Bildung in der Weltgesellschaft
Worin besteht Ihr Selbstverständnis als Professorin?
In der Lehre ist mir wichtig, den Studierenden eine gute Basis für ihre pädagogische Tätigkeit mitzugeben, ihnen zum Beispiel ein klares Verständnis der pädagogischen Grundbegriffe zu vermitteln und ein Bewusstsein für die strukturellen Widersprüche ihres zukünftigen Berufes zu schaffen. Die Allgemeine Pädagogik ist ein theorieaffines Fach in der Reihe der erziehungswissenschaftlichen Fächer und ich freue mich, Studierende für dieses für pädagogische Berufe grundlegende Fach zu begeistern zu können.
Und in der Forschung?
In der Forschung beschäftige ich mich mit pädagogischen Fragen im Kontext von kulturellen und gesellschaftlichen Herausforderungen, zum Beispiel der Globalisierung. Eines meiner aktuellen Forschungsprojekte nimmt sich des Themas „Lernen in Nord-Süd-Begegnungen“ an. Dabei analysieren wir unter anderem, wie Schüler aus Ruanda und Bolivien die Weltgesellschaft erfahren. Solche Fragen sind mir wichtig und ich glaube, dass wir daraus einiges für zukünftiges Lernen und Lehren lernen können.
Sie sind auch Sprecherin eines Promotionskollegs, oder?
Stimmt. Als Sprecherin des kooperativen Promotionskollegs „Bildung als Landschaft“ beschäftige ich mich mit dem Verhältnis von formalem und informellem Lernen. Solche Schnittstellen zwischen beispielsweise dem nonformalen Lernen in der Jugendarbeit und dem formalen Lernen in der Schule interessieren mich, weil dort Lernen aus der Perspektive von beispielsweise Jugendlichen besonders gut sichtbar wird.
Gibt es noch ein weiteres Thema, das Sie besonders interessiert?
Ein weiterer Forschungsbereich ist die pädagogische Anthropologie, das heißt die Frage danach, wie wir den Menschen verstehen und welche Konsequenzen wir daraus für das Verständnis von erzieherischen Fragen ziehen. Die Anthropologie ist ja in vielen Disziplinen zuhause. Diese zu rezipieren und für den erziehungswissenschaftlichen Kontext fruchtbar zu machen, ist mir ein Anliegen. Besonders interessiere ich mich hier für die Deutungen der naturwissenschaftlichen Anthropologie wie der Soziobiologie oder der Hirnforschung.
Wie sieht es aus mit der Doppelrolle, die Sie als Lehrende und Forschende innehaben? Versuchen Sie, das, was Sie in der Allgemeinen Pädagogik lehren, auch selbst umzusetzen in Ihrem Alltag als Professorin?
Für den Alltag einer Professorin bietet die Allgemeine Pädagogik viele Anknüpfungspunkte, zum einen in der Gestaltung der Hochschullehre, zum anderen aber auch in der Beratung Studierender oder in der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Das gelingt mal mehr und mal weniger. Aber zumindest ist es ein Anspruch, das stimmt.
Wie können Sie mit Ihren Forschungs- und Lehrangeboten an Bestehendes anknüpfen oder Bestehendes ergänzen und erweitern?
Ich bin gerne nach Bamberg gekommen, weil die Bamberger Uni für eine sehr starke und ausdifferenzierte Erziehungswissenschaft und eine gute Breite der Nachbardisziplinen wie der Psychologie und der Soziologie bekannt ist. Das finde ich attraktiv und ich freue mich darauf, mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem erziehungswissenschaftlichen Kontext, vielleicht auch aus dem Kontext des Nationalen Bildungspanels oder der Bamberger Graduate School of Social Sciences ins Gespräch zu kommen, mir ihre Arbeiten genauer anzusehen und auch daran anzuknüpfen, wenn es sich anbietet.
Was bringen Sie mit nach Bamberg?
Im Gepäck habe ich die bereits genannten Erfahrungen in der Forschung, umfangreiche Erfahrungen in der Nachwuchsförderung und eine breite Erfahrung in der Allgemeinpädagogischen Lehre. In Bamberg bedient die Allgemeine Pädagogik mehrere Studiengänge, die zu den Massenfächern gehören. Ich möchte darüber hinaus einen international ausgerichteten Masterstudiengang „Educational Quality in Developing Countries“ einrichten.
