Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen (Bild: jottkah/photocase).

Heidrun Alzheimer behandelte in ihrer Antrittsvorlesung historische Reiseberichte (Bild: Rainer Schönauer).

- Rainer Schönauer

Was man aus Reiseberichten lernen kann

In ihrer Antrittsvorlesung beschäftigte sich Prof. Alzheimer mit Reisebeschreibungen

Durch die Globalisierung sind immer mehr Menschen „unterwegs“: Touristen, Geschäftsreisende, Ein- und Auswanderer. In ihrer Antrittsvorlesung ging Heidrun Alzheimer in der Geschichte zurück: Sie analysierte Beispiele von Reiseberichten aus der Frühen Neuzeit.

Migrationsbewegungen habe es verstärkt seit dem 18. Jahrhundert gegeben, als Bildungsreisende und Volksaufklärer begannen durch Europa zu reisen, um sich in fremden Städten weiterzubilden, führte Prof. Dr. Heidrun Alzheimer in ihrer Antrittsvorlesung „Erfahrungsraum Europa. Transnationale Perspektiven in Reiseberichten“ am 2. Dezember aus.

Die so entstandenen Reisebeschreibungen seien keine reine Unterhaltungsliteratur gewesen, erklärte sie, sondern „nahmen im Prozess der politischen Meinungsbildung eine wichtige Rolle ein und führten zur Entstehung der Aufklärungsgesellschaften.“ Da sich die Verfasser der Reiseberichte meist längere Zeit im Ausland aufgehalten hätten, erfahre man oft genaue Details über Landwirtschaft, Gewerbe, Zunftwesen, wirtschaftliche und soziale Probleme, Bildung und religiöse Bräuche.

Drei kommen durch die Welt

Details, welche für die Europäische Ethnologie besonders interessant sind. Seit 2006 ist Alzheimer die Inhaberin des Lehrstuhls für eben dieses Fach an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

In Gemünden am Main geboren absolvierte Alzheimer nach dem Abitur ein Volontariat bei der „Kitzinger Zeitung“ und arbeitete zwei Jahre lang als Redakteurin, bevor sie 1982 das Studium der Pädagogik und Volkskunde an der Universität Würzburg aufnahm und sich zur Montessori-Erzieherin ausbilden ließ. Nach ihrer Promotion 1990 und ihrer Habilitation 2003 folgte sie 2006 dem Ruf an die Universität Bamberg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen dabei in der Erzähl- und Brauchtumsforschung, womit sie die Lehrtradition ihrer Vorgängerin Prof. Dr. Bärbel Kerkhoff-Hader weitestgehend fortsetzt. Zurzeit entsteht unter ihrer Leitung ein kleines Brauchtumslexikon, das sich an Journalisten und Heimatpfleger wenden und ihnen rasche Informationen über Bräuche der Region Unterfranken liefern soll.

Im Mittelpunkt ihrer Antrittsvorlesung standen drei reisende Volksaufklärer. Zum einen der Österreicher Johann Pezzl, der 1783 auf seiner „Reise durch den Baierischen Kreis“ die sozialen und wirtschaftlichen Missstände in Kurbayern aufzudecken versuchte und vor allem gegen die Kirche zu Felde zog. Außerdem erwähnte sie den Juristen Justus Möser, der sich während seines Aufenthalts in London 1763/64 mit dem Bettelwesen befasste und feststellte, dass ein Bettler meist „doppelt und dreimal so viel erbettelt hatte, als der fleißigste Handwerksmann in einem Tag verdienen kann“. Zuletzt ging die Volkskundlerin auf den Amerikaner Benjamin Franklin ein, der in seiner 20-jährigen Botschaftertätigkeit in Europa wesentlichen Einfluss auf die Volksaufklärung ausübte und seine Zeitgenossen vor allem durch seine praktische Tugendlehre faszinierte. In einem Tugendbuch definierte er dreizehn Kernqualitäten zur Verwirklichung des natürlichen Glücksstrebens und entwickelte ein wöchentliches Trainingsprogramm zur moralischen Vervollkommnung.

„Reisen bildet, Reisen verbildet aber auch!“

Zusammenfassend stellte Heidrun Alzheimer noch einmal heraus, warum es ein lohnendes Unterfangen ist, sich mit den 200 Jahre alten Reiseberichten zu beschäftigen. Denn Reiseberichte würden frühe Beispiele transnationaler Lebensweisen dokumentieren, die heute für immer mehr Menschen zum Alltag werden. Zudem lehre die Lektüre, dass man als Wissenschaftler nie die Betrachtungsperspektive aus dem Auge verlieren dürfe, denn die Reiseberichte seien keine objektiven Bestandsaufnahmen. Die Autoren trugen jeder eine eigene „Brille“ und sahen immer nur, was sie sehen wollten. „Reisen bildet, reisen verbildet aber auch die Wirklichkeit des Gesehenen“, so Alzheimer. Trotzdem würden Reiseberichte die Möglichkeit zur Erfahrung der Andersartigkeit von Kulturen bieten und „uns erlauben den Wandel von Selbst- und Fremdbildern und damit ihren Konstruktcharakter nachzuvollziehen“