Augmented Reality, ein Beispiel für den Megatrend Assistenz (Foto: Pbre71/wikimedia/gemeinfrei)

Otto K. Ferstl im Gespräch auf seiner Abschiedsfeier (Fotos: Katja Hirnickel)

Der ehemalige Kollege Christian Suchan erklärte dem Publikum Ferstls „besondere Sicht auf die Welt“

Die Universitätsleitung und Fakultät, Kollegen, Mitarbeiter und Studierende, Freunde und Familie lauschten Ferstls Vortrag zu den Megatrends seines Fachs

- Katja Hirnickel

Megatrends der Wirtschaftsinformatik

Otto K. Ferstl verabschiedet sich nach 20 Jahren

Prof. Dr. Otto K. Ferstl vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, insbesondere Industrielle Anwendungssysteme, betrat mit seiner Abschiedsvorlesung am 6. Dezember 2012 Neuland: Er ist der erste Professor, der die Fakultät Wirtschaftsinformatik und Angewandte Informatik (WIAI) seit ihrer Gründung verlässt – bisher hatte es nur Antrittsvorlesungen gegeben.

Es war ein Abend umfassender Würdigung seines wissenschaftlichen und universitären Lebens durch die Universität, Kollegen und Studierende und ein Abend überraschender Einblicke in die Welt der IT-Systeme für die Nicht-Informatiker im Publikum. Die Universitätsleitung, vertreten durch den Vizepräsidenten für Technologie und Innovation Prof. Dr. Guido Wirtz, dankte Ferstl für sein Engagement für die Virtuelle Hochschule Bayern (vhb) und den Virtuellen Weiterbildungsstudiengang Wirtschaftsinformatik (VAWi) – bei beiden Projekten arbeitete Ferstl entscheidend bei der Gründung mit.

„Bevor die WIAI die WIAI war“

Die Geschichte der Fakultät WIAI in Bamberg sei untrennbar mit Otto K. Ferstl verbunden, bekannte der Dekan der Fakultät Prof. Dr. Tim Weitzel – und zwar schon „bevor die WIAI die WIAI war“, denn 1992 kam Ferstl nach Bamberg, 2001 wurde die neue Fakultät gegründet. „WIAI war die erste Fakultät, die deutschlandweit die Bezeichnung Wirtschaftsinformatik in ihrem Namen führte“, so Weitzel, „und Kollege Ferstl war maßgeblich an der Gründung beteiligt.“ Prof. Dr. Elmar Sinz vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, insbesondere Systementwicklung und Datenbankanwendung, ist sogar noch ein wenig länger an der Universität Bamberg und kennt als langjähriger Mitstreiter seinen Kollegen bestens: Ferstl habe immer konsequent eine Forschungsrichtung verfolgt, habe eine gute Diskussionskultur gepflegt und beharrlich auch „kühne Ideen“ verfolgt.

Ferstls ehemaliger Mitarbeiter Christian Suchan würdigte dessen „besondere Sicht auf die Welt“ und seine beinahe prophetischen Prognosen für zukünftige Entwicklungen. Eine dieser Prognosen stellte der Student Thomas Friedrich vor: „Es ist eine Welt, in der Flugzeuge ohne Piloten fliegen. Ob am Bahnhof oder am Flughafen, wir zahlen mit unserem Smartphone und unser Kühlschrank kauft für uns ein. Es ist eine Welt, in der Informationssysteme allgegenwärtig sind.“

