Josef Roths rastloses Leben war von Exil und Wanderschaft gezeichnet (Bilder: Stefanie Hattel).

Ilse Ruth Snopkowski, Vorsitzende der Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition e. V. (in der Mitte des Bildes), war zur Midissage eigens aus München angereist. Hier gemeinsam mit (v. l.) Dr. Fabian Franke, Prof. Dr. Iris Hermann, Kanzlerin Dr. Dagmar Steuer-Flieser und Universitätspräsident Prof. Dr. Dr. habil. Godehard Ruppert.

Literarische Ausstellungen erweitern das Medienangebot der TB 4.

- Stefanie Hattel

Joseph Roth als politischer Visionär

Midissage zur Ausstellung „Joseph Roth im Exil 1933 – 1939“ in der Universitätsbibliothek

Der Schriftsteller Joseph Roth (1894-1939) verbrachte seine letzten sechs Lebensjahre im Pariser Exil. Anlässlich seines 70. Todestages am 27. Mai zeigt die Universitätsbibliothek eine Ausstellung der Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition. Am 2. Juli fand dazu eine festliche Midissage statt.

Das Exil ist eine Grunderfahrung europäischer Juden nicht nur im 20. Jahrhundert. Joseph Roth verbrachte die letzten sechs Jahre seines Lebens, 1933-1939, auf der Flucht vor den Nationalsozialisten im Pariser Exil. Fluchtpunkt des Exils wie Joseph Roth es erlebt und be-schreibt, ist die Rückkehr zu einem europäischen Kulturraum. Vor dem Hintergrund von Flucht und Vertreibung im Jahrhundert der Weltkriege liest sich das Werk Roths deshalb als ein frühes Programm zur kulturellen Integration.

Dies war nur einer der roten Fäden durch die Schriften des politisch engagierten Journalisten und Autors, die Professor Dr. Iris Hermann, in diesem Sommersemester Vertreterin der Lehrprofessur für Neuere deutsche Literaturgeschichte, in ihrem kulturhistorischen Überblick aufrollte. Damit gab sie am 2. Juli den Besuchern der Midissage zur Ausstellung „ Joseph Roth im Exil 1333-1939“ das nötige Rüstzeug in die Hand, Joseph Roth (wieder) zu entdecken. „Die Entdeckung ist auch das Topos der Bibliotheken“, so Dr. Fabian Franke, Direktor der Universitätsbibliothek. „Denn moderne Bibliotheken wollen beides, punktgenau zu den Büchern führen als auch zum zufälligen Entdecken beim Stöbern im Regal und im Werk eines Autors anregen.“ Dazu bieten die 24 großformatigen Tafeln der Ausstellung nun eine hervorragende Möglichkeit, gerade auch weil sie verteilt in der Bibliothek zwischen Regalen und neben PC-Arbeitsplätzen stehen.

Präsident Professor Dr. Dr. habil. Godehard Ruppert nannte Hermann „einen Glücksfall für die Universität“. Noch vor Abschluss der Verhandlungen über ihre Professur an der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften übernehme sie schon zusätzliche Aufgaben im engen Umfeld der Universität. In ihrem Vortrag zeichnete die neue Professorin das Porträt eines ostgalizischen Juden als Vertreter der „Lost Generation“ zwischen den Weltkriegen. Damit  zeigte sie, wie Roths Werk dem Klischee des Juden auf ewiger Wanderschaft vor dem Hintergrund von Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert neue Aktualität abgewinnt.

Roth reflektiert seine Zeit

Roth, 1894 in Brody in der heutigen Ukraine, einem Zentrum der jüdischen Aufklärung, geboren, fühlte sich dem deutsch-österreichischen Sprachraum zugehörig. Er war ein „assimilierter“, heute würde man sagen, integrierter Jude, der seiner äußeren Erscheinung nach überall als österreichischer Aristokrat alten Stils durchginge, so sein Schriftstellerkollege und Weggefährte Soma Morgenstern. Dem Humanismus verpflichtet setzte sich Roth unermüdlich für die Völkerverständigung im ehemaligen Vielvölkerstaat der Habsburgermonarchie und im europäischen Kulturraum ein – quer zu den nationalistischen Bestrebungen der politischen Fraktionen. Den jüdischen Themen fühlte er sich dabei besonders verpflichtet. In seinen Essays „Juden auf Wanderschaft“ erweist er sich als sensibler Vermittler des Ostjudentums.

Der Zionismus könne nach Roth nur zum Teil eine Antwort auf die Frage nach einem neuen jüdischen Kulturraum geben. Damit die Juden ihr Zuhause fänden, müssten erst einmal die Gastländer zu innerer Einheit gelangen. Es sei allerdings kaum anzunehmen, dass das geschähe, zitierte Hermann Roths politische Reflexionen aus den Dreißiger Jahren.

Ilse Ruth Snopkowski, Vorsitzende der Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition e. V. und Leiterin des Ausstellungsprojekts, kam zur Midissage aus München angereist. Sie zeigte sich sichtlich erfreut über Hermanns Empfehlung der Essays „Juden auf Wanderschaft“, die auch zu ihrer Lieblingslektüre zählen. „Heute ist die jüdische Gemeinde in Deutschland wieder angekommen und ebenso integriert wie andere Einwanderergruppen“, resümierte sie später im Gespräch.

Ein europäisches Projekt

Die Ausstellung zeigt zum ersten Mal jüngst (wieder) aufgefundene Exponate aus Deutschland, Österreich und den USA. Sie entstand in Zusammenarbeit mit der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur in Wien, der Internationalen Joseph Roth Gesellschaft in Wien, des Archivs und der Bibliothek „Monacensia“ in München und der Münchner Stadtbibliothek. Realisiert wurde sie mit Unterstützung des Kulturreferats der Landeshauptstadt München und des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. Die Wanderausstellung gastiert noch bis zum 30. August in der Universitätsbibliothek, bevor sie nach Frankfurt am Main in die Deutsche Nationalbibliothek weiterzieht. Mit leicht variierten thematischen Schwerpunkten ist die Ausstellung derzeit auch in Paris und Ljubljana zu sehen – ein Beweis für die vielseitigen internationalen Querverbindungen des europäischen Hochschul- und Kulturraums.

Weitere Informationen:

Die Ausstellung erstreckt sich über die Teilbibliotheken 1 (Teil 1) und 4 (Teil 2) und ist montags bis freitags von 8.30 bis 21 Uhr, samstags von 10 bis 18 Uhr und sonntags von 13 bis 18 Uhr (nur TB 4) geöffnet.

Literaturtipps:

Heinz Lunzer/Victoria Lunzer-Talos: Joseph Roth im Exil in Paris 1933-1939. Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur: Wien 2009 (=Ausstellungskatalog).

Joseph Roth: Juden auf Wanderschaft. Essays. Köln 1985.

Joseph Roth: Radetzkymarsch. Roman. Köln 1979.