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Vor allem der Radsport ist nach einigen Doping-Geständnissen in der Krise.

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Stefan Voll beschäftigt sich seit langem mit der Doppelmoral im Sport.

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Im Ziel! Aber wie soll man wissen, dass es nur mit fairen Mitteln erreicht wurde?

- Dennis Schmidt

Auf der Suche nach der Moral

Wie unsere Gesellschaft den Sport verändert

Wer sich gegenwärtig mit Spitzensport auseinandersetzt, kommt um das Thema Doping nicht herum. Kontinuierlich hat sich die Einnahme von leistungssteigernden Mitteln etabliert und beginnt einen Schatten auf die betroffenen Sportarten zu werfen. Immer neue, zum Teil mediengerecht aufbereitete Dopingenthüllungen erreichen die Öffentlichkeit. Stefan Voll, Leiter des Hochschulsportzentrums, befasst sich an der Universität Bamberg mit der ethisch-moralischen Dimension der Dopingproblematik, die immer noch ein Tabu zu sein scheint.

Das Vertrauen in einen der wichtigsten gesellschaftlichen Faktoren scheint zu bröckeln. Ein großer deutscher Sportartikelhersteller wirbt mit dem Slogan „Impossible Is Nothing“. Mit dieser Aussage soll auf Schicksale wie das von Schwimmstar Ian Thorpe oder Sprintweltmeisterin Alison Felix aufmerksam gemacht werden. Beide mit Hindernissen in ihrer Jugend – er hatte eine Allergie gegen Chlor, sie wurde für ihre Hühnerbeine verspottet –, brachten es durch ihren Willen und ihr Talent zu großem Erfolg. Zwei Beispiele, die repräsentativ für die Möglichkeiten des Sports stehen. Denn Helden werden noch immer im Sport geboren, und Märchen werden auf den Spielfeldern der Welt Wirklichkeit. Die Faszination, alles erreichen zu können und der uneingeschränkte Schmied seines eigenen Schicksals zu sein, beschert dem Sport eine nahezu mythische Aura. Auch die Wirtschaft hat dies erkannt und investiert seit Jahren Milliarden in Sportveranstaltung und Athleten. Alleine der Verkauf der Sponsorenpakete an die Partner und Förderer der Fußballweltmeisterschaft 2006 brachte einen Erlös von 700 Millionen Euro. Doch genau an dieser Stelle schließt sich der Kreis, zwischen sportlichem Erfolg auf der einen und wirtschaftlichem (Leistungs-)Druck auf der anderen Seite.

„Der Erfolg heiligt die Mittel“

Die zunehmende Ökonomisierung unserer Gesellschaft ist eine Tatsache, die wohl keiner bestreitet und der sich nur wenige entziehen können. Der renommierte Sportpädagoge Prof. Dr. Ommo Grupe spricht von einer „Ent-Sportlichung des Sports“ bei gleichzeitiger „Ver-Sportlichung der Gesellschaft“ und zielt damit auf die Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und Sport ab. Als ein Teil unseres gesellschaftlichen Lebens ist der Sport Ausdruck unserer Normen und Werte. „Die Analogien beziehungsweise Interdependenzen gerade mit dem Wirtschaftsleben sind augenfällig. Profisport ist Wirtschaft“, sagt PD Dr. Stefan Voll, Leiter des Universitätssportzentrums und Mitglied der Sektion Sportphilosophie/ Sportethik in der deutschen Vereinigung für Sportwissenschaften. Voll, der im vergangenen Jahr in die Deutsche Olympische Akademie berufen wurde, beschäftigt sich schon lange mit der ethisch-moralischen Komponente des Dopings. Seiner Ansicht nach ist der wirtschaftliche Leistungsdruck im Sport unaufhörlich im Vormarsch.

Besonders im Radsport, der bekanntlich am meisten unter der Dopingproblematik leidet, ist das Einkommen der Profis vom sportlichen Erfolg abhängig. Wer in Paris auf dem Treppchen steht, der hat es geschafft. Der Rest ist froh, über die Berge gekommen zu sein; dies gilt auch für die finanzielle Situation. Also was hält davon ab, illegale Substanzen zu sich zu nehmen, um auch einmal ganz oben zu stehen? Ein Blick nach links und rechts auf die Kollegen bestimmt nicht. Doch nicht nur Spitzensportler finden die Einnahme von Dopingmitteln tolerabel. Eine von der Universität Tübingen durchgeführte Studie in Fitnessstudios ergab, dass jeder siebte Sportler schon einmal verbotene Substanzen zu sich genommen hat. Ähnliche Befunde wurden auch bei Senioren ermittelt, die an kleinen Volksläufen teilnahmen.