Stellen Sie sich vor, Sie müssten Abiturienten erklären, warum man Pädagogik studieren soll. Was würde Sie Ihnen sagen?
Ich würde Ihnen sagen – oder ich sage Ihnen, das ist kein Konjunktiv, ich mache das ja wirklich – dass sie mit der Pädagogik in ein Berufsfeld gehen, das sie sehr fordert, weil es von vielfältigen Widersprüchen gekennzeichnet ist, welches aber auch unglaublich interessant ist, weil es sich nicht nur nahe am Menschen, sondern auch nahe an der Entwicklung der Gesellschaft befindet und deshalb eine große Vielfalt an Betätigungsfeldern bietet, zum Beispiel Frühförderung, Kinder- und Jugendhilfe, Schulpädagogik, Erwachsenenbildung, betriebliche Weiterbildung, Altenbildung oder Gesundheitspädagogik. Vor diesem Hintergrund erschließt man sich ein Arbeitsfeld, was man entlang des eigenen Lebenslaufs auch gut weiterentwickeln kann.
Naja, aber der Berufsalltag hat ja leider nicht nur positive Seiten...
Natürlich weise ich sie auch darauf hin, dass pädagogische Berufe in Deutschland sicherlich in weiten Teilen nicht zu den akademischen Betätigungsfeldern gehören, die herausragend entlohnt werden. Ich fordere die Abiturienten, aber auch die Studierenden auf, sich schon früh darüber klar zu werden, in welches Arbeitsfeld sie sich begeben. In allererster Linie hoffe ich aber, dass ich den Abiturienten und natürlich auch den Studierenden meine Liebe zu diesen wunderbaren Berufen vermitteln kann!
Haben Sie den Eindruck, dass viele Studierende, gerade wenn es auf den Abschluss zugeht, erschrocken sind von dem, was sie erwartet? Sowohl finanziell als auch psychisch? Denn viele Berufe können ja gerade in sozialen Bereichen sehr belastend sein.
Ich habe den Eindruck, dass durch die öffentlichen Debatten gerade auch über die Schule, die in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben, ein höheres gesellschaftliches Bewusstsein über die Anforderungen an pädagogische Berufe vorhanden ist als dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Und dass mehr und mehr Studierende durchaus einen realistischen Blick haben auf das, was sie erwartet. Ich sehe es auch als meine Aufgabe als Dozentin an, Studierende auf den Umgang mit diesen Herausforderungen vorzubereiten.
Waren Sie auch mal selbst aktiv als Pädagogin tätig?
Ja, war ich – und in gewisser Weise bin ich es ja als Hochschullehrerin immer noch. Ich war zwei Jahre lang Grundschullehrerin und habe mich lange Jahre in der Jugendarbeit engagiert.
Wieso hat es Sie dann an die Uni zurückgezogen? Gerade wenn man sich in einem Beruf bereits ein wenig etabliert hat, hat man doch bestimmt Lust, dabei zu bleiben und weiterzumachen?
Hat man, aber ich fand das Nachdenken über pädagogische Prozesse schon von Anfang an sehr spannend und habe mich gerne in diesem Forschungsumfeld bewegt. Zwar waren pädagogische Berufe immer eine reale Option für mich, aber die Forschung fand ich immer unglaublich attraktiv. Und ich finde auch die Lebensform als Hochschullehrerin sehr faszinierend. Dass man einerseits die Einsamkeit des Schreibtischs vor sich und andererseits das Wuselige eines großen Lehrstuhls und viele, viele Studierende um sich hat – das finde ich ganz wunderbar.
Gibt es ein besonders spannendes Forschungsprojekt, das Sie uns gerne näher vorstellen möchten?
Das ist jetzt schwierig, da ich alle meine Projekte spannend finde. Aber was mich besonders berührt ist ein Projekt, was demnächst zum Abschluss kommen wird und dessen Ergebnisse wir gerade publizieren. Es geht in diesem Projekt um die Wirkung pädagogischer Maßnahmen in Postkonfliktsituationen.
Wo genau?
Der Fokus lag dabei auf dem Gebiet rund um die afrikanischen Seen mit dem Schwerpunkt auf Ruanda. Ruanda wurde 1994 von einem furchtbaren Genozid erschüttert und die Frage, die sich nun stellt, lautet, wie eine solche Gesellschaft, wo jeder durch entsetzliche Gräueltaten verletzt ist, wo Menschen als Opfer und Täter in einer Nachbarschaft nebeneinander lebten, wieder in Schulen als Lehrkräfte miteinander arbeiten oder als Schüler miteinander lernen können. Welche Fortbildungen brauchen pädagogische Professionelle und welche Effizienz zeigen unterschiedliche Fortbildungsprogramme und -prozesse?
