Professor Kügler und sein Lehrstuhlteam: Masiiwa Ragies Gunda und Eric Souga Onomo neben Stipendiaten aus dem Promotionsprogramm.
Der Musiker Dr. Urbain N'Dakon griff das Frauen-Motiv auf und sang ein Lob auf die Mutter. (Bilder: Stefanie Hattel)
Von der Gottesgemahlin des Amun zur Braut Christi
Die Briefe des Neuen Testaments reflektieren häufig das soziale Umfeld der jungen Christengemeinden, regeln das Sozialverhalten und stellen verbindliche Gemeinderegeln auf. Professor Dr. Dr. habil. Joachim Kügler unternahm in seiner Antrittsvorlesung eine Re-Lektüre des ersten Timotheusbriefs.
Der erste Brief an Timotheus stammt aus den Jahren um 100 nach Christus. Er stammt nicht von Paulus, sondern wurde von einem Unbekannten unter dem Namen des Apostels geschrieben und richtet sich fiktiv an einen der engen Mitarbeiter des Paulus, Timotheus, der hier als Gemeindeleiter vorgestellt wird. Wegen seiner „frauenfeindlichen Einstellung“ sei der Text in der Exegese wie unter modernen Christen „wenig beliebt“, warnte Kügler. Das fünfte Kapitel enthält eine traditionelle Gemeinderegel (1 Tim 5,3-16) für die Zulassung zum „Witwenstand“, der sich im ersten Jahrhundert nach Christus offenbar großer Beliebtheit erfreute. Alleinstehende Frauen oder „Witwen“, so die Rekonstruktion, bekleideten in der frühen Gemeinde einen hohen sozialen Rang, wurden geachtet und von der Gemeinde finanziell unterhalten. Grund dafür war das zeitgenössische Verständnis des Witwenstands als spiritueller Existenz: „Die wahre Witwe und Alleinstehende aber hat gehofft auf Gott und verharrt in Gebeten und Anrufungen bei Tag und Nacht“ (1 Tim 5,5).
Kultische Überhöhung und soziale Abwertung
Die Vorstellung einer besonderen Beziehung zu Gott gründet bereits in der Verkündigung des Alten Testaments. In alttestamentlicher Zeit waren Witwen, mittellos und alleinstehend, noch von sozialer Ausgrenzung bedroht. Im „Typus“ der hilflosen Witwe ließ sich Gottes Zuwendung zum Menschen illustrieren: „Ein Vater den Waisen / ein Helfer den Witwen“, heißt es schon im 68. Psalm. Die Ehe-Metapher für die besondere Gottesbeziehung der Witwen geht allerdings auf ägyptisch-griechische Einflüsse zurück. So kann in einem Hymnus aus dem Neuen Reich der Reichsgott Amun als Gatte der Witwen gesehen werden. er nimmt also den Platz des verstorbenen Mannes als männlicher Beschützer und Versorger ein: „Sagen nicht die Witwen, du bist unser Gatte“. In der Spätzeit des Alten Ägypten (ab 1050 vor Christus) war „Gottesgemahlin des Amun“ eine Ehrenbezeichnung für eine Priesterin des Amun in Theben. In ihrer kultischen Funktion kam ihr Status dem eines Königs gleich. Innerhalb der Militärdidaktur des Hohepriesters von Theben, gab Kügler zu bedenken, entsprach die kultische Überhöhung allerdings eher einer Kontrollfunktion des Priesterfürsten, der um seinen Einflussbereich fürchtete. Auch der Status der römischen Vestalinnen, einer weiteren Parallele, die Kügler zog, war ambivalent. Noch als Kinder wurden „die Abbilder der Bezugsgöttin Vesta“ für 30 Jahre zu Keuschheit und Tempeldienst bestimmt. Zwar genossen sie hohes soziales Prestiges und nahmen am öffentlichen Leben teil, doch stand auf Übertretung des Zölibats der Tod.
