Die Probanden konnten sich zwischen Geld oder dem Leben einer Labormaus entscheiden. (Foto: Hendrik Steffens)

Nora Szech ist VWL-Professorin an der Universität Bamberg. (Fotos: privat)

Die Ergebnisse ihrer Studie wurden in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.

Geld oder Leben?

Vom Einfluss der Märkte auf moralische Entscheidungen

Stellt man einen Menschen vor die Wahl, sich zwischen Geld und seinem eigenen Leben zu entscheiden – die meisten müssten nicht lange nachdenken. In der Theorie gilt dasselbe für Leben und Gesundheit von Mitmenschen. Wir sind gegen Massentierhaltung und Kinderarbeit, gegen Umweltzerstörung und die Ausbeutung von Fabrikarbeitern. Doch wenn wir einkaufen, bestimmt oft eines unsere Kaufentscheidung: der Preis! Geiz ist geil und so suchen wir nach den billigsten Riesenschnitzeln und der günstigsten Kleidung. Doch woher kommt die Differenz von theoretischem Wertebild und der Handlung in der Praxis? Mit dieser Frage haben sich Prof. Dr. Nora Szech und Prof. Dr. Armin Falk beschäftigt. Die Kernhypothese war, dass Märkte – verglichen mit Individualentscheidungen – die Moral untergraben. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Akteure im Marktgeschehen gegen ihre eigenen moralischen Standards verstoßen“, sagt Falk. Wirklich überraschend ist das nicht, nun aber erstmalig auch empirisch nachgewiesen.

Das Mäuse-Modell

Ihre Hypothese überprüften die Ökonomen mit einem Experiment. Sie ließen Probanden die Wahl zwischen Geld und Leben, und zwar dem Leben von Labormäusen. Es handelte sich um sogenannte „überzählige Mäuse“ in ausländischen Laboren. Sie waren für die medizinische Forschung ungeeignet und sollten deshalb getötet werden, ungeachtet der Tatsache, dass sie vollkommen gesund waren. Zuerst überprüften Szech und Falk die individuellen moralischen Standards: Die Probanden konnten eine der Mäuse retten oder stattdessen 10 Euro nehmen. 46 Prozent entschieden sich für das Geld und ließen „ihre“ Maus sterben. Die übrigen Mäuse kauften Szech und Falk und bezahlten eine artgerechte Unterbringung für deren restliches Leben.

Ob diese Individualentscheidung nun moralisch ist oder nicht, war dabei nicht relevant. Denn interessant wird das Experiment erst dann, wenn man diese Werte mit Entscheidungen unter Marktsituationen vergleicht. Dafür nahmen die Probanden die Rollen von Käufern und Verkäufern ein. Sie konnten miteinander handeln und 20 Euro unter sich aufteilen – oder aber auf Verkaufs- oder Kaufangebote verzichten und damit Labormäuse retten. In dieser Situation entschieden sich über 70 Prozent für das Geld. Dies war unabhängig davon, ob nur zwei Personen am Handel beteiligt waren oder ob eine größere Gruppe von Händlern gleichzeitig aktiv war. Bis zu 20 Prozent der Probanden verweigerten aber immer – also sowohl individuell als auch in der Marktsituation – das Geld. Insbesondere Frauen, Vegetarier und Leute mit einem höheren Intelligenzquotienten gehörten dazu. „Im Nachhinein haben übrigens viele ihre Entscheidung bereut, die Mäuse sterben zu lassen. In der Marktsituation treten die moralischen Überlegungen offenbar zurück. Die Moral tritt erst später wieder in den Vordergrund, wenn die Aktuere ihre Entscheidung bereuen“, erklärt Nora Szech.

Die Unterschiede zwischen Markt- und Individualentscheidungen sind drastisch: In den größeren Märkten fielen die Preise fürs Töten auf ca. 5 Euro. In der Individualentschiedung waren erst bei Beträgen von knapp 50 Euro ähnlich viele Teilnehmer bereit, dem Töten zuzustimmen. Szech und Falk waren überrascht, wie eindeutig das Resultat ausfiel. Sie geben verschiedene Erklärungsansätze: „Wenn mehrere Akteure beteiligt sind, wird es möglicherweise einfacher, seine moralischen Standards zurückzustellen und Dritten zu schaden“, sagt Nora Szech. „Schuldgefühle können mit anderen geteilt werden. Zudem erfährt man, dass andere auch nicht immer moralisch einwandfrei handeln.“ Gleichzeitig überlegen die Teilnehmer vielleicht, dass jemand anders das Geschäft machen wird, selbst wenn sie sich verweigern. „In großen Märkten mögen viele glauben, dass die eigene Entscheidung sowieso keinen relevanten Unterschied macht.“

Mehr Distanz zum Produkt

Diese Ergebnisse lassen sich auf die reale Gesellschaft übertragen. Man sieht einem Produkt im Laden nicht an, ob dafür jemandem geschadet wurde. Der Käufer hat eine größere Distanz zum Produkt und zum Produzenten. „Das hilft vermutlich, seine moralischen Standards zu vergessen“, so Szech. Doch was kostet ein Menschenleben? In Bangladesch sind Kompensationszahlungen für verletzte und verstorbene Textilarbeiter üblich. Es gibt 500.000 Taka Schmerzensgeld (etwa 4.800 Euro) sowie Zahlungen für 10 bzw. 25 Jahre Lohnausfall. Das sind geschätzte 56 Millionen Euro für die mehr als 1.000 Toten und 2.500 Verletzten des Einsturzes einer Textilfabrik im April 2013.

Die Gesellschaft müsse sich dieses Mechanismus bewusst werden, dass sich ihre theoretischen Werte nicht automatisch auf ihr Handeln übertragen, findet Szech. „Die Menschen sollten darauf achten, wie sie im Marktgeschehen handeln, wenn sie Kleidung oder Elektronik kaufen!“, fordert sie. Eine wichtige Entscheidungshilfe könnten vertrauenswürdige Gütesiegel geben. Außerdem müssten strengere gesetzliche Regelungen getroffen werden. Bei solchen Entwicklungen sei auch die Politik gefordert. Viele Märkte sind mittlerweile so intransparent, dass man die Produktionsbedingungen kaum komplett kontrollieren kann. Gleichzeitig sind viele Niedriglohnländer wirtschaftlich von diesen Märkten abhängig. Nora Szech empfiehlt  – natürlich nicht nur deshalb – nicht, die Märkte abzuschaffen. Sie versucht vielmehr, ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür zu schaffen, dass sich die Rahmenbedingungen in der globalisierten Welt verändern müssen. „Jeder von uns hat eine Entscheidungsmacht. Der Einzelne versinkt nicht einfach in der Masse!“

Nora Szech und die Studie Morals and Markets

Nora Szech studierte und promovierte an der Universität Bonn. Im September 2012 nahm sie den Ruf an die Professur für Volkwirtschaftslehre, insbesondere Industrieökonomik an der Universität Bamberg an. Zum Oktober 2013 wird sie Bamberg verlassen und einen Lehrstuhl an der Universität Karlsruhe übernehmen.

Die Ergebnisse ihrer Studie wurden 2013 im Fachjournal Science veröffentlicht: „Morals and Markets“ (joint with Armin Falk), Science, Research Article, 2013, Vol. 340, No. 6133, 707-711, DOI: 10.1126/science.1231566.

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Diesen Pressetext verfasste für die Pressestelle der Universität Bamberg
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