen und werden, so Ingrid Bennewitz, auch auf dem Mediävistischen Kolloquium vermehrt zu Wort kommen.

Die nächsten Themen und Termine des Mediävistischen Kolloquiums:

13.11.  DR. JUTTA EMING (Freie Universität Berlin):
Sprache und Gewalt im Passionsspiel des Spätmittelalters

20.11.  REFERENT UND THEMA WERDEN NOCH BEKANNT GEGEBEN

27.11.  PROF. DR. GERD ALTHOFF (Universität Münster): 
Heinrich IV. – Viel Feind, viel Ehr? (Achtung Raumänderung: U7/105!)

04.12.  PD DR. MICHAEL GRONEBERG (Universität Fribourg, Schweiz):
Männlichkeit und Geschlechtergeschichte

11.12.  FREDEREK MUSALL M.A. (Hochschule für Jüdische Studien, Heidelberg): Wissenschaftstheorie und Philosophiegeschichte. Methodische Ansätze zur Erforschung  mittelalterlicher Philosophie am Beispiel des "Führers der Verwirrten" von Moses Maimonides

18.12.  PROF. DR. CORA DIETL (Universität Gießen):
Tanzszenen im geistlichen Spiel

08.01.  DR. ELISABETH VAVRA (Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Universität Krems, Österreich): Material culture - Zugänge zur Wirklichkeit?

15.01.  PROF. DR. TRUDE EHLERT (Universität Würzburg): Über die Bedeutung von Speisen und Nahrungsmitteln im Helmbrecht

22.01.  PROF. DR. WOLFGANG HAUBRICHS (Universität Saarbrücken):
Walters „Engelschelte“ als Reflex eines Rituals der humilatio von Heiligen

29.01.  PROF. DR. ELISABETH LIENERT (Universität Bremen):
  Dietrich-Testimonien des 6. bis 16. Jahrhunderts. Ergebnisse und Perspektiven

05.02.  LAURA BRANDER (Universität Bamberg):
Frauen als Identitätsstifterinnen in hochmittelalterlichen Adelshäusern