Das klingt nach einer spannenden Arbeit, die aber auch psychisch sehr belastend ist?
Sich damit zu beschäftigen war natürlich einerseits menschlich berührend, weil man mit Menschen und Situationen konfrontiert wird, die man sonst nur in den Nachrichten sieht. Andererseits war es professionell sehr interessant, weil gerade dann, wenn das pädagogische Niveau niedrig ist, sich die Effizienz von Maßnahmen sehr viel leichter und klarer zeigen lässt als es zum Beispiel in der Lehrerfortbildungsforschung in Deutschland der Fall wäre.
Was für Maßnahmen haben Sie untersucht?
Das waren zum Beispiel Fortbildungen im Bereich (Trauma-)Diagnostik, Kommunikationstrainings oder Seminare zur Weiterentwicklung und Veränderung von pädagogischen Methoden, die von Kolleginnen und Kollegen aus Ruanda entwickelt wurden. Gerade in autoritär geprägten Staaten wie Ruanda finden pädagogische Maßnahmen oft so statt, dass einer spricht und im Chor geantwortet wird. Ein Ziel der Fortbildungen war es, diese Settings so aufzubrechen, dass mehr Kommunikation der Einzelnen möglich wird. Wir haben untersucht, ob diese Fortbildungen wirklich in die Praxis umgesetzt wurden. Schließlich gibt es einen großen Unterschied zwischen dem, was theoretisch gelernt wird, und dem, was die alltägliche Handlungspraxis bestimmt.
Haben Sie schon erste Ergebnisse?
Ja. Das Projekt ist bald abgeschlossen. Wir konnten zum Beispiel zeigen, dass die Fortbildungen zum Aufbau demokratischer Haltungen bei Lehrkräften und Schülern dazu beigetragen haben, dass eine stärkere Bereitschaft entstanden ist, andere anzuerkennen, und ein positives Selbstwertgefühl wachsen konnte.
Was hat Sie als Mensch in all dieser Zeit am meisten in und an einem so traumatisierten Land beeindruckt? Was hat Sie erschreckt oder was hat Ihnen vielleicht auch Hoffnung gegeben?
Beeindruckt hat mich am meisten die Balance zwischen Realismus und Optimismus, der sich mir auf verschiedenen institutionellen Ebenen, aber auch bei der begleitenden Erforschung der praktischen pädagogischen Arbeit gezeigt hat. Ich habe einerseits eine pädagogische Bescheidenheit beobachtet, die aus dem Wissen aller Beteiligten entsteht, dass Bildungsprozesse in solchen schwierigen Situationen, in denen der Alltag der Menschen immer noch stark von politischen Entscheidungen und geopolitischen Strategien beeinflusst wird, nur bedingt etwas ausrichten können. Ich habe aber auch gesehen, dass dieser kleine Beitrag dann eben auch ausgeschöpft wird und es doch gelingt, die Situation von Jugendlichen zu verbessern.
Und mit welchen Gefühlen verlassen Sie jetzt dieses Land? Was bleibt?
Meine Aufgabe als Wissenschaftlerin war es, verschiedene Maßnahmen zu beobachten und zu reflektieren, sie an die internationale Forschung heranzuführen, indem wir sie überprüft, ihre Wirkung gemessen und in Bezug zu Diskursen gesetzt haben. Wir haben die empirischen Ergebnisse und die Effizienz der Maßnahmen auf verschiedenen internationalen Kongressen vorgestellt und schreiben jetzt gemeinsam mit Lehrern aus der Region ein Handbuch über Postkonfliktpädagogik in Extremsituationen.
Also gilt Ihr Forschungsinteresse primär der Bildungssituation in bestimmten afrikanischen Ländern?
Nein, es wäre falsch, wenn ich in meiner Forschung nur auf Ruanda reduziert würde. Mich interessiert die Entwicklung von pädagogischer Professionalität und ihr Verhältnis zu gesellschaftlichen Herausforderungen auch in Deutschland. Ich habe zum Beispiel vor zwei Jahren mit BMBF-Finanzierung eine Untersuchung zum Umgang mit Themen der Nachhaltigkeit und dem demografischen Wandel in der Erwachsenenbildung durchgeführt; eine ähnliche Frage in einem nicht ganz so spektakulären Umfeld. Oder mich beschäftigt zum Beispiel die Entwicklung von bayerischen Realschulen.