„Ein Megatrend wird in seiner Wirkung häufig unterschätzt“

Dass sich der Student dabei nicht in einer zukünftigen Science-Fiction-Welt, sondern (fast) in der Gegenwart bewegte, bewies Otto K. Ferstl anschließend mit seiner Abschiedsvorlesung. Er sprach über Megatrends der Wirtschaftsinformatik, blickte damit „auf die Wege, die wir in der Wirtschaftsinformatik zurückgelegt haben“ und prognostizierte, wohin die Reise gehen wird. Ein Megatrend sei ein langfristiger Treiber von gesellschaftlichem, technologischem und wirtschaftlichem Wandel. Er werde „in seiner Geschwindigkeit oft überschätzt, in seiner Wirkung jedoch häufig unterschätzt.“
Der Wirtschaftsinformatiker nannte vier Megatrends: Automatisierung, Assistenz, Intelligente Maschinen und „Cyborgs“. Bei der Automatisierung ersetzen IT-Systeme menschliche Arbeitskraft. Diese Tendenz gebe es seit den 60er Jahren, erklärte Ferstl, d.h. sie sei weit fortgeschritten und etabliert. Trotzdem werde sich auch dieser Trend zukünftig fortsetzen und habe noch Wachstumspotenzial, beispielsweise beim „Fremdbetrieb von IT-Systemen“, wie er vielen Nutzern im Rahmen der Cloud-Systeme bereits begegnet ist.

Megatrends laufen über Jahrzehnte

Der zweite Megatrend, die Assistenz, ist dadurch gekennzeichnet, dass „die menschliche Arbeitskraft nicht ersetzt, sondern unterstützt und ergänzt werden soll“, erklärte Ferstl. Insbesondere IT-Systeme für Echtzeit-Sprachübersetzung, zur Darstellung von Augmented Reality (Ergänzung von Bildern mit computergenerierten Zusatzinformationen mittels Einblendung) und Ambient Assisted Living (Überwachungs- und Assistenzsysteme in Wohnung und Umgebung älterer Menschen) werden in den nächsten Jahrzehnten noch größere Bedeutung erlangen, so der Wirtschaftsinformatiker.

Auch für den dritten Megatrend, für die Verschmelzung von technischen Systemen mit IT-Systemen zu intelligenten Maschinen, gibt es bereits heute etablierte und allgemein akzeptierte Beispiele. Die schon heute militärisch eingesetzten Drohnen könnten in Zukunft auf für zivilen Fracht- und Personenverkehr eingesetzt werden. Vollautomatisierte Fertigung und intelligente Stromnetze setzen sich allmählich durch. Diese zweite Generation löst dank Selbstorganisation und Selbstoptimierung komplexe Aufgaben eigenständig.

Verschmelzung von IT-Systemen mit biologischen Systemen

„Der vierte Megatrend überträgt das Konzept des dritten Megatrends auf biologische Systeme“, fuhr Ferstl fort und nannte Chips bei Nutztieren und Herzschrittmacher, Hörgeräte und Prothesensteuerung beim Menschen als Beispiele für „Cyborgs“, für die Verschmelzung von IT-Systemen mit biologischen Systemen.

Bei aller Begeisterung für sein Fach blickte und blickt Otto Ferstl immer auch auf die Bedeutung und Bewertung, die solche Megatrends auf technologischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene hatten und haben werden. Der erste Megatrend Automatisierung habe klare Vorteile auf wirtschaftlicher und technischer Ebene, denn Leistung und Kapazität werden bei niedrigeren Kosten, weniger Zeit und höherer Qualität gesteigert. Da IT-Systeme jedoch nicht nur die Arbeitsbelastung senken, sondern auch Arbeitsplätze einsparen, sei die gesellschaftliche Bewertung nicht ausschließlich positiv. Dasselbe gelte für die Systeme des dritten Megatrends Intelligente Maschinen. Anders sieht dies bei den Assistenzsystemen aus: Gerade mit Blick auf die alternde Gesellschaft seien beispielsweise IT-Systeme für das Ambient Assisted Living dringend notwendig und erwünscht, so Ferstl. Für den vierten Megatrend gebe es bisher noch keine verlässliche Bewertung, Erfolgspotenzial und gesellschaftliche Akzeptanz könnten noch nicht angegeben werden. „Alle diese Megatrends sind weiterhin aktiv und werden im 21. Jahrhundert Wirtschaft, Gesellschaft und individuelle Situationen erheblich verändern“, schloss Otto K. Ferstl. In welcher Form sich die Megatrends weiterentwickeln, das zu erforschen wird nun die Aufgabe der nächsten Forschergeneration sein.

Weiterführende Informationen

Die komplette PowerPoint-Präsentation zum Vortrag von Otto K. Ferstl finden Sie im Internetauftritt des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik, insbesondere Industrielle Anwendungssysteme.