Diese Naturkulisse trügt: Archäologische Forschung in den Schweizer Alpen ist oft beschwerlich (Bild: photocase)
Marginalzonen-Archäologe Werner Meyer
Murmeltiere werden scheinbar auch von Wissenschaftlern gerne gefangen und verspeist (Bild: photocase)
Archäologie mit Bergsturz und Murmeltier
Die Marginalzonen-Archäologie ist alles andere als eine marginale Wissenschaft. Davon konnte der Basler Wissenschaftler Werner Meyer die Zuhörerrinnen und Zuhörer seines Vortrags „Siedlungsarchäologie in einem Marginalraum Zentraleuropas: das Beispiel Alpen“ überzeugen.
„Geographisch gesehen arbeiten wir im Herzen Europas“, berichtete der Basler Emeritus für Mittelaltergeschichte, Prof. Dr. Werner Meyer, der in diesem Semester die Ringvorlesung des Zentrums für Mittelalterstudien (ZEMAS) eröffnete. Sein Vortrag trug den Titel: „Siedlungsarchäologie in einem Marginalraum Zentraleuropas: das Beispiel Alpen“. Der Wissenschaftler gab zu, dass sein Forschungsschwerpunkt in einigen Bereichen durchaus ‚exotisch’ wirken mag: Marginalraumarchäologie in den Schweizer Alpen, das bedeute tagelange Märsche und schwierige Touren mit Maultieren, damit allein die Ausrüstung erst einmal zur Ausgrabungsstätte transportiert werde. Der Grabungsschauplatz, in seinem Fall der dünn besiedelte Alpenraum, halte mit seiner relativ unberührten Landschaft neben herrlichen Natureindrücken auch starke klimatische Gegensätze auf engstem Raum bereit, die weder der Bevölkerung noch den Archäologinnen und Archäologen Arbeit und Leben leicht machten.
Forschung im Hochgebirge
Werner Meyer konnte in seinem Vortrag aufzeigen, dass seine Wissenschaft zwar exotisch, nicht aber marginal ist. Die von der Wissenschaft bislang so gut wie nicht erforschten Alpensiedlungen erwiesen sich, so Meyer, als Überbleibsel mittelalterlicher Dauer- und Temporärsiedlungen. Es handle sich dabei um unscheinbare, aber wertvolle Zeugnisse einer alpinen Hirtenkultur, die mit ihren Wurzeln in vorgeschichtliche Zeit zurückreiche und im Mittelalter verschiedene Umstrukturierungen erfahren habe. „In der mittleren Bronzezeit kam es zu einer Bevölkerungsverdichtung“, berichtete Werner Meyer, „aber viel ist erst im Mittelalter erschlossen worden.“ Das Bild, das man heute von der Schweiz habe, erklärte er, entspreche keineswegs der Landschaft des Mittelalters: „Die Talsohlen waren damals fast durchgehend noch Seegrund oder doch zumindest stark versumpft. Bellinzona, die Hauptstadt des Tessins, hatte noch im 15. Jahrhundert einen Hafen vom Lago Maggiore.“
Mit trockenem Humor streute der Schweizer Marginalzonen-Archäologe immer wieder auch ganz marginal Wissenswertes jenseits der historischen Forschung ein. So erfuhren die Zuhörer, wie die beliebtesten Eigennamen für Schweizer Kühe lauten, wie und vor allem wann man am besten Murmeltiere fangen und verzehren könne und dass nicht alle Gletscherleichen so unversehrt wie der bekannte ‚Ötzi’ die Zeit überdauert hatten; Meyer erwähnte den Fund eines Söldners aus dem 16. Jahrhundert: „An und für sich gut erhalten, jedoch in Einzelteile zerlegt auf einer Strecke von etwa 80m.“ Die Anekdoten täuschten aber nicht darüber hinweg, dass die Lebensumstände der Schweizer Bergbevölkerung alles andere als einfach waren: Meyer berichtete von Vorrichtungen, mit denen man Kleinkinder festbinden konnte, um sie vor Abstürzen zu schützen, oder von einem einstmals blühenden Dorf, das von einem Bergsturz verschüttet wurde.
Qui fu bella campagnia
„Einst war hier schönes Land“, lautet dort eine Inschrift, die Meyer präsentierte. Nach einem verheerenden Bergrutsch mussten Siedlungen meist ganz aufgegeben werden. Doch die Bevölkerung wusste die Naturkatastrophen auch zu nutzen: ‚Splüli’ (vom lat. spelunca, Höhle) heißt die kleine Bauform, die unter Verwendung von Bergstürzen entstand. „Es fällt leichter zu bauen, wenn die Natur schon ein oder zwei Wände vorgegeben hat“, erklärte Werner Meyer. Die Vorteile lägen auf der Hand: das Baumaterial sei vorhanden und zudem werde an Bergsturzstellen kein wertvolles Weideland verschwendet.
Auch wenn die Marginalzonen-Archäologie in den Alpen nicht mit den gleichen Problemen durch neuere Besiedlung zu kämpfen hat, so verwies Werner Meyer auf Momente, in denen seine Disziplin mit der modernen Gesellschaft in Konflikt gerät: Skiliftbauten verändern die Struktur ganzer Täler, und dadurch bedarf es nur weniger Pisten und Skiläufer im Winter, um jahrhundertealte Zeugnisse alpiner Besiedlung für immer zu zerstören. Qui fu bella campagnia.
Weitere Vorträge im Rahmen der Mittelalter-Ringvorlesung
22. Mai: Prof. Dr. Sebastian Brather (Universität Freiburg):
Bestattungen und Identitäten. Soziale Gruppen und Rollen im frühen Mittelalter
29. Mai: PD Dr. Detlef Gronenborn (Römisch-German. Zentralmuseum, Mainz):
Die Sonne, der Sultan, seine Soldaten und die Sklaven: Historische Klimatologie und die Islamisierung in Westafrika
12. Juni: Prof. Dr. Thomas Leisten (Princeton University, USA):
Der umayyadische Palast von Balis, Syrien. Neue Ausgrabungsergebnisse
19. Juni: Prof. Dr. Sabine Felgenhauer (Universität Wien):
Archäologie und Siedlungsgeschichte im ehemaligen Nordwald (Niederösterreich)
26. Juni: Prof. Dr. Bernd Päffgen (LMU München):
Magdeburg im 10. Jahrhundert
03. Juli: Dr. Kai Thomas Platz (Universität Bamberg):
Alles ausgegraben und erforscht? Neue Ergebnisse zum ehemaligen Reichskloster Lorsch a. d. Bergstraße
10. Juli: Prof. Dr. Hans-Georg Hüttel und Christina Franken M.A.,
(Kommission für Archäologie außereuropäischer Kulturen des Deutschen Archäologischen Instituts, Bonn): Die Stadt des Djingis-khan. Die Ausgrabungen in der altmongolischen Hauptstadt Karakorum
17. Juli: PD Dr. Uta Halle (Humboldt Universität Berlin):
Mittelalterarchäologie unterm Hakenkreuz
Die Vorlesungen finden jeweils montags um 20.00 Uhr An der Universität 2 (U2) im Hörsaal 1 statt.