Die "MS Antwerpen" in Seenot - die Crew muss schwierige Entscheidungen treffen (Bilder: Projektseminar "Problemlösen").

Susanne Starke bei der Steuerung der Simulation.

Zwei der Beobachter bei der Arbeit.

Vorstellung der Reflexionsergebnisse.

- Verena Auerbach

Studierende in Seenot!

Problemlösen in Extremsituationen mit der Simulation „MS Antwerpen“

Wie entscheiden wir uns in akuten Krisen, wenn unsere Entscheidung für uns und andere Menschen extreme Folgen haben kann? Das Seminar „Problemlösen“ gab Studierenden Gelegenheit, sich einer solchen „Krise“ zu stellen: Sie nahmen an der dynamische Computersimulation „MS Antwerpen“ teil, die kritische Ernstfälle auf einem Luxusdampfer simuliert.

Wenn man bedenkt, wie viele Entscheidungen jeder Mensch im Laufe seines Alltags zu treffen hat, sollte man meinen, je größer der Erfahrungsschatz, desto einfacher die Wahl. Wie aber reagieren wir in Extremsituationen, die außerhalb unserer Erfahrungen liegen, in denen nicht nur die Zeit gegen uns zu arbeiten scheint, sondern auch vernetztes Denken gefragt ist?

Die dynamische Computersimulation „MS Antwerpen“ wurde an der Universität Bamberg von Stefan Strohschneider und Jürgen Gerdes entwickelt, um als  Trainingsinstrument für genau solche kritischen Situationen zu dienen. Im Rahmen des Seminars „Problemlösen“ übten nun elf Bamberger Studierende der Psychologie und Pädagogik mit der Simulation    situationsübergreifende Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Kommunikation, strategisches Denken und Krisenmanagement.

SOS auf hoher See

Der Luxusdampfer „MS Anwerpen“, ein Kreuzfahrtschiff unter panamesischer Flagge, befindet sich zu Beginn des Spiels im Nordatlantik vor der neufundländischen Küste und ist bereits zwei Monate auf hoher See. Ziel der 300 Passagiere und knapp 200 Besatzungsmitglieder ist Miami, Florida. Durch seine komplizierte räumliche und technische Struktur und die Distanz zu Außenwelt und Festland eignet sich ein Schiff besonders für das Training. Denn in diesem abgeschlossenen System kann Hilfe von außen als primäre Möglichkeit zur Bewältigung des „innerweltlichen“ Problems nicht erfolgen.

Als Trainerin fungierte Susanne Starke, Diplom-Psychologin und freiberufliche Human-Factor-Trainerin, die sich auf die Themen Krisenstabsarbeit und Komplexitätsbewältigung spezialisiert hat und gemeinsam mit Diplom-Psychologin Anja Salvan, Dozentin des Seminars „Problemlösen“, das Training initiierte. Regen Zulauf für ihre Planspiele und Simulationen erhält Starke von Hochrisikoorganisationen wie Polizei oder Sicherheitsdiensten, aber auch von Banken und Versicherungen, die sich mit dem Thema „Business Continuity Management“ auseinandersetzen. Ein solches Training mit Studierenden durchführen zu können, erachtet Starke als Gewinn für ihre Arbeit: „Die beiden Studierenden-Crews waren mit großem Engagement bei der Sache und haben, denke ich, viel dabei gelernt. Gerade in der Reflexion nach den beiden Fahrten konnte man deutlich sehen, dass sie sich eine Menge Gedanken zum Transfer der Erfahrungen gemacht haben“.

Starke koordinierte zusammen mit Salvan den Spielverlauf und nahm die von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern angeleiteten Handlungsbefehle entgegen. Die Trainer waren bei der Steuerung der Simulation sozusagen als Schnittstelle zwischen PC und Spielern tätig, indem sie Eingaben in das System tätigten und über Drucker Informationen zur aktuellen Lage an Bord weitergaben. So bekamen die Studierenden Daten wie den aktuellen Kurs, das Radarbild sowie Funksprüche von der Reederei oder Meldungen zur Lage der Passagiere übermittelt.

Die per Los verteilten Rollen umfassten Kapitän, Erster Offizier, Erster Ingenieur, Navigator, Chefsteward und Schiffsarzt, also zentrale Entscheidungsträger der Crew. Eine zweite Gruppe zeichnete als Beobachter das Verhalten der Teilnehmer auf. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten frei entscheiden und handeln, hatten Einfluss auf Passagiere und Besatzung, trugen aber auch Verantwortung für die Nebeneffekte ihrer Entscheidungen und mussten den Informationsfluss zu verarbeiten.

Nach einer kurzen Einübungsphase, in der man sich in die Grundlagen der Arbeit auf hoher See einarbeiten konnte, verdichteten sich die bedrohlichen Ereignisse immer mehr. Während Ausfälle der Maschinen oder schlechte Wetterverhältnisse zum alltäglichen Problempool gehörten, erwies sich ein Großbrand im Maschinenraum als dramatischer Höhepunkt der ersten Spielrunde. Hier mussten einige verheerende Verluste in Kauf genommen werden. Der Brand forderte „Tote“ und führte zu großen Schäden am Schiff.

Aus Fehlern lernen

In der anschließenden Reflexion wurde das Vorgehen der Gruppe ausführlich diskutiert. Dabei ging es nicht nur um das eigene Verhalten, sondern auch um Aspekte wie die Zusammenarbeit als Team, oder die Bewältigung des Informationsflusses. Anschließend folgte ein Fazit, welche Strukturen beibehalten und welche überdacht und verbessert werden sollten. Dabei halfen die Beobachter als Außenstehende, die einige verhängnisvolle Prozesse erkannten und so hilfreiche Anregungen geben konnten. Einer weiteren Katastrophe sollte nun in der zweiten Runde mit der Prämisse „aus Fehlern lernen“ vorgebeugt werden.

Als gewinnbringend bewerteten die Studierenden vor allem, dass es durch die Reflexion ihrer Handlungen möglich war, sichtbare Verbesserungen im Management der Situationen und in ihrem eigenen Verhalten zu erzielen. Reger Austausch und Beratung war ebenso unerlässlich wie die Bereitschaft, nicht „sein eigenes Süppchen zu kochen“ und „ruhig Blut zu bewahren“. Erfolgreiches Handeln im Team bedeutete auch, anderen zu vertrauen: „Wir haben gelernt, auch mal delegieren zu müssen - etwas, was auch in unserem eigenen Alltag sinnvoll ist“, so eines der Crewmitglieder.

Eine Verbesserung zeigt sich schon in der zweiten Spielrunde. Nun gelang es den Studierenden weitaus besser, Informationen nach ihrer Wichtigkeit zu sortieren und klare Prioritäten zu setzen.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer freuten sich über den Erfolg ihres Trainings.  Nicht nur konnten sie ihre Eigenwahrnehmung in Krisensituationen schärfen, sondern auch die in Uni- und Berufsalltag geforderte Teamzusammenarbeit schulen. Die Studierenden etablierten auf dem Schiff eine erfolgreiche gemeinsame Arbeitsstruktur, die auch in weniger kritischen Situationen hilfreich ist. Dazu konnte vernetztes Denken spielerisch erlernt werden. Beides Fähigkeiten, die im späteren Berufsleben von großem Nutzen sind.