Die verkehrte Welt der Dopinggeständnisse

Natürlich reagiert die Öffentlichkeit mit allgemeiner Empörung und Unverständnis auf das Phänomen Doping. Aber wie ist es eigentlich mit den geständigen Medikamentensündern? Die medienwirksam inszenierten Dopinggeständnisse von Erik Zabel, Marion Jones und Co. nehmen auch den letzten Zuschauern die Illusion von der weißen Weste des Sports. Unter Tränen stellen die Athleten ihr eigenes Fehlverhalten an den Pranger, was meist der Bitte nach einer öffentlichen Amnestie ähnelt. Bemerkenswert ist, dass dieser Bitte zumindest auf der Pressekonferenz von Erik Zabel entsprochen wurde, zum Ausdruck gebracht durch den Beifall der anwesenden Zuhörer. Das ganze klingt ein wenig nach einer verkehrten Welt, ist aber bei genauerer Betrachtung ein gutes Beispiel für eine vorherrschende Doppelmoral.

„Das Phänomen einer existenten Doppelmoral ist so neu nicht und beileibe nicht auf den Sport beschränkt“, konstatiert Stefan Voll. Welcher Fußballfan lehnt schon einen herausgeschundenen Elfmeter ab, wenn es um den Sieg seiner Mannschaft geht, nur weil die Aktion moralisch nicht korrekt war? Ein kleines Vergehen am Rande der Legalität – zwar nicht regelkonform, aber trotzdem im Rahmen der tolerierbaren Maßnahmen – hilft dem Lieblingsverein in der 90. Minute, den Sieg zu erringen. Dass der besagte Fußballanhänger grundsätzlich für Fair Play im Sport ist, würde er niemals bestreiten. Ähnliche Begründungsmuster für widersprüchliches Verhalten lassen sich in vielen Bereichen des Alltags wieder finden.

Vom „gläsernen Athleten“ bis zur Selbstreinigung: Wie geht es weiter?

Vor dem Hintergrund, dass sich für den Athleten der Erfolgsdruck in eine Art Erfolgszwang verwandelt hat, möchte man schon fast Verständnis für die Betroffenen aufbringen. „Ohne Doping keine Siege, ohne Siege kein Jubel, ohne Jubel keine Sportförderung, die Vertragsverlängerung platzt, die Sponsoren springen ab, und vielleicht muss man ja auch noch eine Familie ernähren“, erläutert Stefan Voll und beschreibt damit die Sichtweise der Sportler. Doch wie soll es weitergehen? Der Pharmakologe Prof. Dr. Fritz Sörgel äußerte sich in einem Interview in der Stuttgarter Zeitung besorgt über die Entwicklung des Dopings im Sport. „Wenn Sie morgen das Schachspiel in das olympische Programm aufnehmen, werden Sie übermorgen den ersten Dopingfall mit Stoffen haben, die die intellektuelle Leistungsfähigkeit erhöhen.“

Ist das Spiel also längst verloren? Eine Legalisierung des Dopings bleibt wohl auszuschließen, da dies einer Entwertung des Sports gleichkommen würde. Natürliche Leistung bleibt die Grundnorm eines jeden körperlichen Wettkampfes und sichert dem Sport Identität und Vorbildfunktion. Es bleibt also die Frage, ob sich der Sport nicht selbst reinigen kann. Moral auf Knopfdruck ist zwar eine berauschende Vorstellung, bleibt aber illusorisch. Zwar erreichen immer wieder neue Besserungsschwüre die sportliebende Bevölkerung, allerdings scheint jeder zu wissen, wo diese realistischerweise einzuordnen sind und welche Auswirkungen sie auf die Entwicklung haben können. Auf der anderen Seite scheint auch der gläserne Athlet keine angestrebte Lösung des Dopingproblems zu sein, da eine komplette Überwachung aller Spitzensportler schon an den technisch-medizinischen Möglichkeiten scheitern würde.

Folgt man der Argumentation von Stefan Voll, gibt es verschiedene strategische Ansätze zu einer potenziellen Besserung. Zum einen kommt es auf die Förderung emphatischer Fähigkeiten schon im frühen Kindesalter an. Dem Nachwuchs muss vermittelt werden, dass nicht nur der Sieg zählt, sondern auch „fair-lieren“ zum Spiel gehört. Des Weiteren müssen nach Voll Institutionen, seien es Anti-Doping-Agenturen, Politik oder Wirtschaft, weiter entschieden und geschlossen gegen das Doping vorgehen. Und letztendlich können auch wir, die Zuschauer, unseren Teil zur Relativierung des Dopingproblems beitragen. Wir sind Konsumenten der „Ware“ Sport und somit Teil des Systems. Durch simple Maßnahmen, wie zum Beispiel dem Kanalwechsel bei Radsportübertragungen, kann der Zuschauer seine Meinung zum Thema Doping kundtun und damit langfristig ein Gefühl der gesellschaftlichen Ächtung von Doping im Sport prägen. Der Anspruch auf immer wiederkehrende Rekorde und Höchstleistungen steht gegen Vertrauen und Authentizität im Sport. Was sich durchsetzt, bleibt abzuwarten.

Interview mit Stefan Voll

Ein ausführliches Interview mit Stefan Voll finden Sie in Kürze in der Universitätszeitung uni.kat, Ausgabe 1/2008.