„Hier spricht die gequälte Männerseele“
Der jüdische Theologe Philo von Alexandrien, ein Zeitgenosse Jesu und „eine hohe Autorität der frühen Kirche“, erklärte das gottgeweihte, jungfräuliche Leben zur vollendeten menschlichen Existenz. Dies zeige sich, so Kügler, an seiner Beschreibung der „Therapeuten“, einer jüdischen Sekte aus Männern und Frauen, die in strenger Askese nach Weisheit strebten. Die weiblichen Mitglieder, von Philo als „alte Jungfrauen“ bezeichnet, sollten von „Verstandesstrahlen durchdrungen“ werden und die Tugenden als „Gottes geistige Kinder“ zur Welt bringen. Der hellenistische Einfluss auf Philos Proklamation des Jungfrauen-Ideals sei offenkundig und bringe vor allem die damals grassierende „tiefe Verachtung der weiblichen Sexualität“ zum Ausdruck, da Philo die Jungfrau als vermännlichtes Wesen verstehe. Nur als „Unfrau“ könne er sie akzeptieren. Zur Zeit des Timotheusbriefs war es um das Ansehen der Frau kaum besser bestellt. Die Frau ging mit der Heirat in den Besitz ihres Gatten über, der Koitus galt als „Akt der Unterwerfung“. So stellte der selbstbestimmte Zölibat eine Option für größere persönliche Freiheit der Frau dar. Diese aber war den Patriarchen der Gemeinde ein Dorn im Auge, denn die Gott empfohlenen Frauen nutzten ihren größeren Handlungsraum zur aktiven Seelsorge, meinte Kügler. Vor dem Hintergrund einer patriarchalischen Gesellschaft las Kügler den Timotheusbrief als polemische Attacke auf ein neues weibliches Selbstbewusstsein. „Hier spricht sich die gequälte Männerseele aus,“ meinte Kügler, wenn der Verfasser gegen die neue Umtriebigkeit der Frauen polemisiere: „…zugleich aber auch faul [zu sein], lernen sie, umhergehend in den Häusern, nicht nur aber faul, sondern auch geschwätzig und übergeschäftig, redend das nicht Nötige“ (1 Tim 5,13). In seiner Polemik gegen Frauen in der Seelsorge zeige der Timotheusbrief ein ebenso problematisches wie leider „hochaktuelles Kirchenbild“, schloss Kügler.
Kritischer Exeget
Mit der historischen Einbettung des „Ehestands“ der Braut Christi schlug Kügler eine weitere Brücke „from science to public“, für die seine Forschung über die Grenzen seines Fachs hinaus bekannt ist. Der Neutestamentler fragt stets nach der praktischen Bedeutung der Bibelwissenschaft und geht derzeit vor allem Geschlechterrollen im religiösen Kontext auf den Grund. Professor Dr. Klaus Bieberstein, Dekan der Fakultät für Katholische Theologie, hieß den neuen Inhaber des Lehrstuhls für Neutestamentliche Wissenschaften als das „dienstälteste Mitglied der Fakultät“ willkommen: Kügler hatte nämlich von 1977 bis 1983 in Bamberg studiert und war bei Professor em. Dr. Paul Hoffmann mit einer Arbeit zum „Jünger, den Jesus liebte“ promoviert worden. 1997 folgt die Habilitation mit einer Arbeit zum Zusammenhang zwischen altägyptischer Königsideologie und der christlichen Deutung Jesu als Sohn Gottes in Bonn. Seit 1999 war er Ordinarius für Biblische Theologie an der Universität Bayreuth. Er ist Initiator des Internationalen Netzwerks kritischer Exegeten (INKE). Für seine Berufung an die Otto-Friedrich-Universität Bamberg sprach Professor Bieberstein dem „Urfranken“ Kügler höchste fränkische Anerkennung aus: „Passt scho!“
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