Gut verknüpft: Theorie und Praxis ergänzen sich im Dualen Ausbildungssystem.
Die Soziologin Buchholz erforscht das deutsche Ausbildungssystem und seine Schwächen.
Duale Ausbildung - so gut wie ihr Ruf?
Das deutsche Ausbildungssystem genießt international einen hervorragenden Ruf: Dank dualer Struktur, einer Verknüpfung aus Theorie und Praxis, bringt es hochqualifiziertes Personal hervor. Jugendliche haben daher auf dem Arbeitsmarkt weitaus weniger Probleme als anderswo in Europa. Dennoch: „Das System hat seine Ecken und Kanten“, weiß Prof. Dr. Sandra Buchholz vom Lehrstuhl für Soziologe I.
„Das deutsche Ausbildungssystem ist im internationalen Vergleich ein Kassenschlager“, betont Prof. Dr. Sandra Buchholz. Die duale Struktur sorgt für eine enge Verzahnung von Theorie und Praxis. „Es produziert hervorragend qualifiziertes und breit aufgestelltes Personal.“ Damit ist das deutsche System dem vieler anderer Länder überlegen. In vielen europäischen Ländern dominiert eine ausschließlich theoretisch orientierte Ausbildung. Und in den USA erfolgt die Berufsausbildung rein „on the job“. Die Folge: „Die Arbeitnehmer sind nicht breit aufgestellt, ihre Kenntnisse oft nicht auf die Arbeitsabläufe in anderen Betrieben übertragbar.“
Das deutsche Ausbildungssystem ist krisenfest
Das deutsche Ausbildungssystem hat sich als beeindruckend krisenfest erwiesen. „Gerade in Südeuropa hat die Wirtschaftskrise zu einem immensen Anstieg der Arbeitslosigkeit gerade bei jungen Leuten geführt“, so Buchholz. Als Beispiel nennt sie Spanien, wo eine Jugendarbeitslosigkeit von über 50 Prozent herrscht. Nicht so in Deutschland. „Hintergrund ist unser enorm starkes Ausbildungssystem“, erläutert Buchholz. Zum einen stelle die Lehre eine Art Schnupperphase dar. „Der Arbeitgeber sieht, ob der Auszubildende pünktlich, engagiert und zuverlässig ist. So entstehen ‚Klebeeffekte‘, es kommt zu Übernahmeverträgen.“ Zum anderen weise das deutsche Ausbildungssystem eine hohe Standardisierung und Zertifizierung auf. „Wer bei Bosch in Bamberg eine Ausbildung zum Maschinenbauer absolviert hat, sendet mit seinem Abschlusszertifikat klare Signale“, so Buchholz. Auch an anderen Standorten und in anderen Betrieben können Arbeitgeber unter Vorlage der Zeugnisse beurteilen, was ein Auszubildender gelernt hat. Das reduziert Unsicherheiten. Und ist ein Arbeitnehmer erst einmal unbefristet eingestellt, sieht das deutsche Recht einen umfassenden Kündigungsschutz vor – ganz im Gegensatz zu offenen Arbeitsmärkten mit ihrer hire and fire-Praxis.
„Berufsbefähigung nur im jungen Alter“
„Das deutsche Ausbildungssystem hat allerdings auch seine Schwachstellen“, räumt Buchholz ein. Eine davon ist seine starke Jugendzentrierung: „Die Berufsbefähigung geschieht im jungen Erwachsenenalter. Danach folgt nur noch die Berufsvertiefung.“ In der Praxis heißt das: „Man muss sich auf das verlassen, was man im jungen Alter gelernt hat.“ Klar, ein Lagerarbeiter könne noch einen Gabelstapler-Führerschein machen, eine Sekretärin sich innerbetrieblich weiterbilden und so ihre Computerkenntnisse ausbauen. Doch dass ein 40-Jähriger noch einen berufsbefähigenden Abschluss erlangt? Kaum denkbar. „Das Fortbildungssystem in Deutschland ist nicht vollberufsbefähigend“, fasst Buchholz zusammen.
