„Der Fluch des Weltkulturerbes“
Wie gefällt Ihnen Bamberg als Denkmalpfleger?
Ich kenne es noch nicht so gut. Ich war zwar bereits oft in Bamberg, dabei allerdings selten draußen unterwegs. Jetzt erkunde ich die Stadt und entdecke jeden Tag neue Dinge. Mir gefällt es hier sehr gut, Bamberg ist eine atemberaubend schöne Stadt! Man muss inzwischen aber fast befürchten, dass der Tourismus überhandnimmt – ein Fluch, den auch der Weltkulturerbe-Status mit sich bringt.
Haben Sie schon einen Lieblingsplatz?
Die Michelskirche, die über der Stadt thront – auch wegen des tollen Ausblicks.
Beschäftigen Sie sich mit dem „Fluch des Weltkulturerbes“ auch in der Forschung?
Das Weltkulturerbe ist natürlich ein Phänomen, mit dem wir uns zentral beschäftigen. Es ist wichtig, den Denkmalgedanken auch international zu transportieren. Wir freuen uns, dass das Label einen großen Zuspruch hat und erfolgreich ist. Das Thema Denkmalpflege kommt offensichtlich in der Öffentlichkeit gut an. Aber wir sehen die Konzentration auf einzelne Orte, die das Label Weltkulturerbe mit sich bringt, auch mit Sorge. Aus Sicht der Denkmalpfleger besteht die Gefahr, dass sich hier eine Zweiklassengesellschaft herausbildet und dass andere, ebenso qualitätvolle Erbestätten aus dem Blick geraten. Durch das Label Weltkulturerbe kommt es zu regelrechten Ballungen, die eine große Belastung darstellen können. Das ist zwar in Bamberg kein großes Problem, aber es gibt mittlerweile international viele Städte, die durch Abnutzung bedroht sind.
Setzen Sie sich dann auch praktisch für Veränderungen ein? Ihr Vorgänger hat diesbezüglich ja sehr polarisiert…
Ich bin zugezogen, ich bin nicht aus Bamberg, nicht aus Franken. Im Augenblick pendele ich aus Frankfurt und habe ganz andere Forschungsschwerpunkte. Aber es ist Teil meiner Aufgabe, mich in Bamberger Debatten einzubringen und Stellung zu beziehen, nur werde ich das sicherlich nicht in dem Maße betreiben können und wollen, wie Achim Hubel das mit großem Erfolg getan hat. Diese Kompetenz muss ich mir erst aneignen.
Sie haben gerade Ihre Forschungsschwerpunkte angesprochen. Haben Sie denn ein Lieblingsforschungsthema?
Ich werde mich neu orientieren, weil ich mich in Bamberg in einem neuen Forschungskontext bewege. In Darmstadt war ich Professor für interdisziplinäre Stadtforschung: Eine unserer Aufgaben war es, Konzepte für die Globalisierung zu entwickeln. Dabei beschäftigten wir uns unter anderem mit den Fragen, wie man verhindern kann, dass städtische Räume immer uniformer werden oder wie man ein regional und lokal verortetes qualitätvolles Bauen weiterentwickeln kann.
Das Thema „Städtebauliche Denkmalpflege“ und „Bauen im Bestand“ möchte ich auch in Bamberg fortführen: Wie kann man erhalten und gestalten, einen Zusammenhang zwischen Alt und Neu herstellen? Und muss das wirklich ein Gegensatz sein? Es ist zwar wichtig, dass die Denkmalpflege an ihrer Kernkompetenz „Erhaltung“ festhält, aber sie sollte sich auch stärker in die anstehenden Gestaltungsaufgaben einmischen. Das ist institutionell tatsächlich ein Problem: Wir werden immer stark an Objekten verortet; da dürfen wir mitreden, beim Einzelobjekt, beim Monument, beim Haus. Für mich ist aber die Frage nach stadträumlichen Aspekten ebenso wichtig. Ganz allgemein werden Raumfragen auch in der Denkmalpflege wichtiger, bis hin zum Thema der Kulturlandschaft.
Ist das ein Ansatz, den Sie in Ihre Lehre übernehmen?
Auf jeden Fall! Wir sind dabei, den Studiengang zu reformieren. 2014/15 wird die neue Studienordnung mit neuen Studienschwerpunkten an den Start gehen. Wir wollen den Studierenden mehr Möglichkeiten einräumen, Schwerpunkte zu setzen, als es bisher möglich ist. Wir werden daher versuchen, die Pflichtanteile sinnvoll zu reduzieren, um Profilbildung zu ermöglichen. Einer dieser inhaltlichen Schwerpunkte könnte die städtebauliche Denkmalpflege sein, von praktischen Fragen wie „Bauen im Bestand“ bis hin zu eher theoretischen Überlegungen zu den spezifischen Raumqualitäten von Denkmalen. Wir wollen die Studierenden weiterhin nahe an der Praxis ausbilden, sodass sie auf dem Arbeitsmarkt gute Chancen haben. Dabei werden wir auch die Internationalisierung des Studiengangs vorantreiben.
Wie sind Sie zur Denkmalpflege gekommen?