Was ist an den bayerischen Realschulen so spannend?
Die Realschule ist eine hoch selektive Schulart. Im Hinblick auf die Wiederholerquoten übertrifft sie das Gymnasium. Die Realschule in Bayern hat außerdem die heterogenste Schülerschaft. Das heißt also, sie hat einen hohen Anteil von Schülerinnen und Schülern, die – wenn man nur nach dem Prinzip der Zuordnung von Leistung zu Schulart denken würde – an die Hauptschule bzw. ans Gymnasium gehören.
Also ist die Realschule von der Schülerschaft her eigentlich eher eine Gesamtschule?
Ja. Aber das Bewusstsein von Realschullehrkräften entspricht nicht diesen Herausforderungen. Die Frage, wie man eine Schule so gestalten kann, dass gemeinsames Arbeiten und individuelle Förderung gleichermaßen möglich werden, erhält vor diesen völlig verschiedenen familiären und kognitiven Hintergründen der Schülerinnen und Schüler besondere Relevanz. Die internen Bedingungen für den Wandel der Schule hin zu einer fördernden Institution kann man an Realschulen besonders gut beobachten.
Kommen wir von den Schulen zurück an die Universität. Wie haben Sie denn ihr eigenes Studium empfunden? Mussten Sie es zum Beispiel selbst finanzieren?
Ich habe kurze Zeit an der LMU und längere Zeit in Bamberg studiert. Hier habe ich auch als studentische Hilfskraft gearbeitet und zum Beispiel beim Umzug der erziehungswissenschaftlichen Fächer bzw. der Psychologie von der Feki hier ins Marcushaus geholfen. Und ich war Tutorin im „Pestheim“.
Was ist Ihnen von der Zeit an der Uni Bamberg geblieben?
Die Zeit an der Uni Bamberg hat mich wissenschaftlich sehr geprägt und gerade von den Kolleginnen und Kollegen, bei denen ich hier als Hilfskraft gearbeitet habe, vor allem von den Professoren Rosenbusch aus der Schulpädagogik, Weyer aus der Musikpädagogik und Lachmann aus der Religionspädagogik habe ich viel gelernt.
Da Sie Musikpädagogik studiert haben, spielen Sie sicher auch ein Instrument?
Ich spiele Querflöte und habe zu Studienzeiten auch sehr intensiven Instrumentalunterricht haben können. Außerdem habe ich auch ab und zu bei verschiedenen Chören mitgesungen. Auch lange nach dem Studium habe ich noch sehr intensiv gespielt und bis zur Promotion noch weiter Unterricht genommen. Mittlerweile übe ich leider weniger, zu wenig.
Bleiben wir doch beim Thema Freizeit oder außeruniversitäres Engagement. Was ist in diesem Bereich für Sie charakteristisch oder prägend?
Dazu gehört in erster Linie, dass an manchen Stellen mein ehrenamtliches Engagement mit meiner wissenschaftlichen Tätigkeit sehr eng verbunden ist. Ich bin zum Beispiel stellvertretende Vorsitzende der Kammer für Bildung und Erziehung, Kinder und Jugend der evangelischen Kirche in Deutschland. Dies ist ein ehrenamtliches Engagement, aber auch eines, zu dem ich als Wissenschaftlerin einen professionellen Bezug habe. Hier habe ich mehrere Denkschriften mitgeschrieben.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel „Maße des Menschlichen. Evangelische Perspektiven zur Bildung in der Wissens- und Lerngesellschaft“, in der es um Bildung nach dem PISA-Schock geht. Oder „Kirche und Jugend. Lebenslagen – Begegnungsfelder – Perspektiven“. Im Moment schreibe ich die Denkschriften zur Inklusion und über die Schule mit. Ich war früher in der evangelischen Jugendarbeit bei den Pfadfindern sehr aktiv und mein heutiges Engagement in der evangelischen Kirche hat sich daraus entwickelt.
Hinweis
Das Interview führte für die Pressestelle der Universität Bamberg
Tanja Eisenach
Tel.: 0951/863-1023
E-Mail: medien@uni-bamberg.de