Der Kündigungsschutz in Deutschland ist sehr hoch. Flexibilisierung, so Buchholz, passiere daher „durch die Hintertür“. Ein Beispiel seien befristete Verträge. So werde eine „Kündigung auf Raten“ möglich. „Auch gibt es in Deutschland eine lange Tradition der Frühverrentung“, erläutert die Professorin, die in ihrer Dissertation die Flexibilisierung von Erwerbseinstiegs- und Erwerbsausstiegsprozessen analysierte. Entsprechende Regelungen beförderten ein solches Modell: Bis vor wenigen Jahren hatten über 57-Jährige einen Anspruch auf bis zu 32 Monate Arbeitslosengeld. Dies ermöglichte ihnen eine Verrentung schon im Alter von 60 Jahren.
Keine Ausbildung für leistungsschwache Jugendliche?
Ein weiterer Kritikpunkt am deutschen Ausbildungssystem: „Ein gewisser Prozentsatz an Jugendlichen wird in Deutschland seit Jahren systematisch vom Ausbildungsmarkt ausgeschlossen.“ Von ihnen heißt es, ihre kognitiven Kompetenzen seien so gering, dass sie nicht erfolgreich in die Berufsausbildung integriert werden können. Und das, obwohl laut Arbeitgeberseite jedes Jahr Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben. „Doch sind diese Jugendlichen wirklich nicht ausbildungsfähig?“ fasst Buchholz die zentrale Frage zusammen, die sie gemeinsam mit Prof. Dr. Hans-Peter Blossfeld, den sie seit 2012 am Lehrstuhl für Soziologie I vertritt, und Schweizer Forschern in einer Längsschnittstudie zu beantworten versuchte.
Die Antwort: Offenbar schon. In der Schweiz, wo ebenfalls ein duales Ausbildungsmodell herrscht, absolvieren auch sogenannte leistungsschwache Jugendliche erfolgreich eine Ausbildung. „Zum einen ist der Arbeitsmarkt in der Schweiz leerer gefegt als in Deutschland“, erklärt Buchholz die Hintergründe. Daher könnten es sich Arbeitgeber nicht leisten, auf einen bestimmten Prozentsatz eines Jahrgangs zu verzichten. Zum anderen dominieren in Deutschland Großbetreibe den Ausbildungsmarkt – in der Schweiz hingegen Klein- und Mikrobetreibe. Und die arbeiten weniger selektiv bei der Bewerberauswahl und achten weniger stark auf Zeugnisse und formale Bildungsabschlüsse. „Folglich handelt es sich bei geringeren kognitiven Kompetenzen nicht um ein absolutes, sondern lediglich um ein relatives Ausschlusskriterium“, fasst Buchholz zusammen.
„Warum entfalten sich Lebensläufe so und nicht anders?“
Buchholz‘ Steckenpferd sind Lebensverlaufsforschung und soziale Ungleichheit im internationalen Vergleich. Und das schon seit dem ersten Studiensemester: „Als ich anfing, Soziologie zu studieren, hatte ich Lust darauf, mich mit Theorien zu befassen. In der Sozialstrukturanalyse-Vorlesung merkte ich jedoch schnell: Es ist spannend, sich zu fragen, warum es soziale Ungleichheiten gibt, warum sich Lebensläufe in Deutschland so und nicht anders entfalten. Da war mir in der ersten Studienwoche schon klar: Das interessiert mich.“ Heute erteilt Buchholz selbst Vorlesungen im Bereich Sozialstrukturanalyse. „Ich möchte bei meinen Studierenden ein Verständnis schaffen: Wie sind Lebensläufe, was ist normal und ist das, was als anomal gilt, tatsächlich anomal oder geht es in anderen Ländern sehr wohl?“, so Buchholz, die bereits zweimal mit dem Preis für exzellente Lehre ihrer Fakultät ausgezeichnet wurde.
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Diesen Pressetext verfasste Andrea Lösel für die Pressestelle der Universität Bamberg. Er kann für redaktionelle Zwecke verwendet werden.
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