Man könnte sagen, dass das in Franken einen Ausgangspunkt hat. Als ich als Schüler während einer Klassenreise von Niedersachsen aus Orte wie Würzburg, Rothenburg ob der Tauber oder Mespelbrunn kennen gelernt habe, war ich begeistert. Schon als Jugendlicher habe ich mich mit Architekturgeschichte und alten Bauten beschäftigt. Ich habe dann Kunstgeschichte studiert, ganz klassisch mit den Nebenfächern Philosophie und Geschichte und dem Schwerpunkt Architekturgeschichte.
Danach habe ich zu einem Thema der französischen Romanik promoviert und anschließend zwei Jahre für das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege inventarisiert. Es war kurz nach der Wende, das Amt wurde erst aufgebaut, und wir bewegten uns mit großer Neugier in diesem Land, das bisher auch in der Inventarisation ganz andere Schwerpunkte gesetzt hatte. Zuerst war ich also in der Praxis tätig.
Warum sind Sie Professor geworden?
Letzten Endes war es der Wunsch, wieder verstärkt zu Themen der Raumtheorie, Denkmalpflege und Architekturtheorie forschen zu können. An der Universität haben wir das Privileg, Themen unabhängig von äußeren Forderungen auswählen und vertiefen zu können. Daneben habe ich schnell meine Freude daran entdeckt, Wissen weiter zu geben und habe auch das Gefühl, dass ich die Studierenden erreiche. Bevor ich nach Bamberg kam, habe ich an Architekturfakultäten technischer Universitäten gearbeitet, in Bamberg nun wieder an einer geisteswissenschaftlich ausgerichteten Fakultät und mit Kollegen, deren Interessen sich mit meinen geradezu perfekt ergänzen. Ich habe hier also nicht nur gute Infrastrukturen, sondern auch viele anregende Gesprächspartner. In Deutschland ist diese enge Zusammenarbeit der Fächer wie an unserem Institut für Archäologie, Denkmalkunde und Kunstgeschichte fast einzigartig.
Was sehen Sie als größten Unterschied zwischen Ihrer Studienzeit und der heutigen Situation der Studierenden?
Der Hauptunterschied ist der Zeitfaktor. Wir hatten, mal abgesehen von der Finanzierung, nicht viel Druck. Ich selbst habe lange studiert und glaube, dass man gerade in den Geisteswissenschaften enorm davon profitieren kann. Ich habe die Uni gewechselt, bin von Freiburg nach Paris und dann nach Berlin gegangen. Ich glaube nicht, dass man sich in dem heute vorgeschriebenen engen Zeitraum eines Bachelorstudiums wirklich bilden, seine eigenen Schwerpunkte finden kann, denn das braucht viel Zeit. Wir waren früher aber zugegebenermaßen an einer sehr langen Leine, und daran sind viele Studierenden auch gescheitert. Wir hatten viel zu viele Abbrecher, und viele ehemalige Kommilitonen haben die Kurve in einen qualifizierten Beruf nicht mehr bekommen.
Was machen Sie neben Forschung und Lehre?
Wenn es die Zeit zulässt, lese ich, vor allem zeitgenössische Literatur. Bei mir gehen zum Glück Beruf und Freizeit bruchlos ineinander über: Ich bin viel unterwegs und versuche, Kulturlandschaften in ihrer vielschichtigen Prägung zu erfassen. Das hört sich nach Arbeit an, ist aber für mich das pure Vergnügen, professionell geleitetes Vergnügen sozusagen. Im Augenblick konzentriere ich mich auf die Stadt und das nähere Umland. Ich gehe dabei auch in Gegenden, die nicht im Zentrum des Interesses liegen, das Gärtner-und Häckerviertel beispielsweise. Das sind Scharnierräume, in denen das Weltkulturerbe in die alltägliche Stadt übergeht, wo die Übergänge vielleicht nicht immer gelungen sind. Ich stelle mir die Frage: Wie greifen die Räume des Alltags über in Räume, die stärker von denkmalpflegerischen Interessen geprägt sind?
Welches Rätsel der Vergangenheit würden Sie gerne lösen?
Mich interessiert das Problem der Verfremdung und aktualisierenden Aneignung, etwas, das wir ständig betreiben, wenn wir uns mit Kultur beschäftigen. Was würde Mozart sagen, wenn er hören würde, wie wir heute seine Werke aufführen? Zwar wird heute die „Werktreue“ groß geschrieben, aber es würde ihm vermutlich trotzdem einen Schock versetzen. Wie hat Mozart selbst seine Stücke interpretiert? Und würde uns das überhaupt noch in gleicher Weise berühren?
Und mit dieser Frage sind wir bei einer Kernfrage meines Faches: Das Denkmal ragt aus einer fernen Zeit in unsere Zeit hinein, und es bedarf immer der interpretierenden Aneignung, um im Wortsinne für uns Bedeutung zu erlangen. Unsere Aufgabe ist insofern eine doppelte: zum einen an den immer neuen Aushandlungsprozessen über die Bedeutung der Denkmale mitzuwirken; zum anderen müssen wir darauf achten, das auch das Störende, das Fremde und Befremdliche des Denkmals als ein Ansatzpunkt für immer neue Bewegungen der Aneignung erhalten bleibt.
